Der Judaist Christian Wiese veranstaltet in Jerusalem Tagung zum Lutherjahr

Hubertus von Bramnitz

Frankfurt am Main (Welexpresso) -  Ein Novum in der Forschung zur Auswirkung der Reformation auf die jüdisch-christlichen Beziehungen: Am Sonntag, 12. Februar,begann in Jerusalem eine dreitägige Tagung mit dem Titel „500 Years of Reformation: Jews and Protestants – Judaism and Protestantism“. Mit-Organisator war Professor Christian Wiese, Inhaber der Martin-Buber-Professur an der Goethe-Universität. Erstmals fand damit in Israel ein internationaler, interdisziplinärer wissenschaftlicher Austausch über das Verhältnis von Juden und Protestanten statt.

Luther hat zwei sehr unterschiedliche Schriften zum Judentum verfasst, die seither immer wieder als Grundlage des Verhältnisses zwischen Christen und Juden herhielten. Die erste stammt aus dem Jahr 1523, darin kritisierte er die spätmittelalterliche Judenfeindschaft und verlangte eine missionarische Zuwendung zum Judentum – dies ist zumindest in politischer, wenn auch nicht in theologischer Hinsicht, eine verhältnismäßig „positive“ Schrift. 20 Jahre später beschuldigte er die Juden in einer hasserfüllten Schrift eines hartnäckigen, verbrecherischen Starrsinns. Nun forderte er die evangelischen Fürsten zur systematischen Diskriminierung oder Vertreibung der jüdischen Bevölkerung auf, zur Verbrennung ihrer Synagogen, und erneuerte dazu die judenfeindlichen Stereotype, die er zu Beginn der Reformation noch verworfen hatte. Eine Schrift mit unheilvollen Folgen. So waren Luthers Worte in der Geschichte des modernen Antisemitismus, nicht zuletzt bei den Pogromen 1938 allgegenwärtig.

 

Dennoch sei der jüdische Blick auf Luther durchaus nicht nur negativ, sagt Prof. Christian Wiese, Inhaber der Martin-Buber-Professur am Fachbereich Evangelische Theologie der Goethe-Universität. „Im 19. und frühen 20. Jahrhundert gab es eine zum Teil sehr positive Lutherrezeption im Judentum“, sagt Wiese. Man habe den Reformator vielfach idealisierend als Vordenker von Aufklärung und Freiheitsdenken gedeutet und so der kirchlichen Judenfeindschaft widersprochen. In Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum in diesem Jahr befassten sich viele jüdische Gemeinden in Deutschland wieder verstärkt mit der Bedeutung Luthers und der Reformation für das Judentum und das jüdisch-christliche Gespräch der Gegenwart.

 

Die Tagung in Jerusalem, die in enger Zusammenarbeit mit dem dortigen Leo-Baeck-Institut, dem History Department der Hebrew University Jerusalem, der Tel Aviv University und der Evangelischen Kirche in Deutschland zustande kam, nahm dieses Verhältnis nun wissenschaftlich in den Blick. Ziel und Alleinstellungsmerkmal dieser Tagung, die von jüdischen und nichtjüdischen Historikern und Theologen aus Israel, den USA, Deutschland, Kanada, Polen, England und Tschechien bestritten wird, ist es, die Beziehungsgeschichte von Reformation und Judentum sowie Protestantismus und Judentum umfassend zu untersuchen. Dabei soll diese Beziehungsgeschichte eben auch aus der Engführung der Diskussion um die so genannten „Judenschriften“ Luthers befreit werden. „Mit Blick auf den Facettenreichtum der jüdischen Erfahrungsgeschichte mit der Reformation und ihren Folgen gibt es noch sehr viel zu forschen“, sagt der Judaist und Theologe Christian Wiese.

 

Die bisherige Fachdiskussion, betont er, sei vor allem innerchristlich geführt worden, die starke Beteiligung jüdischer Historiker und Theologen auf dem internationalen Forum werde den Blick öffnen. Im Zentrum standen weniger innertheologische Betrachtungen, sondern die Rekonstruktion der komplexen – negativen wie positiven – gemeinsamen Geschichte jüdisch-protestantischer Begegnung und Auseinandersetzung aus historischer Sicht. Als Keynote Speaker konnte Prof. Susannah Heschel (Dartmouth College) gewonnen werden, die sich auf dem Gebiet der Erforschung der jüdisch-christlichen Beziehungen der Moderne einen Namen gemacht hat. Sie spricht zum Thema „Is God a Virgin? Theological Benefits and Problems in the Protestant-Jewish Relationship“.

 

Die Konferenz, die von der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität und von der Stiftung zur Förderung internationaler Beziehungen finanziell unterstützt wird, sollte ein neues Kapitel in der Forschung aufschlagen: Prof. Wiese hofft, dass die Veranstaltung eine neue, kollaborative Geschichtsschreibung zum Verhältnis von Judentum und Reformation, Judentum und Protestantismus unter Einbeziehung der jüdischen Perspektive anstoßen und weitere deutsch-jüdische sowie deutsch-israelische Projekte nach sich ziehen wird. Im Sommersemester 2017 finden an der Goethe-Universität eine öffentliche Ringvorlesung zum Thema „Judentum und Protestantismus – historische und theologische Perspektiven“ und ein Symposium statt, als gemeinsames Projekt der Martin-Buber-Professur und des Leo-Baeck-Instituts. Hier wird es ein Wiedersehen mit einigen der Teilnehmer der Jerusalemer Konferenz geben.

Foto:  (c) uni-frankfurt.de