Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Juristin und Frauenrechtlerin Seyran Ates bewies Mut, als sie eine liberale Moschee initiierte, die am 16. Juni in Berlin eröffnet wurde.
Doch wie zu erwarten, ließ die Kritik der Orthodoxie nicht lange auf sich warten. Die türkische Religionsbehörde Diyanet, die in Deutschland über eine Zweigniederlassung verfügt, nämlich den Verein Ditib, witterte eine Verschwörung. Die neue Moschee stünde in Verbindung mit Fetö, der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen. "Es ist offensichtlich, dass das ein Projekt des Religionsumbaus ist, das seit Jahren unter der Federführung von Fetö und ähnlichen unheilvollen Organisationen durchgeführt wird", ließ sie offiziell verlauten.
Solche Vorwürfe verweisen eindeutig auf ihren Urheber, den türkischen Staatspräsidenten Erdogan, der die Gülen-Bewegung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich macht. Mutmaßlich um von den tatsächlichen Putschisten abzulenken. Kritiker sehen diese beim Präsidenten und dessen engstem Kreis selbst. Das ist zwar auch eine Verschwörungstheorie, aber eine, die alles in allem glaubhaft erscheint.
Erdogan, der die säkulare Türkei des Staatsgründers Atatürk in Richtung einer islamischen Republik verändern will, setzt auf eine entpolitisierte Bevölkerung, deren unhistorisch-fundamentalistisches Islamverständnis keinen Widerstand gegen die autoritären Bestrebungen der AKP erwarten lässt. Folglich wird jede Infragestellung der Orthodoxie, auch solche von außerhalb des Landes, gefürchtet. So wirft Diyanet der liberalen Berliner Moschee vor, „die Grundsätze unserer erhabenen Religion [zu] missachten“. Es handele sich um Versuche, die Religion "zu untergraben und zu zerstören". Die "gläubigen Brüder" (von Schwestern ist keine Rede) sollten sich nicht provozieren lassen. Denn dort vollzieht sich anscheinend Unschamhaftes: Frauen und Männer beten nebeneinander, hierbei kann es, wenn der Saal voll ist, auch zu Körperberührungen kommen! Die Frauen entscheiden, ob sie ein Kopftuch tragen wollen oder nicht. Das erste Freitagsgebet leiteten ein Mann und eine Frau gemeinsam. Die Imamin trug kein Kopftuch.
Kritik hagelt es auch von anderer Seite. Die Fatwa-Behörde in Ägypten, Dar al-Ifta, kritisierte: "Nein zur Verletzung der religiösen Grundlagen - nein zur liberalen Moschee". Dieses Gebetshaus könne nicht als Moschee anerkannt werden, hieß es in einer Erklärung, die im kommerziellen Netzwerk „Facebook“ veröffentlicht wurde. Und auch das Nichttragen von Kopftüchern wird als religiöser Frevel gebrandmarkt: "Die Behauptung, dass das Tragen des Kopftuchs Frauen diskriminiere, ist falsch. Denn Frauen müssen sich ebenso wie Männer an das islamische Recht halten. Das Bedecken bestimmter Körperteile beim Gebet ist für Musliminnen ebenso Pflicht wie für Muslime, auch wenn es bei Frauen andere Körperteile sind als bei Männern. Bei Verletzung dieser Vorschrift wird das Gebet ungültig." Und weiter: "Der Islam verbietet den Körperkontakt zwischen Männern und Frauen während des Gebets. Denn das verletzt die Grundlagen des islamischen Rechts."
Frauen sei es zudem nicht erlaubt, Imam zu sein, wenn auch Männer anwesend sind. Und die ägyptische Inquisitionsbehörde setzt noch ein ideologisches Sahnehäubchen drauf: „Die Missachtung der Grundregeln einer Religion ist ebenfalls Extremismus. Es handelt sich um einen Angriff auf die Religion."
Es scheint so, als hätten die Initiatoren der Berliner Ibn-Rushd-Goethe-Moschee noch viel Überzeugungsarbeit vor sich. Zum Kreis der Gründer gehören Saïda Keller-Messahli, eine Romanistin und Menschenrechtsaktivistin, der Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi und der Arzt Akram Naasan.
In der Präambel des Moschee-Vereins heißt es:
„Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes, der den Menschen in seiner Vielfalt geschaffen hat, soll die Gesellschaft dazu beitragen, das Zusammenleben von Menschen islamischen Glaubens in Deutschland nach den Regeln der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland zu gestalten. Dabei sollen nicht nur Männer und Frauen, sondern auch die verschiedenen Richtungen des Islam, wie Sunniten, Schiiten, Aleviten und andere Ausrichtungen des Islam, sowie Menschen aller sexuellen Orientierungen und Identitäten, in allen Beziehungen vollkommen gleichberechtigt sein.
Religiöse Grundlage des Vereins ist ein säkularer liberaler Islam, der weltliche und religiöse Macht (din wa daula) voneinander trennt und sich um eine zeitgemäße und geschlechtergerechte Auslegung des Koran und der Hadithen bemüht.
Die Gesellschaft sieht sich darin in der Tradition historischer Vordenker eines liberalen, aufgeklärten Islam wie RUMI (Mevlana) und Ibn Rushd. Deren Lehren basieren auf der Liebe als die Hauptkraft des Universums, aber auch der Vernunft und Eigenverantwortung.[...] Namhafte islamische Gelehrte standen mit ihrem Leben und ihrem Wirken für den Brückenschlag zwischen Islam und Aufklärung, bemühten sich stets um Toleranz und Weltfrieden. Nicht zu vergessen der großartige Johann Wolfgang Goethe. Ein Dichter und Denker, der im Islam die Liebe zur Natur und Gott in der Natur entdeckte.
Gerade in diesen Zeiten des 21. Jahrhunderts, in denen der Islam immer mehr nur mit Terror in Verbindung gebracht wird, sehen wir es als unsere Aufgabe an, aufzuzeigen, dass der Islam selbstverständlich mit Demokratie vereinbar ist.
Uns ist es ein besonderes Anliegen, unsere Kinder zu toleranten und offenen Menschen zu erziehen, die anderen Menschen mit Liebe, Neugier und Verständnis begegnen. In diesem Sinne soll unsere Moschee ein Ort der Vielfalt sein, wo Liebe und der Glaube an den liebenden und barmherzigen Gott uns vereint.“
Das liest sich gut und davon kann man sich, falls man Religion nicht grundsätzlich für sich selbst ausschließt, überzeugen lassen. Aber erreicht es auch jene, deren Islam auf ein geradezu primitives Verständnis von Gott, Welt, Gewalt und Freiheit durch mächtige Interessengruppen wie Erdogan oder die saudischen Wahabiten manipuliert wird?
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