Bildschirmfoto 2025 02 01 um 00.12.13Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis 2025 geht in Frankfurt an Tobias Ackels

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wir riechen schneller als gedacht: Biologe der Universität Bonn hat die zeitliche Dimension des Geruchssinns entdeckt. Dieser Biologe ist Prof. Dr. Tobias Ackels (40) von der Universität Bonn, der mit dem Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis 2025 ausgezeichnet wird. Das gab der Stiftungsrat der Paul Ehrlich-Stiftung am 28. Januar bekannt. Der Preisträger hat entdeckt, dass Säugetiere schneller riechen als atmen. Er hat gezeigt, dass ihre Nervenzellen aus einer dynamischen Duftwolke bis zu 40mal pro Sekunde neue Informationen ableiten können.

Damit hat er die bisher gültige Annahme widerlegt, dass der Geruchssinn langsam ist. Er hat auch ein neues Tor zum Verständnis der Gehirnfunktion insgesamt aufgestoßen und arbeitet darauf hin, diesen grundlegenden Mechanismus für die Frühdiagnostik dementieller Erkrankungen einzusetzen.

 
Ohne ihren Geruchssinn könnten viele Tierarten nicht überleben. Sie sind auf ihn angewiesen, um sich Nahrungsquellen zu erschließen, Partner zu finden und Raubtieren auszuweichen. Für nachtaktive Tiere ist er das wichtigste Instrument, um sich schnüffelnd im Raum zu orientieren, wenn es dunkel ist. Das ist schwierig, denn jeder Geruch setzt sich aus vielen verschiedenen Molekülen und jede natürliche Duftwolke wiederum aus vielen wechselnden Gerüchen zusammen. Als kleinste Informationseinheit der Geruchsverarbeitung galt bisher ein „Schnupperzug“. Tobias Ackels hat bewiesen, dass das nicht stimmt. Dafür konstruierte er ein Geruchsapplikationsgerät, durch dessen Ventile er Duftstoffe einzeln oder gemischt in präzisen Millisekunden-Impulsen abgeben kann. Dabei zeigte sich: Auch zwischen jedem einzelnen Schnüffeln nehmen Säugetiere Informationen auf, die ihr Verhalten steuern können.

Gerüche werden bei Mäusen wie bei Menschen von Riechzellen in der Nasenschleimhaut registriert. Jede dieser Nervenzellen trägt nur einen Typ von Geruchsrezeptoren. Mäuse haben mehr als 1000 solcher Typen, Menschen etwa 350. Jeweils einige Tausend Riechzellen tragen den gleichen Rezeptor. Bindet ein Geruchsstoff daran, dann löst er damit eine Signalkaskade im Inneren der Zelle aus. Diese Kaskade ist relativ langsam. Sie leitet über das Hauptkabel (Axon) der betreffenden Riechzelle eine Informationswelle, die zu einer Schaltstation im Riechkolben an der Basis des Gehirns führt. In jeder Schaltstation (Glomerulus) laufen Informationen von den Axonen der Riechzellen eines einzelnen Rezeptortyps zusammen – und zwar mit geringem zeitlichen Versatz, weil diese Zellen in der Nasenschleimhaut weit verteilt sind und folglich von „ihrem Geruch“ nicht gleichzeitig erreicht werden. Diese zeitversetzte Konvergenz erhöht den Informationsgehalt der Signale aus den Riechzellen. Sie bildet im nervösen Input des Riechkolbens das Duftreservoir ab, das nach jedem Atemzug in der Nasenschleimhaut gespeichert wird, und macht ihn dadurch empfänglich für schnell wechselnde Stimuli, die sonst verlorengingen. Tobias Ackels bestätigte diese Hypothese zunächst in einem Computermodell und dann in fluoreszenzmikroskopischen Bestimmungen der Nervenzellaktivität von Mäusen, die solchen Stimuli ausgesetzt waren.

Anschließend präsentierte Ackels einer Schar durstiger Mäuse synchron oder asynchron korrelierte Mischungen zweier Duftstoffe. So simulierte er die Situation in einer natürlichen Umgebung. Synchrone Gerüche entstammen dort demselben Ort, asynchrone kommen von unterschiedlichen Orten. Die Hälfte der Mäuse wurde mit Wasser belohnt, wenn sie einen synchronen, die andere Hälfte, wenn sie einen asynchronen Stimulus erkannte. Beide Gruppen lernten die Unterscheidung und meisterten sie bis zu einer Frequenz von 40 Hertz. Dies lässt darauf schließen, dass Säugetiere diese Fähigkeit der blitzschnellen Diskriminierung der Quellen verschiedener Geruchssignale nutzen können, um sich im Raum zu orientieren. Auch für uns Menschen ist das wichtig: Einen Waldbrand zum Beispiel riechen wir, bevor wir ihn sehen.

Kodiert wird diese Fähigkeit, wie Ackels belegte, im Output des Riechkolbens: In den Mitral- und Büschelzellen also, die Geruchsinformation aus den Glomeruli ohne Umweg über das Zwischenhirn in die Rinde des Riechhirns und des limbischen Systems senden, die besonders stark mit Emotion und Erinnerung verknüpft sind. Nur Interneurone sind als Vermittler in diese Schaltkreise integriert. Körnerzellen vor allem, die sich im Riechkolben lebenslang erneuern – entgegen dem einstigen Dogma, erwachsene Nervenzellen seien nicht mehr teilungsfähig. Wie sie dazu beitragen, Informationen aus dem Riechkolben zu extrahieren und höheren Hirnregionen mitzuteilen, erforscht Tobias Ackels derzeit mit Unterstützung des European Research Council (ERC). Seine Ergebnisse könnten exemplarische Bedeutung gewinnen. Gelten die Interneurone doch zunehmend als Dirigenten des Fühlens und Denkens. Zudem mehren sich die Anzeichen, dass Riechdefizite den strukturellen Veränderungen, der Gedächtnisschwäche sowie den klinischen Symptomen einer Demenz vorausgehen und deshalb deren Früherkennung dienen könnten – eine mögliche Translation seiner Grundlagenforschung, über die Tobias Ackels mit den Klinikern am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Bonn in engem Austausch steht.

Prof. Dr. rer. nat. Tobias Ackels studierte von 2005 bis 2011 Biologie an der RWTH Aachen. 2015 wurde er dort mit einer Arbeit über die Signalverarbeitung im olfaktorischen System von Säugetieren promoviert. Als Postdoktorand gehörte er von 2015 bis 2023 der Gruppe von Prof. Andreas Schäfer am Francis Crick Institute in London an. Im August 2023 kehrte er nach Deutschland zurück und übernahm eine W2-Professur an der Universität Bonn. Am Institut für Experimentelle Epileptologie und Kognitionsforschung des Universitätsklinikums Bonn (UKB) leitet er die Gruppe “Sensory Dynamics and Behaviour”. Im selben Jahr wurde ihm ein ERC Starting Grant zugesprochen.

Der Preis wird – zusammen mit dem Hauptpreis 2025 ­– am 14. März 2025 um 17 Uhr vom Vorsitzenden des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung in der Frankfurter Paulskirche verliehen.

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Info:
Ausführliche Hintergrundinformation „Dem tiefsten Sinn auf der Spur“ zum Download auf: www.paul-ehrlich-stiftung.de

Der 2006 erstmals vergebene Paul Ehrlich- und Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis wird von der Paul Ehrlich-Stiftung einmal jährlich an einen in Deutschland tätigen Nachwuchswissenschaftler oder eine in Deutschland tätige Nachwuchswissenschaftlerin verliehen, und zwar für herausragende Leistungen in der biomedizinischen Forschung. Das Preisgeld von 60.000 € muss forschungsbezogen verwendet werden. Vorschlagsberechtigt sind Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen sowie leitende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an deutschen Forschungseinrichtungen. Die Auswahl der Preisträger erfolgt durch den Stiftungsrat auf Vorschlag einer achtköpfigen Auswahlkommission.

 

Die Paul Ehrlich-Stiftung ist eine rechtlich unselbstständige Stiftung, die treuhänderisch von der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität verwaltet wird. Ehrenpräsidentin der 1929 von Hedwig Ehrlich eingerichteten Stiftung ist Professorin Dr. Katja Becker, Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die auch die gewählten Mitglieder des Stiftungsrates und des Kuratoriums beruft. Vorsitzender des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung ist Professor Dr. Thomas Boehm, Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg, Vorsitzender des Kuratoriums ist Professor Dr. Jochen Maas. Prof. Dr. Wilhelm Bender ist in seiner Funktion als Vorsitzender der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität zugleich Mitglied des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung. Der Präsident der Goethe-Universität ist in dieser Funktion zugleich Mitglied des Kuratoriums.

 

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