kpm Muslime in DeutschlandFragen anlässlich eines Rechtsstreits in Frankfurt

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Bedeutet Pluralismus, dass jeder überall alles tun darf?

Oder geht es vielmehr um die Vielfalt innerhalb einer Gesellschaft bzw. eines Staates, die vom Respekt gegenüber anderen Menschen und deren Ideen geprägt ist? Denn eine demokratische Gesellschaft ist auf das gleichberechtigte Nebeneinander der um gestaltenden Einfluss konkurrierenden Ideen, Meinungen und Werte angewiesen. Darf diese Freiheit aber so weit gehen, dass sie zur Provokation, gar zur Verächtlichmachung politischer, weltanschaulicher und religiöser Überzeugungen und Gruppen führt?

Wer eine christliche Kirche aus Interesse an deren Architektur und Kunst besichtigt, wird sich in diesem geschützten Raum so verhalten, dass er das religiöse Empfinden der Gläubigen nicht stört. Auch dann, wenn er/sie diese Weltanschauung nicht teilt. Eine ähnliche Zurückhaltung dürfen Muslime erwarten, wenn sie zu bestimmten Anlässen ihre Moscheen für Anders- und Ungläubige öffnen. Wer sich in öffentlichen Gebäuden aufhält, beispielsweise in Behörden, Schulen und Gerichten, muss sich darüber bewusst sein, dass der Staat zur Neutralität verpflichtet ist. Deswegen sind dort weder rote, grüne oder schwarze Fahnen, auffallende politische Symbole oder religiöse Zeichen und Bekleidung erlaubt. Allem Anschein nach haben jedoch Menschen, die sich zum Islam bekennen, damit Probleme. Und versuchen immer wieder, Grenzen zu überschreiten. Der folgende Vorfall scheint mir typisch zu sein.

Eine Frau muslimischen Glaubens und ausweislich ihres Kopftuchs offensichtlich dem orthodoxen rechten Flügel des Islams zugehörig, bewirbt sich bei der „Gesellschaft Soziale Dienste“, die ein Dienstleister der „Arbeiterwohlfahrt AWO“ ist, für die Tätigkeit als Nachmittagsbetreuerin in einer Schule. Sie erhält eine mündliche Zusage und kann zwei Wochen hospitieren. Die endgültige Bestätigung muss aber durch die AWO erfolgen. Doch die lehnt ab, weil die Dame bei ihrer Arbeit ein Kopftuch trägt und somit gegen die gebotene weltanschauliche Neutralität verstößt. Die abgelehnte Bewerberin klagt daraufhin vor dem zuständigen Arbeitsgericht in Frankfurt auf Schadensersatz.

Abgesehen von der formaljuristischen Bewertung, die nach meiner Einschätzung eher gegen die Klägerin spricht, frage ich mich jedoch Folgendes:

Was bringt eine konservative Muslima dazu, in einer Organisation arbeiten zu wollen, die 1919 als „Hauptausschuss für Arbeiterwohlfahrt in der SPD“ gegründet wurde, sich zum demokratischen Sozialismus bekannte und die nach Verbot im NS-Staat und Neugründung 1946 zwar weiterhin der SPD nahe steht, aber als parteipolitisch und konfessionell unabhängig firmiert? Weiß sie nicht, auf was sie sich einzulassen bereit ist und welche Erwartungen ihr Arbeitgeber hat?

Diese Grundüberzeugungen stehen bekanntlich im krassen Widerspruch zur Auffassung des fundamentalistischen Islams, der nicht nur die Hingabe unter den geglaubten Gott, sondern auch unter jedwede Herrschaft fordert, auch dann, wenn es sich um eine autoritäre, nicht demokratisch zustande gekommene handelt. Islamische Länder haben weltweit keinen einzigen eindeutig demokratischen Staat hervorgebracht, in welchem die Religion zur Privatsache erklärt wurde. Atatürks bürgerliche Revolution in der Türkei, die zumindest einen Schritt in diese Richtung bedeutete, wird bekanntlich von Erdogan und der AKP längst wieder in ihr Gegenteil verkehrt.

Führt die Schlichtheit des religiösen Glaubensverständnisses zu einer Schrebergartenmentalität, die zwar den Blick auf die wirkliche Welt gestattet, aber in der Idylle des muslimischen Wohnquartiers, gar Ghettos, am Traditionalismus made in Mekka festhält? Und damit zu einer allzu einfachen Sicht auf den säkularen Staat Bundesrepublik? Oder handelt es sich um den unablässigen und möglicherweise sogar gelenkten Versuch, unsere Verfassung umzudeuten?

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Muslime in Deutschland © Uni Gießen