hz Gedenkstatte Judengasse Kubus opt 1 2017Das Symposium des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt überdachte den Börneplatz-Konflikt von 1987 neu, Teil 1/2

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Börneplatz-Konflikt des Jahres 1987, der sich gegen die Verfallsdatumsmanie einer geschichtsvergessenen Gesellschaft richtete, wurde in der Hauptstadt des in all den Jahren zuvor wieder eingewanderten Geists der Kritik ausgetragen. Einen solchen hatten in jener Zeit andere Städte – gilt auch heute noch - in geringerem Maße aufzubieten.

In Frankfurt gelang die Wiederaufnahme. Mit der Austragung des Börneplatz-Konflikts wurde das Ende der Ära der Restauration bestätigt.

Der Konflikt um die Aktualität der Vergangenheit wurde zum Erfolgsmodell eines erfolgreich ausgeführten zivilen Ungehorsams, wenn nicht Widerstands gegen das Vergessen und Verdrängen. Der unselige Historikerstreit um eine wiederaufgewärmte deutsche Nationalgeschichte spielte sich in jenen Jahren ab, war von Helmut Kohl mit der rückwärtsgewandten geistig-moralischen Wende aufgebracht worden. Diese ominöse Wende ging mit der aufkeimenden Bimbes-Republik konform und mündete seltsamerweise ins Desaster der Finanzmarktverwilderung, die uns heute erst voll beschäftigt und weiter beschäftigen wird. Wer eine nebulos überhöhte, wer überhaupt noch eine ein Eisen gegossene Nationalgeschichte braucht, ist arm im Geist, es fehlt an ausgeprägtem Profil. Kultur braucht keine nationale Eisengießerei.


Judengasse und Börneplatz

Der Katalog des Jüdischen Museums Frankfurt verzeichnet in Kurzform die Geschichte des Ortes am Tor gen Osten der Stadt: „1987 wurden bei Bauarbeiten für die Frankfurter Stadtwerke die Fundamente des südlichen Endes der Judengasse freigelegt. Hier befand sich seit 1462 das Ghetto Frankfurts, in dem in der Frühen Neuzeit die größte jüdische Gemeinde Deutschlands lebte“. Es war eine Zwangssiedlung, Menschen mit jüdischen Wurzeln durften sich in keinem anderen Stadtteil niederlassen. 1811 wurde der Ghettozwang aufgehoben. „Die meisten Einwohner übersiedelten in andere Teile der Innenstadt“. Die Judengasse verfiel, die Stadt ließ den Abbruch des Viertels vornehmen. „Die Frankfurter Juden, seit 1864 endlich gleichberechtigte Bürger“ waren nicht gegen den Abbruch des ehemaligen Ghettos.


Eine Bewegung von unbelasteten Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern

Als im Juli 1987 die Planierung des Börneplatzes – er war zu Nazizeiten in Dominikanerplatz ‚umgetauft‘ und erst 1972 wieder in seine frühere Bezeichnung zurückbenannt worden - näher rückte, um auf der sondierten und freigemachten Fläche die Errichtung eines eigenbetrieblichen Gebäudes der Stadt Frankfurt zu ermöglichen, ging eine aufständische Bewegung und Entwicklung durch den bewussteren Teil der Stadtgesellschaft, denn im eröffneten Untergrund waren Ruinen der Judengasse und der Börneplatz-Synagoge zum Vorschein gekommen, was auf Bauplänen zu erkennen war - jedoch beschwiegen wurde.

Das Material der Pläne und Verträge zum Bau wird in 5 Jahren für die Öffentlichkeit einsehbar werden. Die jüdische Gemeinde wurde von der Stadt damals im Vorfeld nur unzureichend in die Bedingungen der Errichtung des Verwaltungsbaus an einer historisch zentral besetzten Stelle einbezogen. Von da an ging es für den geschichtlich aufwachten Teil der Stadtgesellschaft um die Frage der Deutung des ersten jüdischen Ghettos in Europa:

„Waren die Ruinen eher Zeugnisse eines Schutzraumes für Juden oder ihrer Ausgrenzung? Führte ein direkter Weg von der frühneuzeitlichen zu den nationalsozialistischen Ghettos?“ (Zitat aus dem Begleittext zum Symposium). Kurz zuvor erkannten viele in der geplanten Aufführung des problematischen Fassbinderstücks ‚Der Müll, die Stadt und der Tod‘ am Schauspiel Frankfurt einen Fall von „subventioniertem Antisemitismus“. Das kritische Räsonnement war also bereits erwacht, wollte die Hände nicht wieder in den Schoß legen; es sah sich in einen Konflikt gedrängt, der sich um die Deutung des Börneplatzes drehte.


Die Fundstätte barg 19 Häuser und zwei synagogale jüdische Ritualbäder (Mikwen)

Die jüdische Gemeinde hatte eine unterschiedliche Wahrnehmung. Den aus Osteuropa Gekommenen fehlte der eigene biographisch-geschichtliche Bezug zu den Relikten. Für die jüngeren Gemeindemitglieder wurden die Ruinen und Gegenstände zur Entdeckung einer bis dato verborgen gebliebenen Geschichte. Andere sahen in dem Erhalt und in der Darbietung von Ruinen eine unangemessene Aufwertung der deutsch-jüdischen Geschichte, die rechtfertigenden, salbenden Charakter annehmen könnte. War für die Jüngeren das Eröffnete eine Entdeckung, so konnte die Mutter es unmittelbar mit der Shoa verbinden.

Der Kampf um den Umgang mit der Fundstätte wurde erbittert geführt. Ein eingeforderter Baustopp wurde abgelehnt. Daher wurde der Platz am 28. August 1987, dem Tag von Goethes Geburtstag, besetzt. Diejenigen, die dabei waren, dürfen sich 30 Jahre danach mehr denn je als Akteure einer Ausnahmegeschichte betrachten, während ihre Rolle in der Geschichte so ganz von dem schwülstigen Geschichtsverständnis Helmut Kohls abwich, das diesem dauernd am Herzen lag, wenn er guttural herausgehoben von „Gechichte“ sprach. Die Mehrheit der zum Symposium Anwesenden waren in einen geschichtlichen Kreis resoluter Demokraten einzuordnen.


Der Politik stak die Verdrängung tief in den Knochen

Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums, zitierte das ‚geflügelte Wort‘ von Ludwig Börne: „Wo die toten Menschen schweigen, da sprechen desto lauter die lebendigen Steine“. Hätte die Frankfurter Politik ein besseres Verhältnis zur Dichtkunst gehabt, wäre ihre eine der Börneschen verwandte Empfindung und Einsicht auch gekommen. Im anschließenden Gespräch auf dem Podium (Moderation: Fritz Backhaus) mit Eva Demski und Micha Brumlik, zog Eva Demski einen ihrer Schlüsse: die Politik mache gemeinsame Sache mit Wirtschaftsleuten, bedenke nicht die langfristigen Folgen. Diese Liaison hat nivellierende Folgen: Brück wisse heute vom Börneplatz nichts mehr. Dazu muss man wissen: Brück hatte gegen eine städtische Erinnerungskultur am Börneplatz gestänkert, wollte Rettung nur dann gewähren, wenn die jüdische Gemeinde dafür selbst dafür bezahlt hätte.

Die Aktivistinnen und Aktivisten des Juli-August 1987 waren bunt gemischt. Es wurde eine Woche lang auf dem besetzten Grundstück übernachtet, die Jüdische Gemeinde hat Wein und Matzen geschickt, so wurde berichtet. Eine Lehrerin, die morgens wieder in den Dienst musste, war mit von der Partie. Die jüdischen Mitbesetzer waren sich nicht ganz einig, da es noch Deutungsbedarf gab. Sie waren aber Angehörige, gehörten der weitläufigen ‚Frankfurter Jüdischen Gruppe‘ an, von der die Zeitschrift ‚Babylon‘ herausgegeben wurde.

Es kam zum faulen Kompromiss, der darin bestand, dass ein Drittel des Platzes dem 1988 eröffneten Jüdischen Museum am Untermainkai zugeordnet wurde. Rekonstruierte Fundamente aus originalem Steinwerk bilden das Zentrum des Museums Judengasse. Die Gedenkstätte am Hinterhofplatz beim Alten Friedhof (1272-1828) an der Battonstraße gedenkt mit den 12 000 Blöcken aus Edelstahl (v4a) und den eingravierten Namen und Daten der deportierten und ermordeten Juden. Dieses Monument – es darf aufgrund seines Umfangs so bezeichnet werden - nimmt die Sehenden – und selbst die unbefangen Vorbeikommenden - unmittelbar ein, macht tief betroffen, wobei eine gewisse Lähmung nicht ausbleibt. In einen Kubus im Platanenhain sind Fragmente des Grundmauerwerks integriert.

Foto: ©

Info:
Symposium des Fritz-Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt, 30 Jahre danach · 20. August 2017, Museum Judengasse Frankfurt am Main