3Silberamulett Copyright Archaeologisches Museum Frankfurt Foto Uwe Dettmar„Frankfurter Silberinschrift“: Geheimnisvolles Silberamulett stellt Wissenschaft auf den Kopf, Teil 1/3

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Tatsächlich ist das eine archäologische Sensation erster Güte: in Frankfurt wurde das ältestes christliches Zeugnis nördlich der Alpen gefunden.Ein kleines, gerade einmal 3,5 Zentimeter großes Silberamulett, darin eingerollt eine dünne Silberfolie mit einer geheimnisvollen Gravur: Die „Frankfurter Silberinschrift“. Diese 18 Zeilen, da sind sich Expertinnen und Experten einig, werden die bisherige Forschung über die Ausbreitung des Christentums und die Spätzeit der römischen Herrschaft rechts des Rheins enorm bereichern. Die Inschrift konnte dank modernster Computertomographie- Technik entschlüsselt werden. Sie zeigt: Der Träger des Amuletts war eindeutig ein gläubiger Christ, was für diese Zeit absolut außergewöhnlich ist: Denn das Besondere ist das Alter des Fundes.

Das Grab, in dem das Amulett gefunden wurde, wird auf den Zeitraum zwischen 230 und 270 n.Chr. datiert. Einen so frühen, authentischen Nachweis reinen Christentums nördlich der Alpen gab es bisher noch nicht. Alle Funde sind mindestens rund 50 Jahre jünger. Zwar gibt es Hinweise aus der Geschichtsschreibung auf erste christliche Gruppen in Gallien und vielleicht auch in der Provinz Obergermaniens im späten 2. Jahrhundert. Sichere Nachweise für christliches Leben in den nordalpinen Gebieten des Römischen Reiches stammen in der Regel aber erst aus dem 4. Jahrhundert n. Chr.

Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef ist begeistert: „Die ,Frankfurter Inschrift‘ ist eine wissenschaftliche Sensation. Durch sie wird man die Geschichte des Christentums in Frankfurt und weit darüber hinaus um rund 50 bis 100 Jahre zurückdrehen müssen. Der erste christliche Fund nördlich der Alpen kommt aus unserer Stadt: Darauf können wir stolz sein, insbesondere jetzt, so kurz vor Weihnachten. Die Beteiligten haben ganze Arbeit geleistet.“

Auch Frankfurts Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Dr. Ina Hartwig zeigt sich beeindruckt: „Dieser außergewöhnliche Fund tangiert viele Forschungsbereiche und wird die Wissenschaft noch lange beschäftigen. Das betrifft die Archäologie genauso wie die Religionswissenschaften, die Philologie oder die Anthropologie. Ein solch bedeutsamer Fund hier bei uns in Frankfurt ist wirklich etwas Außergewöhnliches.“

Die „Frankfurter Silberinschrift“ in Latein, übersetzt ins Deutsche
(Stand: 04.12.2024)

(Im Namen?) des Heiligen Titus.
Heilig, heilig, heilig!
Im Namen Jesus Christi, Gottes Sohn!
Der Herr der Welt
widersetzt sich nach [Kräften?]
allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?).
Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden
Eintritt.
Dieses Rettungsmittel(?) schütze
den Menschen, der sich
hingibt dem Willen
des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn,
da sich ja vor Jesus Christus
alle Knie beugen: die Himmlischen,
die Irdischen und
die Unterirdischen, und jede Zunge
bekenne sich (zu Jesus Christus).


Grabung und Fundort

Gefunden wurde die Amulettkapsel im Jahr 2018 im Nordwesten vor den Toren Frankfurts in der Frankfurter Römerstadt NIDA, der römischen Vorgängerstadt der heutigen Main-Metropole. Sie ist/war eine der größten und bedeutendsten archäologischen Fundstätten in Hessen. Das Silberamulett befand sich in einem römischen Grab des 3. Jahrhunderts im Gräberfeld „Heilmannstraße“ in Frankfurt-Praunheim.

Der Dezernent für Planen und Wohnen Prof. Dr. Marcus Gwechenberger, dem das Denkmalamt unterstellt ist, sagt: „Bei der Ausgrabung wurde nicht nur ein Grab, sondern gleich ein kompletter römischer Friedhof freigelegt. Das sind Funde von unschätzbarem Wert.“ Ein Grab rückte dabei besonders in den Blickpunkt: In der Nummer 134 wurde das Skelett eines Mannes gefunden, zusammen mit Beigaben, einem Räucherkelch und einem Krug aus gebranntem Ton. Das besondere Extra lag aber unter dem Kinn des Mannes: Ein kleines Silberamulett, ein sogenanntes Phylakterium, das er wohl einst an einem Band um den Hals trug. Ein solches Phylakterium ist ein am Körper getragener Behälter, der magischen Inhalt oder (in späterer Zeit) Reliquien birgt und den Träger beschützen soll. Im 3. Jahrhundert nach Christus, in einer Zeit, in der das Christentum noch Repressalien ausgesetzter, aber sich stetig ausbreitender Kult war, war es durchaus ein Risiko, sich als Christ zu erkennen zu geben. Einem Mann aus Frankfurt war sein Glaube jedoch offenbar so wichtig, dass er ihn mit ins Grab nahm. Inwieweit er seinen Glauben auch hatte praktizieren und bekennen können oder ob der Inhalt des Amuletts sein Geheimnis blieb, muss offenbleiben. Auf jeden Fall verdeutlicht der Text, dass NIDA in dieser Zeit keinesfalls eine periphere Grenzregion war, sondern im Vorfeld der Provinzhauptstadt Mogontiacum/Mainz an kulturellen Einflüssen aus dem ganzen Imperium Anteil hatte, zumal die Bevölkerung ohnehin aus verschiedenen Teilen des Weltreiches kam.


Konservierung, Restaurierung und digitale Entrollung

Im Archäologischen Museum Frankfurt wurde der Fund konservierungswissenschaftlich aufbereitet und restauratorisch bearbeitet. Schon während der Ausgrabung war klar: Das Silber-Amulett enthält eine dünne Silberfolie mit Inschrift. Das zeigten bereits mikroskopische Untersuchungen und Röntgenaufnahmen im Jahr 2019. Doch es sollte noch dauern, bis der Text zweifelsfrei entziffert werden konnte. Die hauchdünne Silberfolie selbst ist durch die lange Zeit im Boden zu spröde und brüchig, um sie einfach aufzurollen. Sie würde bei Versuchen, sie aufzurollen auseinanderfallen. Erst die Durchleuchtung mit einem hochmodernen Computertomographen im Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz (LEIZA) brachte im Mai 2024 schließlich den Durchbruch. „Die Herausforderung in der Analyse bestand darin, dass das Silberblech zwar gerollt, aber nach rund 1800 Jahren natürlich auch zerknickt und gepresst war. Mittels des CTs konnten wir es in einer sehr hohen Auflösung scannen und ein 3D-Modell erstellen“, berichtet Dr. Ivan Calandra, Laborleiter für bildgebende Verfahren am LEIZA. Das LEIZA wendete zudem eine für dieses Objekt spezielle Analysemethode an und setzte daraufhin einzelne Segmente des Scans virtuell Stück für Stück aneinander, sodass alle Worte sichtbar wurden. Erst durch diese digitale Entrollung konnte der gesamte Text entschlüsselt werden.



Wie bei einem Puzzle hat der Archäologe und Experte für lateinische Inschriften Prof. Dr. Markus Scholz von der Frankfurter Goethe-Universität sich an die Arbeit gemacht und schließlich die 18 Zeilen der „Frankfurter Silberinschrift“ entschlüsselt. „Manchmal hat es Wochen, ja Monate gedauert bis ich den nächsten Einfall hatte. Ich habe Fachleute unter anderem aus der Theologiegeschichte hinzugezogen und Stück für Stück haben wir uns gemeinsam dem Text genähert und ihn letztlich entziffert“. Durch die Bodenlagerung gingen einzelne Randpartien verloren. Die Ergänzung der betreffenden Textpassagen bleibt diskutabel.

Außergewöhnlich ist, dass die Inschrift komplett auf lateinisch gehalten ist. „Das ist ungewöhnlich für diese Zeit. Normalerweise waren solche Inschriften in Amuletten auf Griechisch oder Hebräisch verfasst“, erklärt Scholz. Zudem ist der Text sehr ausgefeilt. Der Verfasser muss ein elaborierter Schreiber gewesen sein.

Ungewöhnlich ist, dass es in der Inschrift keinen Hinweis auf einen anderen Glauben neben dem Christentum gibt. Normalerweise ist bis ins 5. Jahrhundert hinein bei Edelmetallamuletten dieser Art immer eine Mischung verschiedener Glaubensrichtungen zu erwarten. Oftmals finden sich noch Elemente aus dem Judentum oder heidnische Einflüsse. Doch in diesem Amulett werden weder Jahwe, der allmächtige Gott des Judentums, noch die Erzengel Raphael, Gabriel, Michael oder Suriel erwähnt, keine Urväter Israels wie Isaak oder Jakob. Und auch keine heidnischen Elemente wie Dämonen. Das Amulett ist rein christlich.

Bedeutung für die Wissenschaft

Die Auswertung der Bedeutung des Fundes durch Fachleute für das frühe Christentum und Theologinnen und Theologen steht erst am Anfang. Einige der im Text enthaltenen Formulierungen waren bislang erst viele Jahrzehnte später bezeugt. So findet sich am Anfang der „Frankfurter Silberinschrift“ eine Nennung des Heiligen Titus, eines Schülers und Vertrauten des Apostel Paulus. So wie die eigentlich erst aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. in der christlichen Liturgie bekannte Anrufung „Heilig, heilig, heilig!“ (Trishagion). Der Text enthält am Ende mit „Die Knie beugen“ zudem ein fast wörtliches Zitat aus dem sog. Christushymnus des Paulus aus seinem Brief an die Philipper (hier: Phil. 2, 10-11).

Die „Frankfurter Silberinschrift“ ist somit eines der bedeutendsten Zeugnisse des frühen Christentums weltweit. Ihre Entdeckung eröffnet für die Archäologie, die historischen Wissenschaften und die Theologie neue Horizonte, aber auch eine Vielzahl neuer Fragestellungen.

Zusammen mit der Auswertung des gesamten Gräberfeldes „Heilmannstraße“ modifizieren diese Ergebnisse manche bislang in der Forschung gängigen Vorstellungen vom Ende des rechtsrheinischen Limesgebiets in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. und verdeutlichen die herausragende Stellung von NIDA innerhalb des römischen Germaniens. Die Stadt NIDA war ein administratives, wirtschaftliches und religiöses Zentrum im Hinterland des Obergermanischen Limes und bis zu ihrer Aufgabe um 270/275 n. Chr. die bedeutendste römische Stadt rechts des Rheins, gekennzeichnet durch eine außergewöhnliche kulturelle und religiöse Vielfalt.


Projektbeteiligte

Das Projekt zeigt beispielhaft, die Synergien der Zusammenarbeit verschiedener Institutionen und Projektpartner.

Stadt Frankfurt am Main
Archäologisches Museum Frankfurt (Dezernat Kultur und Wissenschaft)
Denkmalamt Frankfurt (Dezernat Planen und Wohnen)
Leibniz-Institut für Archäologie in Mainz (LEIZA)
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Universität Regensburg
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Verbund Archäologie Rhein-Main (VARM)


Foto:
Abbildung des gerade einmal 3,5 Zentimeter großen Silberamuletts, in dem ein dünnes Silberblech mit geheimnisvoller Gravur eingerollt ist: Die „Frankfurter Silberinschrift“ (1),
©Archäologisches Museum Frankfurt, Foto: Uwe Dettmar

Info:
Quelle: Presseamt Stadt Frankfurt