kpm Anonymer Hassbrief eines AfD AnhangersPlädoyer für die Tabuisierung der Rechten

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein neues Sachbuch, das auf der Bestenliste von „Deutschlandradio Kultur“ platziert ist, trägt den Titel „Mit Rechten reden“. Die „Frankfurter Rundschau“ ist da etwas zurückhaltender und fragte am 27. November lediglich „Soll man mit Rechten reden?“

Sowohl die indirekte Aufforderung als auch die Frage verkürzt bereits die Dimensionen des Problems und laufen somit Gefahr, jenen unverbindlichen Pluralismus zu rechtfertigen, der die Existenz von AfD, Identitären, NPD und anderen rechten und rechtsradikalen Gruppen erst ermöglicht hat. Denn zunächst müsste geklärt werden, worüber und mit welchem Ziel zu sprechen ist. Und welche Vorab-Übereinstimmungen dabei unverzichtbar sind. Denn eine Diskussion zwischen Andersdenken in einer Demokratie lebt davon, dass jeder bereit ist, ursprüngliche Überzeugungen zumindest teil- und zeitweise zur Disposition zu stellen.

Kann es aber zulässig sein, die Grundsätze der Demokratie, und sei es nur während eines Streitgesprächs, infrage zu stellen? Etwa den Artikel 1 des Grundgesetztes („Die Würde des Menschen ist unantastbar“), der auf den Erfahrungen aus Obrigkeitsstaat, Totalitarismus und Nationalismus fußt?

Welchen Kulturen soll - und falls ja warum - die Kulturfähigkeit, sprich die Gleichberechtigung mit der deutschen, abgesprochen werden? Etwa den Menschen, die aus dem Kulturraum zwischen Euphrat und Tigris stammen? Ist der kulturelle Nachholbedarf bildungsferner Einwohner in Sachsen nicht möglicherweise erheblich größer als der von syrischen und irakischen Flüchtlingen?

Oder ist es gar gestattet, eine vermeintliche Lügenpresse als tendenzielle Gefahr für die Pressefreiheit herbeizureden und sich darüber mit den Anhängern solcher Auffassungen auseinanderzusetzen? Denn die angeblich verbreiteten Lügen (z.B. über die Widerwärtigkeit des Pegida-Pöbels) sollen doch das Argument für ein Verbot der unabhängigen kritischen Presse und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liefern.

Wie sinnvoll ist eine Diskussion über fundamentalistischen Islamismus und seine Gefahren für demokratische Gesellschaften, wenn dessen rechte Kritiker exakt die gleichen intellektuellen und demokratischen Defizite aufweisen?

Gibt es irgendeinen Grund dafür, mit jemandem, der erkennbar nicht bis drei zählen kann, über den Wahrheitsgehalt mathematische Formeln zu diskutieren? Sind rechte Weltanschauungen nicht das typische Symptom für die bewusst vorgenommene Reduzierung von Wirklichkeit? Und geschieht diese systematische Verengung der Wahrnehmung nicht ausschließlich mit dem Ziel, freie Bahn für Vorurteile aller Art inklusive Rassismus und Nationalismus zu schaffen?

Zugegeben: Rechte und rechtsradikale Weltanschauungen sind mutmaßlich das Ergebnis eines längeren Prozesses, der aus persönlichen Frustrationen, von Dritten lancierten Desinformationen, Bildungsdefiziten und jeder Menge falscher Freunde erwächst. Nicht grundsätzlich vollzieht sich diese Entwicklung nur im klassischen rechten Milieu. Die Untersuchung von Wählerströmen zeigt, dass selbst Anhänger von SPD und Linken zur AfD gewandert sind. Schlichtes Denken (besser: konsequentes Nichtdenken und Nachplappern dummer Sprüche) ist überall anzutreffen, vor allem dort, wo sehr einfach konstruierte angebliche Selbstverständlichkeiten auf kritiklose Akzeptanz stoßen (so das höchst ungesunde „gesunde Volksempfinden“).

Folglich muss es einen Zeitpunkt geben, an dem dieser intellektuellen und ethischen Verarmung noch Einhalt geboten werden kann. Bekanntlich ist die Schule der Nation die allgemeinbildende Schule. Aber auch dort scheinen Lehrer vom Zuschnitt eines Björn Höcke nicht die Ausnahme zu sein. Doch selbst Unterrichtende mit eindeutig demokratischem Bewusstsein sind keine Garantie dafür, dass die Schule ihren gesellschaftlichen Auftrag erfüllt. Zu hohe Schülerzahlen pro Klasse in Verbindung mit schlecht integrierten Zuwandererkindern, miserabel gewarteten Räumlichkeiten und unzureichenden Lehrmitteln schaffen früh Frustrationen und legen Grundsteine für Fehlentwicklungen. Zehn Jahre später helfen dann auch keine Gespräche mehr, erst recht nicht in der Kneipe (wie in der FR vorgeschlagen wird).

Aus all diesen Gründen plädiere ich für ein Tabu. So wie es sich nicht gehört, Kinder zu schlagen, Frauen zu misshandeln, zu stehlen, zu töten, gar zu morden, so muss es zum Selbstverständnis des selbstbestimmten Menschen gehören, nicht rechts zu denken und rechts zu wählen. Erfahrungsgemäß passen sich unsichere Kantonisten solchen Tabus an. Aus der Anpassung erwachsen später Einsicht und Überzeugung.

Foto:
Aus einem anonymen Hassbriefs eines AfD-Anhängers

Info: 
Erwähntes Buch:
Per Leo / Maximilian Steinbeis / Daniel-Pascal Zorn
Mit Rechten reden
Ein Leitfaden
Klett-Cotta Verlag
183 Seiten, Paperback
Ladenpreis 14 Euro
ISBN 978 3 608961812