‚Uniland ist abgebrannt/Notizen zur Bologna-Reform‘ contra ‚Der Wandel selbst muss Bildungsinhalt werden‘
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Die Vorlesung des Erziehungswissenschaftlers Ludwig A Pongratz am 01.12.2016 an der Goethe Universität in Hörsaal 5 gegen das Interview mit Wassilios Fthenakis, Präsident des Bildungsverbands Didacta in der FR vom 03.12.2016 – die zwei Termine trennte nicht nur der Zweitagesabstand. Sie stehen zueinander wie Feuer und Wasser.
Vertreter diametral unterschiedlicher Bildungsschulen trafen im Zweitagesabstand virtualiter aufeinander. Der eine sprach im Rahmen der Ringvorlesung Universität 365° – die von vier Studentinnen an der Johann Wolfgang Goethe-Universität mit 15 Abenden organisiert wird – zu einer fragwürdigen Bologna Reform, der andere vertrat im Interview eben das, was am Bologna-Prozess fragwürdig ist und einen Erziehungswissenschaftler von echtem Schrot und Korn zur Weißglut treibt.
Der Terminus ‚Plastikworte‘ von Ludwig Pongratz markiert das passgenaue Andidot=Gegengift zum bildungstechnokratischen Ansatz von Wassilios Fthenakis. Die Gegenargumente von Ludwig A. Pongratz wurden uns zur Gegenkritik. Die umgehende Reaktion im Geist der emanzipatorischen Erziehungswissenschaft mag der Kürze halber für sich stehen. Es soll ein Schlaglicht ausgesandt werden.
Bezug: ,Der Wandel selbst muss Bildungsinhalt werden‘, Interview mit Wassilios Fthenakis, FR 03.12.2016.- Einwendung des Autors:
Die Standpunkte von Herrn Fthenakis, Präsident des Bildungsverbands Didacta, über schulisches und außerschulisches Lernen im Zeichen der Industrie 4.0 sind eine echte Zumutung. Der Titel schleppt schon gleich eine gewaltsame These ein. Kann das Bildung guttun? Dieses Interview zur Bildungsdiskussion ist so sehr von Phrasenhaftigkeit dominiert wie der Bologna-Prozess, die besserwisserische, selbstsuggestive Tonlage des Bildungstechnokraten strebt nach Vorherrschaft.
Es ist kaum erträglich wie in Europa Kinder von früh an für den Verwertungsprozess des Kapitals an die Kandare genommen werden. Das ist der eigentliche, wenn auch im Grunde verhohlene Bildungszweck. Die gefestigte eigene Persönlichkeit ist nicht gefragt, Industrie 4.0 wird zum Schlagwort, deren Digitalisierung zu 4.0 ist nicht der Bildungsidee der sich gewinnenden Person und Persönlichkeit unterstellt, sondern hat Rationalisierung zu steigern und Gewinn zu maximieren. Google hat bis heute kein Geschäftsmodell – es ist ein dürftiges Finanzkonstrukt, das verzweifelt nach Sinn sucht.
Bologna leidet am mechanisierten Bildungsbegriff
Die EU baut unreflektiert auf Kapitalinteressen, das ist ihre eigentliche Crux. Der giergetriebene Kapitalismus hat sich mit dem Finanzkollaps von 2008 diskreditiert. Der Bologna-Prozess gilt in aufgeklärten Kreisen als gescheitert, er ist ein Programm zur Zerstückelung des Individuums im Dienst der Kapitalverwertung, fern der Ergiebigkeit für die Bildung von Menschen, die es zur Verantwortung für die eigene und die fremde Kreatürlichkeit drängt. Bildung befördert immer mehr ein Schmalspurdenken, liefert Jugend an ihre eigenen Totengräber aus. Daher braucht dieses Europa auch keine jungen Menschen, wie die hohe Arbeitslosenrate unter jungen Leuten anzeigt. Bologna-Europa, das ist Unterricht und Universität im kapitalistischen Verwertungsprozess.
Herr Fthenakis arbeitet mit erschrecklichen Klischees und Plastikwörtern wie: massiv, rapid, konsistent; Digitalisierung, Entwicklungspsychologie (im Dienst der Verwertbarkeit), Kompetenz (ein zu Tod gehetztes Wortmonstrum), Industrie 4.0 (neues Heil ist im Anzug). Offenherziger Weise lässt er die Katze aus dem Sack, wenn er von Bildungsinvestitionen schwadroniert, die ‚den höchsten Profit bringen‘. Im Zusammenhang mit Menschenbildung ist er sich nicht zu schade, über den Zusammenhang zwischen der Höhe der Investitionen und dem Output (eine peinliche ökonomische Protzvokabel) zu philosophieren. Der Interviewer fragt ihn: ‚In der Politik ist das noch nicht angekommen?‘ – Immerhin, der Fragende entlockt ihm damit den Begriff digitale Modernisierung, auch so eine abgenutzte Bezeichnung für den sensiblen Prozess der menschlichen Bildung.
Digitale Bildung – immer höher gesteigert - ist keine Bildung, sie ist zunächst bloß Ausbildung an einer Rationalisierungstechnik - mehr nicht. Sie muss noch ins Humanum verwoben werden. Zwar betrachtet Herr Fthenakis die Familie als wichtigsten Bildungsort, aber nur, um das sogenannte Selbstkonzept und daraus abgeleitet, ausgerechnet das mit Würde behaftete Selbstwertgefühl zu optimieren.
Aufgezurrte Plastikwörter
Plastikwörter (nach Ludwig A. Pongratz), Wortungeheur der neuen Unbildung sind: Information, Wissensexplosion, Bildungsmarkt, Autonomie, Kompetenz, Transparenz, überhaupt alles Zusammengesetzte mit Selbst: Selbstbildung lebenslang, Selbstunternehmer, Selbstoptimierung, Selbstakkreditierung; effizient, effektiv, innovativ, produktiv; Mentoring, Monitoring, Zertifizierung, Controlling; Modularisierung, Evaluation - die Reihe kann erweitert werden. Es geht um Fertigungskontrolle, Endabnahme und Vermarktung. Der ausgiebiger Studierende, der auf eine Sache genauer eingeht und Um- und Abwege beschreitet, ist persona non grata. Zu jeder Stunde des Bologna-Prozesses weiß der Controller, wo und woran der Kandidat gerade sitzt. Was würde Humboldt dazu wohl sagen?
So viele herumgereichte Bildungswörter haben Fetischcharakter, sie entstammen dem Takt und Umfeld der Betriebswirtschaft, wollen Pracht, Größe und lieferbare Effizienz affektieren. Es ist eher ein Räderwerk der Vereitelung von Bildung. Bildung ist nicht rationalisierbar, ist ein spezifischer Prozess des menschlichen Geistes und natürlichen Wesens, der weder allein durch Fremd- noch durch hyperaktives Selbstlernen zu erlangen, geschweige denn ohne weiteres ‚zu organisieren‘ ist. Bildung ist, wenn sie gelingt, wie im Fall eines Wilhelm von Humboldt, ein durchaus geheimnisvoller Prozess, sehr eigen, sehr intim und mit Glückserfahrung verbunden - wenn er fast wie nebenbei dann doch gelingt, dann kann ausgerufen werden: Das ist es! - In den gegenwärtigen Bildungsmolochen schlägt sich untrüglich so etwas wie der ‚Terror der Ökonomie‘ nieder, von dem Viviane Forrester 1997 schrieb.
Foto: (c) Ludwig A.Pongratz © Heinz Markert
Info:
Uniland ist abgebrannt. Notizen zur Bologna-Reform, Prof. Dr. Ludwig. A. Pongratz, Vorlesung im Rahmen der Ringvorlesung von Universität 365° am 01.12.2016.
,Der Wandel selbst muss Bildungsinhalt werden‘, Interview mit Wassilios Fthenakis, FR 03.12.2016