„Frankfurter Silberinschrift“: Geheimnisvolles Silberamulett stellt Wissenschaft auf den Kopf, Teil 2/3
Redaktion
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Grabung und Fundsituation erläutert Dr. Andrea Hampel, Amtsleiterin des Denkmalamts Frankfurt am Main:„In einer dynamischen Stadt wie Frankfurt ist die Bodendenkmalpflege in der gesamten Stadt bei Baumaßnahmen gefordert. Nicht immer werden dabei sensationelle Funde gemacht – aber fast immer gibt es neue und ergänzende Erkenntnisse und immer schreiben wir ein neues Kapitel der Stadtgeschichte. Dabei wird auch klar, was verloren geht, wenn es keine Denkmalpflege gibt. Funde wie die ‚Frankfurter Silberinschrift‘ sind nur durch die stetige Arbeit eines spezialisierten Teams möglich. Schon jetzt reicht die Entdeckung des Fundstücks ohne Frage über den Fachbereich der Archäologie und über Frankfurt hinaus und fordert die weitere wissenschaftliche Untersuchungen und Beratungen in einer großen Zahl von Wissenschaftsfeldern. Seine tatsächliche Bedeutung wird erst dann vollumfänglich deutlich werden. Aber eines ist schon heute klar: Die ‚Frankfurter Silberinschrift‘ wird buchstäblich Geschichte schreiben.“
Restaurierung und Aufbereitung
Dr. Wolfgang David, Leitender Direktor Archäologisches Museum Frankfurt:
„Der Öffentlichkeit kann in beispielhafter Weise ein Eindruck vermittelt werden, was einen archäologischen Sensationsfund von mindestens europäischer Bedeutung ausmacht, den man eher im Mittelmeerraum als in Frankfurt erwarten würde; von seiner Bergung bei einer planmäßigen Ausgrabung im Frankfurter Stadtgebiet (Heilmannstraße) über seinen Weg in die Restaurierungslabors des Archäologischen Museums und die anschließende mehrjährige wissenschaftliche Erforschung, bis ihm unter Anwendung modernster Verfahren und souveräner Kenntnis spätantiker christlicher Texte schließlich sein „Geheimnis“ entlockt werden konnte. Der Fund der fast 1800 Jahre alten christlichen Inschrift auf der Silberfolie wird aufgrund seines Alters und Inhaltes und der Lage des Fundortes im Hinterland der ehemaligen Nordgrenze des Römischen Weltreiches – und nicht etwa im Mittelmeerraum – in die Handbücher eingehen.“
Birgit Schwahn, Diplom-Restauratorin, Konservierung/Restaurierung, Archäologisches Museum Frankfurt:
„Die konservatorische und restauratorische Bearbeitung des Frankfurter Amuletts stellt die Grundlage aller weiterführenden Untersuchungen dar. Der Erhaltungszustand des Fundes wurde unter Einbeziehung naturwissenschaftlicher Methoden erfasst. Daraufhin konnte die komplizierte Entnahme der Schriftrolle aus der Kapsel erfolgen, womit die optimale Voraussetzung für eine erfolgreiche Computertomographie geschaffen war. Das Ergebnis der digitalen Entrollung ist von so hoher Qualität, dass sie eine Lesung der Inschrift ermöglicht, ohne weitere Maßnahmen an der fragilen silbernen Schriftrolle vornehmen zu müssen. Das bietet eine weitreichende Perspektive für Restauratorinnen und Restauratoren, die im Rahmen ihrer Arbeit und ihrer Entscheidungen stets Chancen gegen Risiken abzuwägen sowie eine Verantwortung für die Bewahrung unseres Kulturgutes zu tragen haben.“
Dr. Carsten Wenzel, provinzialrömische Archäologie, Archäologisches Museum Frankfurt:
„Die Entdeckung der ‚Frankfurter Silberinschrift' öffnet für die Archäologie und Geschichte der Römischen Provinzen neue Denkräume; man könnte sogar sagen, es gibt eine Zeit vor und nach der Lesung. Bei der Bearbeitung des Gräberfeldes Heilmannstraße, von dem das Objekt stammt, fielen uns von Anfang eine Reihe von Besonderheiten auf: die ungewöhnliche Lage abseits der Ausfallstraßen der römischen Stadt, die absolute Dominanz von Körperbestattungen, von denen die Hälfte keine Beigaben enthielt, während die anderen Gräber teilweise ungewöhnliche und herausragende Beigaben-Ensembles enthielten. Schnell stand die Frage im Raum: Was für eine (soziale, ethnische) Gruppe ließ sich hier im 3. Jahrhundert n. Chr. bestatten? Die Frage nach einer möglichen religiös-kultischen Komponente erschien uns zunächst nicht vorstellbar – Christen in Nida? Nach geltender Forschungsmeinung schwer vorstellbar. Dazu hätte es eines absoluten Glücksfalls bedurft! Aber etwas in dieser Form hätten wir uns bei aller Phantasie nicht vorstellen können. Jetzt stellen sich Fragen neu und anders; wir werden, können und müssen bei der Bewertung des Gräberfeldes auch in eine zuvor undenkbare Richtung denken.“
Dr. Peter Fasold, ehem. Kustos der Provinzialrömischen Archäologie im Archäologischen Museum Frankfurt a.D.:
„Grab 134 ist ein Glücksfall für die Frankfurter Archäologie und die Erforschung des Christentums im heutigen Deutschland. Der dort Mitte des 3. Jahrhunderts bestattete Tote gibt sich uns als erster nördlich der Alpen als Anhänger Jesu zu erkennen. Die ‚Frankfurter Silberinschrift‘, mit der er sein Leben unter den Schutz des Heiligen Titus gestellt hatte, nahm er mit ins Grab. Neben dem ersten handfesten Beleg für das Christentum in unserem Raum haben wir hier auch die sterblichen Überreste des Gläubigen, die sich wissenschaftlich untersuchen lassen. Das bietet ganz neue Erkenntnismöglichkeiten für die Auswertung. Aber auch das Gräberfeld Heilmannstraße insgesamt erlaubt, die Geschichte Nidas in Teilen neu zu schreiben: Das Ende der Siedlung lässt sich nun auf einen späteren Zeitpunkt sicher datieren. Die religiöse Toleranz des Römischen Reiches kommt darin zum Ausdruck, dass die Verstorbenen, unabhängig von ihren Jenseitsvorstellungen und religiösen Haltungen, dort ihre letzte Ruhe fanden.“
Lesung und Deutung der Inschrift
Prof. Dr. Markus Scholz, Archäologie und Geschichte der römischen Provinzen am Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main:
„Die Entzifferung der Frankfurter Silberinschrift gelang durch interdisziplinäre Zusammenarbeit. Grundvoraussetzung erfolgreicher Entzifferung ist die adäquate Sichtbarkeit beziehungsweise Sichtbarmachung aller Schriftzeichen und ihre Unterscheidung von zufälligen Kratzern oder anderen Beschädigungen. Dies auf virtuellem Weg geschafft zu haben, ist angesichts der polygonalen Verformung des Blechs durch Rollen, Knittern und Risse eine herausragende Leistung der Kollegen vom LEIZA. Der Text weist die übliche Varianz bei der Lesbarkeit von Handschriften auf. Mehrere Buchstaben sehen in der lateinischen Kursivschrift ähnlich aus, sind also mehrdeutig und verwechselbar. Die richtige Lösung muss dann aus dem Vokabular und dem Sinnzusammenhang erschlossen werden. Das gilt insbesondere für die zu ergänzenden Textlücken. Hierbei erwies sich die Bibelfestigkeit der theologischen Kollegen als Schlüssel, indem sie mich auf die richtige Spur setzten. Manchmal sieht man nur, was man weiß. Durch enge Zusammenarbeit aller Beteiligten und wiederholte Überprüfung näherten wir uns der Lösung, manchmal regelrecht um einzelne Hasten (Striche) ringend. Es blieb dabei nicht aus, dass vermeintlich entschlüsselte Stellen wieder verworfen und revidiert werden mussten. Dieses Vorgehen erfordert Geduld und Hartnäckigkeit.“
Prof. Dr. Alexandra Busch, Generaldirektorin Leibniz-Zentrum für Archäologie Mainz:
„Wir freuen uns sehr, an der Erforschung dieses besonderen Fundes mit der Expertise von IMPALA, dem Labor für bildgebende Verfahren am LEIZA, entscheidend beigetragen zu haben. Mit unserem breiten Portfolio an wissenschaftlicher Kompetenz und hochmoderner Forschungsinfrastruktur konnten wir die Inschrift lesbar machen und darüber hinaus noch Daten zur Materialbeschaffenheit beisteuern. Die wissenschaftlichen Ergebnisse zeigen ganz hervorragend, welche Erkenntnisse zur Entwicklung der Menschheit in gemeinsamer, interdisziplinärer Forschungsarbeit im Verbund Archäologien Rhein-Main und darüber hinaus möglich sind.“
Dr. Ivan Calandra, Laborleiter für bildgebende Verfahren am LEIZA / Leiter der „IMPALA – Imaging Platform at LEIZA“:
„Am LEIZA steht uns ein leistungsstarker 3D-Computertomograph (CT) zur Verfügung. Das System zählt zu den bildgebenden Verfahren, die es ermöglichen, Objekte zerstörungsfrei zu untersuchen. Aufgrund der innovativen industriellen Röntgentechnologie eignet es sich sowohl für die Analyse großer und schwerer Objekte als auch für filigrane Stücke wie die Frankfurter Silberinschrift. Mit dem 3D-CT können wir zum Beispiel sehen, was sich in einer sogenannten Blockbergung befindet, also der Bergung archäologischer Befunde zusammen mit dem umgebenden Erdreich. Anhand der Ergebnisse können wir dann entscheiden, ob die einzelnen Stücke restauriert oder nur konserviert werden sollen. Ebenso können wir sozusagen in verschlossene Gefäße schauen, ohne sie zu öffnen. Damit schützen wir das Objekt vor weiteren Schäden.“
Dr. Jörg Stelzner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der „IMPALA – Imaging Platform at LEIZA“:
„Aufgrund des fragilen Zustands des Objekts wäre das Lesen des Textes ohne den Einsatz der Computertomographie nicht möglich gewesen. Das Silberblech, aus dem die Schriftrolle gefertigt wurde, ist stark korrodiert und liegt zum Teil in kleinen Fragmenten vor. Anhand der hochaufgelösten CT-Daten war es mir aber möglich, Fragmente virtuell zusammenzusetzen und die Schnittebenen so anzupassen, dass sie die Krümmung der Schriftrolle wiedergeben. Dadurch ließ sich die Schrift auf eine Ebene projizieren und lesbar machen. Besonders herausfordernd waren hierbei die Bereiche, die neben der Aufrollung Knicke und Risse aufweisen. Zudem liegen die Schichten des nur 50 Mikrometer, also 0,05 Millimeter, starken Silberblechs an einigen Stellen eng aufeinander.“
Theologische Bedeutung
Prof. Dr. Harald Buchinger, Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft, Fakultät für Katholische Theologie, Universität Regensburg:
„Mit dem Dreimalheilig am Anfang der ‚Frankfurter Silberinschrift‘ – noch dazu in griechischer Sprache in einem ansonsten lateinischen Text – ist der Fund insofern eine Sensation, als er zwingt, die Geschichte der christlichen Verwendung dieser biblischen Formel neuzuschreiben. Der dreifache ‚Heilig‘-Ruf verbreitet sich in der Liturgie ab dem 4. Jahrhundert überall als ein Höhepunkt der Messfeier und ist bislang erst in weiterer Folge ab dem 5. Jahrhundert auch auf Amuletten bezeugt. Der Frankfurter Fund bietet nun ein mit Abstand älteres Zeugnis, das auch die fundamentale Frage nach der Richtung des Einflusses zwischen der liturgischen Akklamation und ihrem ‚magischen‘ Gebrauch neu stellt.“
Prof. Dr. Hartmut Leppin, (derzeit Wissenschaftskolleg Berlin), Historisches Seminar, Abteilung für Alte Geschichte, Goethe-Universität Frankfurt:
„Als Markus Scholz mir seine großartige Entdeckung zeigte, war ich sofort wie elektrisiert und machte mich daran, den historischen Kontext auszuloten. Wir haben nur wenige Zeugnisse über das Christentum aus den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt. Die meisten davon sind theologische Schriften und Märtyrerberichte. Die ‚Frankfurter Silberinschrift‘ hingegen ist eines der ganz wenigen Zeugnisse des religiösen Alltagslebens und auch deswegen wichtig, weil es rein christlich ist. Andere Amulette erwähnen Gestalten aus verschiedenen Religionen, darunter vielleicht auch Jesus. Auch deswegen ist der Frankfurter Fund von größter Bedeutung.“
Prof. Dr. Wolfram Kinzig, Evangelisch-Theologisches Seminar, Abteilung für Kirchengeschichte, Universität Bonn:
„Die ‚Frankfurter Silberinschrift‘ ist eines der ältesten Zeugnisse für die Verbreitung des Neuen Testaments im römischen Germanien, denn es zitiert Philipper 2,10-11 in lateinischer Übersetzung. Es zeigt eindrucksvoll, wie biblische Zitate zu magischen Zwecken verwendet wurden, um die Verstorbenen zu schützen. Das Amulett enthält außerdem wichtige Hinweise auf die frühe Entwicklung liturgischer Formeln aus einer Zeit, aus der uns keine vollständigen lateinischen Liturgien erhalten sind. Es ist darum von unschätzbarem Wert für die Geschichte der Bibel wie des christlichen Gottesdienstes.“
Foto:
Eine Mitarbeiterin des Denkmalamts Frankfurt legt mit einer scharf angeschliffenen Kelle vorsichtig ein Grab frei. Deutlich zu erkennen ist der römische Faltenbecher, ein Tongefäß, das dem Toten mit ins Grab gegeben wurde,
©Denkmalamt Stadt Frankfurt am Main, Foto: Michael Obst
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Quelle: Presseamt Stadt Frankfurt