Anmerkungen zum Wahlerfolg der AfD, Teil 1/4
Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - “Die Tatsache, dass erstmals seit Jahrzehnten etwa 94 Mitglieder einer Partei in den Bundestag kommen, die mit dem Neo-Nazismus flirtet, sich stolz über die Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg äußert und erneut das deutsche „Volk“ bejubelt, zertrümmert die akzeptierten politischen Konturen der Bundesrepublik“, schreibt der New York Times-Kolumnist Roger Cohen. Er hat Recht.[1]
Unrecht haben jene, die den Wahlerfolg der AfD als “ein Zeichen der Normalisierung“ (so Henryk Broder in der “Welt“) interpretieren, da Deutschland nun “nicht länger der fromme Außenseiter“ sondern „eines unter vielen Ländern“ sei „die mit ähnlichen Problemen kämpfen“, wie auch Anne Applebaum in der “Washington Post“ schreibt.[2]
Die Gleichsetzung mit Ländern wie Belgien, Dänemark oder Frankreich lässt einen entscheidenden Aspekt außer Acht: Die Zeit des Nationalsozialismus, die den überfallenen Völkern Europas noch in den Knochen steckt und die Auftritte deutscher Nationalisten bis heute prägt.
Deutschland ist nun einmal ein Land, in dem der rechtsradikale Einzug in das Gebäude des Reichstags historische Erinnerungen wachruft; es ist das Land, dessen Eliten sich über die Negation des Nationalsozialismus definierten. Jetzt aber wirft der Bundestagseinzug der AfD diesen ohnehin vagen Nachkriegskonsens, demzufolge die Erinnerung an die Naziverbrechen wachzuhalten und bestimmte Schlussfolgerungen aus dieser Geschichte zu ziehen seien, über den Haufen. Das Dritte Reich irgendwie reinzuwaschen und den Diskurs darüber zu revidieren – darauf kommt es der AfD-Führung an.
Unsere Vergangenheit zurückholen
Dies zeigte beispielhaft die Rede, die AfD-Führer Alexander Gauland am 2. September beim diesjährigen Kyffhäuser-Treffen hielt. “Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten“, erklärte er über die Nazi-Zeit. “Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr und das sprechen wir auch aus.“ Gauland gab sich mit diesem Schlussstrich-Appell aber nicht zufrieden, sondern setzte seine vom Blatt gelesene Rede, von frenetischem Beifall unterbrochen, so fort: “Und deshalb, liebe Freunde, haben wir auch das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen. ... Wir haben das Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“
Gauland beschränkte sich nicht auf die Mitteilung, dass ihn der Gedanke an Wehrmachtssoldaten mit Stolz erfüllt, er formulierte ein moralisches Postulat: Wir Deutsche haben “das Recht“, unsere Vergangenheit zurückzuholen und auch auf die Wehrmacht stolz zu sein. Zwar belegte der AfD-Chef die NS-Jahre auch mit Attributen wie “falsche Vergangenheit“ und “Verbrechen“, doch hatten seine affirmierenden Worte größeres Gewicht. “Helmut Schmidt in seiner Wehrmachtsuniform gehört zu uns“ betonte er und fuhr fort: “Wer Geschichte säubert, zerstört unsere Identität und unser Freund Björn Höcke hat zurecht darauf hingewiesen: Wie lassen uns unsere Identität nicht zerstören!“[3]
Anmerkungen
[1] Roger Cohen, The Twilight of Angela Merkel, NYT, Sept. 25, 2017.
[2] Henryk M. Broder, Willkommen im neuen Deutschland!, in: Welt, 25. September 2017, Anne Applebaum, Willkommen im Klub der Problemkinder, in: Washington Post, 24. September 2017, zit. https://www.eurotopics.net/de/186647/deutschland-und-der-afd-schock .
[3] Rede von A. Gauland auf dem Kyffhäusertreffen vom 02.09.2017 auf: https://www.youtube.com/watch?v=RCb4KWtzLyo
Fortsetzung folgt.
Foto: Matthias Küntzel © Matthias Küntzel