kontext wochenzeitung»Nur wer sich aufgibt, ist verloren«. Alfred Hausser - Porträt eines Antifaschisten, Teil 2

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Hausser zeichnet für ein Flugblatt verantwortlich, das zum Widerstand gegen Sozialabbau und weitere Zugeständnis an die Nationalsozialisten aufruft. Es richtet sich gegen Brünings Nachfolger im Amt des Reichskanzlers, Franz von Papen, dessen »Kabinett der Barone« soeben auf Drängen der Nazis das Verbot der SA, Hitlers brauner Schlägertruppe, aufgehoben hat. In dem Flugblatt hieß es unter anderem: »Die verbissenen Arbeiterfeinde von Hitlers Gnaden haben die Aufgabe, den Weg frei zu machen für die blutigste faschistische Diktatur, die die Weltgeschichte je gesehen hat.«
Ein halbes Jahr später ist es so weit. Reichspräsident Hindenburg beruft Hitler zum Reichskanzler. Alfred Hausser muss untertauchen, um der drohenden Festnahme zu entgehen. Aus der Illegalität heraus setzt er den Kampf gegen die Nazis fort. 1934 wird er verhaftet und kommt vor den Volksgerichtshof in Berlin. Der verurteilt ihn wegen der Vorbereitung zum Hochverrat zu 15 Jahren Zuchthaus. Der Prozess gegen insgesamt elf Angeklagte findet zur selben Zeit statt, da sich Berlin für die Olympischen Spiele 1936 schmückt. Hausser erinnert sich:

Alfred Hausser: »Als der Prozess zu Ende war und wir dann von Moabit in ein kleines Untersuchungsgefängnis nach Charlottenburg kamen und da ein bissel raus sehen konnten und dieses Fahnenmeer … also, das war auch wieder so ein – möchte ich mal sagen – ein Wechselbad zwischen heiß und kalt. Wir mit 15 Jahren Zuchthaus auf dem Buckel, werden also durch eine Stadt gefahren, wo alles jubelt. Ich habe diese Bilder noch so vor Augen, als wär’s gestern gewesen, weil einfach dieser Kontrast zwischen meiner eigenen Situation und zwischen dem, was um mich herum war, so groß war, dass man da also wieder mit sich selber gekämpft und sich gesagt hat: Mensch, du sitzt hier fest, nicht wahr, alles jubelt – und gut. Das sind diese Ereignisse gewesen, wo man immer wieder geprüft wurde und am Ende zu dem Ergebnis kam: dieser Jubel ist vergänglich. Hauptsache ist, du darfst dich nicht selbst aufgeben; denn das ist meine entscheidende Lehre aus zehn Jahren Haft: Nur der ist verloren, der sich selbst aufgibt.«

Mit 24 Jahren wird Alfred Hausser zur Verbüßung seiner Strafe in das Zuchthaus Ludwigsburg gebracht. Da ihn das Urteil des Volksgerichtshofes als »entschlossenen Kommunisten« und »unbelehrbaren Feind des nationalsozialistischen Staates« bezeichnet, wird Einzelhaft angeordnet und für fünfJahre absolutes Sprechverbot über ihn verhängt. Was bedeutet das?

Alfred Hausser: »Ja, was ist Einzelhaft? Was ist denn der Unterschied zwischen einer Gefängnishaft und dem KZ? Der KZ-Häftling war physisch viel stärker bedroht, als der, der bei der Justiz in Haft saß, aber er war in einer Gemeinschaft, und das ist ungemein wichtig, mit Menschen zusammen zu sein, die da einem, der schwach zu werden droht, wieder auf die Beine helfen. In der Strafhaft, in der Einzelhaft, war man auf sich allein gestellt.«

Bald geben sich die Nazis nicht damit zufrieden, ihre politischen Gegner von der Außenwelt zu isolieren; sie wollen nun auch deren Arbeitskraft für die Rüstungswirtschaft nutzen. Der gelernte Mechaniker Hausser gewinnt der neuen Situation angesichts der Monotonie strenger Einzelhaft positive Aspekte ab.

Alfred Hausser: »Zunächst einmal war für mich von Vorteil, dass ich in meinem Beruf beschäftigt wurde innerhalb der Zelle. Wir wurden nämlich ab Frühjahr 1938 als Zwangsarbeiter an die Firma Bosch vermietet und hatten da eine sehr knifflige Arbeit zu machen. Wir haben Anker gewickelt für die verschiedenen Typen von Lichtmaschinen. Damit war man wenigstens den Tag über einerseits von seinem Schicksal abgelenkt, andererseits musste man sich voll auf die Arbeit konzentrieren, hatte also wenig Zeit zum Grübeln.«

Hausser bekommt für seine Arbeit 40 Pfennig Tageslohn; das ist ein Bruchteil der normalen Entlohnung von 20 Mark. Aber das ist es nicht, was den Gefangenen beschäftigt. Er kämpft gegen die Einsamkeit.

Alfred Hausser: »Ich habe erlebt, dass man an der Einzelhaft zugrunde gehen kann. Ich für mich habe mir gesagt, das darf nicht das Ende deines Lebens sein. Und nun muss man sich Einzelhaft einmal konkret vorstellen. Das heißt Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat, Jahr um Jahr in einer Zelle, drei Meter lang, zwei Meter breit, oben über Kopfhöhe ein Fenster, wo dann ein Sonnenstrahl hereinkommt.«

In regelmäßigen Abständen wird die Zellentür aufgeschlossen und der Häftling wird hinaus geführt.

Alfred Hausser: »Nun also, dann ist man jeden Tag 20 Minuten beim Hofgang gewesen, ohne ein Wort mit einem Mithäftling reden zu dürfen, immer im gebührenden Abstand, immer einen Wachtmeister vor Augen, der jedem auf den Mund schauen konnte, ob der was redet, ob der einem anderen etwas zuflüstert und so weiter.«

Trotz aller Entschlossenheit, sich auch in der Bitternis der Einzelhaft niemals selbst aufzugeben, kommt Alfred Hausser an einen Punkt, da ihn die Isolation seelisch zu zerbrechen droht. 

Fortsetzung folgt

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Info:
Text einer Radio-Bremen-Hörfunksendung vom 31. März 1995