nrz.deAm 11. Mai 1952 schoss die Polizei erstmals mit scharfer Munition auf Demonstranten, Teil 1/7

Kurt Nelhiebel

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Am nächsten Tag beantragten die kommunistischen Abgeordneten im Düsseldorfer Landtag die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Ihr Antrag wurde abgelehnt. Auch der Bundestag lehnte es ab, sich mit Vorgängen in Essen zu beschäftigen. Das nordrhein-westfälische Landesparlament beauftragte immerhin seinen Hauptausschuss, die für die Klärung der Tatsachen »eventuell erforderlichen weiteren Schritte« zu beschließen. Der Ministerpräsident äußerte sich laut Kurzprotokoll am 13.Mai wie folgt:

»Trotz mehrmaliger Aufforderung der Polizei, sich zu zerstreuen, kamen die Demonstranten der Aufforderung nicht nach, sondern gingen mit Steinen – Straßenpflastersteinen und Schottersteinen –, Flaschen und anderen Schlagwerkzeugen gegen die eingesetzten Polizeikräfte vor. Da der Widerstand durch den Gebrauch des Polizeischlagstockes nicht gebrochen werden konnte, mehrere Beamte bereits erheblich verletzt waren und sich demnach in einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben befanden, musste von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden. Vor dem Schusswaffengebrauch wurde die Menge dreimal durch Lautsprecherwagen und durch den Einheitsführer aufgefordert, das Werfen einzustellen, widrigenfalls von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden würde. Da die Demonstranten dieser Aufforderung nicht entsprachen, sondern sie im Gegenteil mit verstärktem Steinhagel beantworteten, ordnete der Zugführer nach Abgabe von drei Warnschüssen den Schusswaffengebrauch an.«

Der Schusswaffengebrauch sei »durch Notwehr begründet und auch nach den Waffengebrauchsbestimmungen berechtigt gewesen«. Wie denn? Hatte es anfangs nicht geheißen, die Polizei habe das Feuer eröffnen müssen, weil sie von den Demonstranten beschossen worden sei? War nicht von einem »Schusswechsel« die Rede gewesen? Und nun dies? Die Behauptung von den schießenden Demonstranten ließ sich jedenfalls  nicht aufrechterhalten. Kleinlaut bemerkte die konservative »Rheinische Post« am 15. Mai zu dem Bericht des Ministerpräsidenten: »Nach dieser Darstellung ist die Frage, wer zuerst geschossen hat – die Demonstranten oder die Polizei nur noch von untergeordneter Bedeutung.« Alles geklärt? Mitnichten.

Unvermittelt kam der Ministerpräsident auf die Ereignisse vor der ›Gruga‹ zurück und sagte: »Nach dem Ergebnis der bisher in sehr ernster und gewissenhafter Weise durchgeführten Ermittlung ist von den Demonstranten zuerst geschossen worden. Nach der Meldung von zwei Polizeibeamten, die zum Schutz des Aussichtsturms der Gruga eingesetzt waren, wurden sie bei der Vorführung  eines Festgenommen beschossen. Sie hörten den Abschussknall, und das Geschoss flog in drei Meter Entfernung in Kopfhöhe an ihnen vorbei. Sie beobachteten den Einschlag dieses Geschosses in der zweiten Halle der Gruga.« – Weh dem, der Schlechtes dabei denkt.

Für die weiteren Beratungen im Hauptausschuss des Düsseldorfer Landtags verlangte der SPD-Abgeordnete Menzel »einwandfreie Zeugenaussagen«.  Der KPD-Abgeordnete Karl Schabrod wies darauf hin, dass bei den 283 Festgenommenen »nicht ein einziger Revolver« gefunden worden sei. Am Schluss vermerkt das Protokoll: »Der Polizeidirektor beantwortet noch einige an ihn gerichtete Fragen.« Was das für Fragen waren und wie sie beantwortet wurden, unterschlägt das Protokoll. Der Abgeordnete Menzel beanstandete das in einem geharnischten Brief an den Ausschussvorsitzenden, den Essener Oberbürgermeister Hans Toussaint:
»Das Kurzprotokoll der 26. Sitzung des Hauptausschusses enthält auf Seite 13 leider nicht die Erklärung des Polizeidirektors Herrn Knoche auf meine in der Sitzung an ihn gestellte Frage. Zunächst habe ich Herrn Knoche gefragt, aus welcher Entfernung der angeblich zuerst von den Demonstranten abgegebene Schuss gefallen sei. Herr Knoche gab diese Entfernung mit 6o m an. Meine weitere Frage ergab, dass die Kugel nicht gefunden wurde, sondern trotz der Entfernung von 60 m noch durch eine Holzwand hindurch gegangen sei. Die weitere Frage, aus welcher Entfernung der getötete Demonstrant beschossen worden wäre, beantwortete Herr Knoche mit ›etwa 25 bis 30 m‹. Ich bitte das Protokoll insoweit zu vervollständigen, denn ich bin der Auffassung, dass diese Feststellungen wesentlich sind.« Ein offensichtlicher Versuch, wichtige Angaben zu unterschlagen, war gescheitert; die Antworten des Essener Polizeichefs führten alle Behauptungen über einen» Schusswechsel« ad absurdum.

Fortsetzung folgt

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