tach palastinaSchicksals-Tage im November

Andreas Mink


Tel Aviv (Weltexpresso) - Der Spätherbst 1947 brachte den Traum eines jüdischen Staates in Palästina der Erfüllung näher – ein Frieden mit den Arabern in Palästina erscheint heute in weiterer Ferne, denn vor 70 Jahren.

Vor 70 Jahren schlugen in New York entscheidende Stunden für das jüdische Staats-Projekt in Palästina. Damalige Weichenstellungen schufen aber auch eine langwährende Feindseligkeit arabischer Staaten gegenüber Israel. Hier wird jedoch seit einiger Zeit ein Wandel erkennbar, der in den letzten Wochen an Tempo aufgenommen hat. Im Februar 1947 hatte die britische Mandatsmacht den Abzug aus Palästina bis spätestens zum 1. Mai 1948 angekündigt und damit auch die Vereinten Nationen zum Handeln gedrängt. Die junge Weltorganisation installierte im Mai 1947 eine Sonder-Kommission zu Palästina (UNSCOP), die bereits Anfang September einen Plan für die Aufteilung des Mandates in drei Territorien vorlegte – neben einem jüdischen und einem arabischen Staat sollten Jerusalem und Bethlehem als separate Enklave unter internationaler Kontrolle stehen. Eine Wirtschaftsunion würde das neue Gebilde zusammenhalten.


Ein zentrales Problem

Nachdem die arabische Seite das Konzept strikt abgelehnt hatte, erklärten die Briten am 20. November 1947 ihre Entschlossenheit, auch ohne eine Einigung bis zum 1. Februar 1948 aus Palästina abzuziehen. Wenig später erzielten die Befürworter des Teilungsplanes an der UN am 29. November 1947, nicht zuletzt dank einer energischen Kampagne der Zionisten, die erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen. Schon am Tag darauf begann mit Anschlägen von beiden Seiten der erste in einer bis heute anhaltenden Serie arabisch-israelischer Kriege. Der jüdische Staat ist daraus als Gewinner hervorgegangen und zu einer regionalen Grossmacht geworden, die heute nurmehr im Iran eine Konkurrenz oder Bedrohung erkennt. Arabische Staaten haben derweil spätestens seit dem ägyptisch-israelischen Friedensvertrag von 1978 weder die Ambition noch die Mittel zu einer Gefährdung Israels.

Die Suche nach einer Lösung des Palästina-Konfliktes bleibt jedoch ein zentrales Problem der internationalen Politik. Dabei haben die USA seit dem Sechstage-Krieg von 1967 eine Doppelrolle als wichtigster Verbündeter Israels und führender Friedensvermittler übernommen. Darin liegt ein offenkundiger Widerspruch. Doch diesen nimmt die Regierung von Donald Trump in Washington als Chance wahr: Gerade aus der Nähe zu Binyamin Netanyahu entwickelt Jared Kushner mit einem kleinen Stab einen «ultimativen Deal» für einen Frieden zwischen Juden und Arabern in Palästina und der weiteren Region. Laut einem Bericht der «New York Times» will der Präsidenten-Berater und -Schwiegersohn die Details eines Abkommens im kommenden Februar vorstellen. Details sind noch keine bekannt geworden. Aber die «Times» und andere Medien berichten über Grundlinien der neuen Initiative.


ZANKAPFEL ISRAEL

Demnach haben Kushner und sein Team intensive Gespräche mit allen Beteiligten geführt und setzen anscheinend speziell auf die neue saudische Führung um den Kronprinzen Mohammed bin Salman. Dieser eskaliert den Konflikt mit Iran und bringt derzeit mit dem merkwürdigen Rücktritt des libanesischen Präsidenten Saad Hariri ein neues Element der Unsicherheit in die Region. Kushner hofft angeblich, dass Riad die Palästinenser zu weitgehenden Kompromissen mit Israel bewegt. Dies würde die formelle Beilegung des Palästina-Konfliktes bringen und sunnitisch-arabischen Staaten eine Normalisierung der Beziehungen mit Israel bis hin zu einem Bündnis gegen Iran, Hizbollah und das syrische Assad-Regime erlauben. Zumindest auf diplomatischer Ebene käme das 70 Jahre nach dem gescheiterten Teilungsabkommen von 1947 einer Entkoppelung arabisch-israelischer Beziehungen von dem Kampf um das Heilige Land gleich.

Dabei hat die Trump-Regierung eine Zwei-Staaten-Lösung in dem von Israel und den Palästinensern Anfang der 1990er-Jahre vereinbarten Rahmen bereits in Frage gestellt. Dies ist durchaus realistisch: Die geografischen Grundlagen für zwei Staaten sind angesichts der seit dem Wahlsieg Trumps noch forcierten Siedlungsbauten in den besetzten Gebieten nicht mehr erkennbar. Ebenso unklar bleibt jedoch, wie weit die Siedlungspläne Israels angesichts einer hohen Bevölkerungsdichte und knapper, natürlicher Ressourcen in Cisjordanien überhaupt gehen können. Je stärker das Siedlungs-Projekt voranschreitet, desto wahrscheinlicher wird eine humanitäre Krise für die wachsende, arabische Bevölkerung. Diese ist weiterhin auf UN-Hilfen angewiesen – eine weitere Konstante der Jahre seit 1947. Daneben ist es unvorstellbar, dass der jüdische Staat angesichts der chaotischen Lage in Syrien und Irak – inklusive wachsender Konflikte um kurdische Ambitionen – Abstriche an die Kontrolle über das seit 1967 kontrollierte Territorium riskiert. Diese auch von Israel geschaffenen Realitäten sprechen gegen eine Zwei-Staaten-Lösung.


Eine neue Intifada?

Auf palästinensischer Seite hat die Autonomiebehörde unter Mahmoud Abbas jedoch kaum Spielraum für die Aufgabe dieses Zieles. Abbas mangelt es an Legitimität, da er seit Januar 2009 nicht mehr durch Wahlen im Amt bestätigt worden ist. Eine Volksbefragung über einen Verzicht auf zentrale Forderungen der Palästinenser wird er kaum wagen. Dazu gehört die Etablierung Ostjerusalems als Hauptstadt eines eigenen Staates in den Grenzen von 1967 plus eine prinzipielle Anerkennung eines «Rechtes auf Rückkehr» der 1948-49 vertriebenen oder vor den Israeli geflohenen Araber. Gibt Abbas diese Parameter auf, droht ohnehin eine neue Intifada.

An diesem Punkt erkennen Historiker aber auch eine wesentliche Schwäche des Teilungsplanes vom Herbst 1947: Die UN-Resolution hatte das aus einer Teilung Palästinas unausweichlich hervorgehende Problem eines Bevölkerungsaustausches völlig ignoriert. Dabei hatte die UNSCOP nicht nur festgestellt, dass Juden rund ein Drittel der knapp zwei Millionen Bewohner des Palästina-Mandates stellten. In den für den jüdischen Staat vorgesehenen Regionen bildeten Araber noch 40 Prozent der Bevölkerung. Ihr Transfer in den arabischen Teilstaat oder in arabische Nachbarstaaten wäre unausweichlich gewesen und wurde von den Briten spätestens seit 1937 diskutiert.


Teilungskonzept als Sprungbrett

Damals hatte die Peel-Kommission erstmals eine Teilung inklusive Bevölkerungsaustausch ins Spiel gebracht und dabei auch das gewaltreiche Vorbild der griechisch-türkischen Transfers nach dem Lausanner Friedensvertrag von 1923 angeführt. Doch so kurz nach Kriegsende 1945 erschien die Erinnerung an diese Gräuel in New York und London nicht mehr als opportun. Die im Sommer 1945 gebildete Labour-Regierung in Grossbritannien hatte eine Teilung Palästinas aufgrund der Notwendigkeit von Transfers aber zunächst abgelehnt. Auch die von deren Aussenminister Ernest Bevin initiierte Anglo-Amerikanische Untersuchungskommission riet im April 1946 von einer Bildung separater Staaten in Palästina ab. Gleichzeitig hielten die Briten aus strategischen Gründen dort an der Schaffung eines binationalen, jüdisch-arabischen Staates fest. London strebte einen Landkorridor unter britischer Kontrolle zwischen Jordanien und dem Mittelmeer als Alternative zu der grossen Militärbasis am Suez-Kanal an, die einen Eckpfeiler des britischen Imperiums bildete.

Doch nachdem im Frühjahr 1946 der britische Abzug aus Indien absehbar geworden 
war, hatte das Empire seine grössten Tage hinter sich. In Palästina nahmen die Terror-attacken jüdischer Untergrund-Guerillas der Mandatsmacht den Willen auf ein weiteres Ausharren. Dabei bewies London durchaus Kreativität und brachte 1946 auch einen binationalen Zukunftsplan auf Grundlage des Schweizer Kanton-Modells ins Spiel. Selbst die den Zionisten freundlich gesinnte 
Truman-Regierung in Washington schlug noch 1947 eine Umwandlung des Mandates in eine Treuhandschaft der Vereinten Nationen vor, wie dies damals gerade in der ehemaligen italienischen Kolonie Libyen geschah. Doch die Zionisten sahen im Herbst 1947 die Chance auf die rasche Etablierung eines eigenen Staates gekommen und betrachteten das Teilungskonzept lediglich als Sprungbrett dazu. Dahinter standen neben Risikobereitschaft und Vertrauen auf die eigenen organisatorischen und militärischen Kapazitäten Einsichten in die Schwächen der zerstrittenen, arabischen Seite. Dieses Kalkül hat sich als korrekt erwiesen und erscheint auch angemessen für die heutige Lage in der Region.

Foto: © tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 17. November 2017