Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Zwischen den Feiertagen: Binyamin Netanyahu und Donald Trump starten mit einigen Divergenzen ins neue jüdische Jahr.
Hunderttausende Israeli profitierten vom milden Herbstwetter und eilten an den Zwischenfeiertagen des Sukkotfestes entweder zum Gebet an die Jerusalemer Westmauer oder vergnügten sich in den vielen Naturschutzparks des Landes. Gleichzeitig braute sich in den letzten Tagen auf politisch-diplomatischer Ebene ein Süppchen zusammen, das, lässt man es unkontrolliert kochen, leicht zu einem Sud werden kann, an dem sich so mancher Jerusalemer Entscheidungsträger die Finger oder Zunge gehörig verbrennen kann.
Konflikt um Siedlungen
Auf den ersten Blick lassen sich mindestens zwei zentrale Brandherde lokalisieren: einmal die neuen, massiven Baupläne von Premierminister Binyamin Netanyahu für Westbanksiedlungen, und dann der Krebsgang von US-Präsident Donald Trump für alles, was die im Wahlkampf noch mit Pauken und Trompeten verkündete Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem betrifft.
Es gebe niemanden, der mehr besorgt sei um die Siedlungen als Netanyahu, und das werde sich schon nächste Woche beweisen, meinte dieser Tage ein Offizieller in Jerusalem. «Alle Versuche, die Wahrheit zu verzerren, sind eine grobe Lüge», fügte der Mann hinzu. Der zumindest verbale Beweis für diese Äusserung folgte auf dem Fuss. Am Sonntagabend berichtete das zweite israelische TV-Programm von nicht weniger als 3829 neuen Wohneinheiten, für deren Errichtung der Höhere Planungsrat für Judäa und Samaria bereits anfangs nächster Woche grünes Licht geben wolle. Im Zentrum des öffentlichen Interesses dürften dabei aus ideologischer Perspektive zweifelsohne die 30 Wohneinheiten stehen, die im jüdischen Viertel von Hebron entstehen sollen. In den letzten 20 Jahren waren dort nur gerade vier Bauten entstanden. Abgesehen von Kfar Etzion (158 Einheiten), Bet El (296) oder Tekoah (206), die alle zu den Siedlungsblöcken gezählt werden können, finden sich auf der prospektiven Bauliste auch die Namen von isolierten Siedlungen wie Har Bracha (54), Maaleh Michmash (48) oder Rechalim (97).
Fragwürdige Interpretation
Die Entscheidung zu Gunsten des neuen Siedlungsbaus fiel, wie «Yediot Achronot» am Montag schrieb, nach einer grundsätzlichen Übereinkunft mit den Amerikanern, gemäss welcher Israel durchschnittlich alle drei bis vier Monate massive Bauvorhaben in den Gebieten bewilligen wird anstatt wie bisher ein Projekt alle paar Wochen. Die Bedeutung dieser Übereinkunft sieht das Blatt vor allem darin, dass die heutige US-Administration keinen Unterschied mehr macht zwischen den Siedlungsblöcken und isolierten Siedlungen. Anders herum ausgedrückt heisst das, dass nach israelischer Interpretation die USA Jerusalem für die Verkündung neuer Baupläne in den Gebieten nicht mehr kritisieren werden. Diese Interpretation dürfte in erster Linie in Kreisen des State Departments (US-Aussenministerium) mit grösster Reserve aufgenommen werden, sind dort doch auch heute noch die offenen Gegner israelischer Bautätigkeit in den Gebieten zu Hause. Wie immer, wenn es um so heikle Dinge geht wie um den israelischen Siedlungsbau in international umstrittenen Regionen, gehen auch in Israel selber die Meinungen entlang der bekannten Parteilinien klar auseinander. Während die Siedlungsaktivisten zwar zufrieden sind mit Netanyahus Absichtserklärung, wollen sie mit dem Ausbruch in politischen Jubel noch zuwarten, bis sich die konkreten Folgen des Beschlusses im Felde zeigen. Bis dahin gibt man sich bedeckt und zurückhaltend.
Baupläne versus Friedensprozess
«Ich beglückwünsche den Regierungschef zu seiner Absichtserklärung», meinte etwa Yochai Damri, Leiter des Rates der Hebronberge, «und wir werden uns freuen, möglichst bald zur Verwirklichung der Pläne zu gratulieren.» Kritisch äusserte sich dagegen Yossi Dagan, Vorsitzender des Regionalrats Samaria. Für ihn muss jeder Plan die Errichtung eines neuen Indus- trieparks in Samaria sowie das massive Anlegen von Umgehungsstrassen um palästinensische Ortschaften herum enthalten. Diese Worte brachten ihm von Seiten des Büros des Premiers den Vorwurf ein, ein «Provokateur» zu sein, der es liebe, zu protestieren, ohne dabei das Gesamtbild zu berücksichtigen. Logisch, dass das oppositionelle «Zionistische Lager» den Entscheid Netanyahus, vor allem in isolierten Siedlungen zu bauen, harsch kritisiert. Nach Ansicht des Abgeordneten Yoel Hasson würde dies die fortgesetzte Kontrolle Israels über die Siedlungsblöcke gefährden. Es wird sich zeigen müssen, wie realistisch das Beharren Netanyahus und seines Verteidigungsministers Avigdor Lieberman ist, auch dann weiter in der Westbank bauen zu können, wenn US-Präsident Trump damit beschäftigt ist, einen neuen Friedensprozess zwischen Israeli und Palästinensern zu lancieren.
Botschaft in Tel Aviv
Genau diese Beschäftigungsrichtung wird für Trump und seine Administration offensichtlich aber zusehends wichtiger. Der amerikanische Präsident hält nach eigenen Worten mit seinen Plänen für die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zurück. In einem am Samstag ausgestrahlten Interview sagte Trump, er wolle seinen Plänen für die Erzielung eines Friedensabkommens im Nahen Osten zuerst «eine Chance» geben, bevor er über eine Verlegung der Botschaft auch nur nachdenken könne. Diese Erklärung ist zwar seit Trumps Wahl schon des Öfteren von Mitarbeitern seiner Administration als Begründung für die Verzögerung der Realisierung des Botschaftsumzugs ins Feld geführt worden, doch ist es jetzt das erste Mal, dass Trump sich höchstpersönlich und in aller Öffentlichkeit derart explizit in diesem Sinne äussert.
Trump sprach mit Mike Huckabee, einem ehemaligen Gouverneur von Arkansas und führenden evangelistischen Anhänger Israels. In Beantwortung einer Frage Huckabees hinsichtlich seines Versprechens, die Botschaft zu verlegen, erklärte der Präsident, seine Administration werde «in nicht so weiter Zukunft» eine Entscheidung in der Sache fällen. Vager und nichtssagender geht es kaum noch.
Das reflektierte sich in den ersten Reaktionen des rechtsnationalen Lagers Israels, die trotz des Sukkotfestes bereits zu registrieren gewesen sind. Zeev Elkin, Minister für Jerusalem-Angelegenheiten, sprach von einer falschen Entscheidung Trumps, die ihn «sehr enttäuscht» habe. Es sei falsch, dem PA-Präsidenten Mahmoud Abbas zu vertrauen. Elkin, immerhin ein erfahrener Parlamentarier und kein «grüner» Primarschüler, erinnerte an Trumps feuriges Wahlversprechen bezüglich der Botschaft, so als ob Versprechungen im Verlauf von politischen Kampagnen nicht die ersten Gelöbnisse wären, die auf dem rauhen Altar der Realitäten geopfert würden. Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat wiederum sagte, er sei immer noch zuversichtlich, dass Trump sein Versprechen bezüglich der Botschaftsverlegung halten werde. Dieser Schritt sei das Richtige «mit oder ohne Friedensabkommen».
Ein zerbrechliches Fundament
Anlässlich einer Besichtigung mit zu Besuch weilenden proisraelischen Parlamentariern aus dem Ausland unterstrich Vize-Aussenministerin Tzipi Hotovely (Likud), alle Botschaften müssten sich in Israels Hauptstadt befinden. «Wir alle wissen», bekräftigte sie, «dass Jerusalem in jedem künftigen Abkommen in israelischer Hand bleiben wird.» Deshalb sei es wichtig, die Verlegung der US-Botschaft nicht von Gesprächen mit den Palästinensern abhängig zu machen, die vom Wort «Frieden» sehr weit entfernt seien und stattdessen zu Hass und Gewalt aufhetzen würden. – Der nächste Termin, an dem Trump ein weiteres Mal über eine sechsmonatige Verschiebung der Botschaftsverlegung zu befinden hat, wird im Dezember sein.
Nehmen wir die hier oberflächlich zitierten zwei politischen Brandherde zusammen, werden wir den Eindruck nicht los, dass die Flitterwochen zwischen Israel und den USA, oder genauer gesagt zwischen Netanyahu und Trump, sich zwangsweise ihrem Ende nähern und durch ein gerütteltes Mass an Realpolitik ersetzt werden. Es macht den Anschein, Trump sei zur Erkenntnis gelangt, dass man das, was man von hier (von der Regierungsbank aus) sehe, von dort (von der Opposition aus) eben nicht gesehen habe. Möglicherweise gilt das auch für Themen wie den Standort einer Botschaft oder die Opportunität eines forcierten Siedlungsbaus.
Israels Rechtslager wird früher oder später selbst dahinterkommen, dass die Erinnerungen an Flitterwochen längst verblichen sein werden, während ein Ehe Chancen auf Überleben hat – vorausgesetzt sie fusst auf einem soliden Fundament, bestehend aus Realismus und Ehrlichkeit.
Foto: Divergenzen hinsichtlich des Siedlungsbaus und der US-Botschaft bestimmen das Verhältnis zwischen Israel und den USA zwischen den Feiertagen © tachles
Info: Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 12. Oktober 2017
Das reflektierte sich in den ersten Reaktionen des rechtsnationalen Lagers Israels, die trotz des Sukkotfestes bereits zu registrieren gewesen sind. Zeev Elkin, Minister für Jerusalem-Angelegenheiten, sprach von einer falschen Entscheidung Trumps, die ihn «sehr enttäuscht» habe. Es sei falsch, dem PA-Präsidenten Mahmoud Abbas zu vertrauen. Elkin, immerhin ein erfahrener Parlamentarier und kein «grüner» Primarschüler, erinnerte an Trumps feuriges Wahlversprechen bezüglich der Botschaft, so als ob Versprechungen im Verlauf von politischen Kampagnen nicht die ersten Gelöbnisse wären, die auf dem rauhen Altar der Realitäten geopfert würden. Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat wiederum sagte, er sei immer noch zuversichtlich, dass Trump sein Versprechen bezüglich der Botschaftsverlegung halten werde. Dieser Schritt sei das Richtige «mit oder ohne Friedensabkommen».
Ein zerbrechliches Fundament
Anlässlich einer Besichtigung mit zu Besuch weilenden proisraelischen Parlamentariern aus dem Ausland unterstrich Vize-Aussenministerin Tzipi Hotovely (Likud), alle Botschaften müssten sich in Israels Hauptstadt befinden. «Wir alle wissen», bekräftigte sie, «dass Jerusalem in jedem künftigen Abkommen in israelischer Hand bleiben wird.» Deshalb sei es wichtig, die Verlegung der US-Botschaft nicht von Gesprächen mit den Palästinensern abhängig zu machen, die vom Wort «Frieden» sehr weit entfernt seien und stattdessen zu Hass und Gewalt aufhetzen würden. – Der nächste Termin, an dem Trump ein weiteres Mal über eine sechsmonatige Verschiebung der Botschaftsverlegung zu befinden hat, wird im Dezember sein.
Nehmen wir die hier oberflächlich zitierten zwei politischen Brandherde zusammen, werden wir den Eindruck nicht los, dass die Flitterwochen zwischen Israel und den USA, oder genauer gesagt zwischen Netanyahu und Trump, sich zwangsweise ihrem Ende nähern und durch ein gerütteltes Mass an Realpolitik ersetzt werden. Es macht den Anschein, Trump sei zur Erkenntnis gelangt, dass man das, was man von hier (von der Regierungsbank aus) sehe, von dort (von der Opposition aus) eben nicht gesehen habe. Möglicherweise gilt das auch für Themen wie den Standort einer Botschaft oder die Opportunität eines forcierten Siedlungsbaus.
Israels Rechtslager wird früher oder später selbst dahinterkommen, dass die Erinnerungen an Flitterwochen längst verblichen sein werden, während ein Ehe Chancen auf Überleben hat – vorausgesetzt sie fusst auf einem soliden Fundament, bestehend aus Realismus und Ehrlichkeit.
Foto: Divergenzen hinsichtlich des Siedlungsbaus und der US-Botschaft bestimmen das Verhältnis zwischen Israel und den USA zwischen den Feiertagen © tachles
Info: Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 12. Oktober 2017