tach netBinyamin Netanyahu gerät aufgrund der Ermittlungen gegen ihn vermehrt in Erklärungsnot

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Mit neuen Gesetzesentwürfen wird versucht, Binyamin Netanyahu angesichts der gegen ihn laufenden Korruptionsuntersuchungen den Kampf ums politische Überleben zu erleichtern.

Nicht israelische Einwohner Israels sollen sich gefälligst nicht in die internen Angelegen­heiten dieses Staates einmischen. Dieses Argument, das etwa gleich alt ist wie der Staat selber, wird nicht zuletzt regelmässig von proisraelischen Aktivisten in der Diaspora dann ins Feld geführt, wenn ihnen unliebsame Gestalten wie aus Israel berichtende Auslandskorrespondenten sich aus verschiedensten Gründen verpflichtet fühlen, das genannte Argument zu «verletzen».

Ein verzweifelter Versuch

Nun, Ihr Berichterstatter, dessen Kinder immerhin die israelische Armee oder den Nationaldienst duchlaufen haben, ich muss diesen Akt der «Verletzung» heute begehen. «Nestbeschmutzung» nennen es mit Vorliebe vor allem rechts von der politischen Mitte Angesiedelte, während der Verfasser dieser Zeilen lieber von einem schon bald verzweifelten Versuch sprechen würde, Israel zu helfen, sich vor sich selber zu retten. Welche Interpretation ist die richtige? Urteilen Sie bitte selber.

Eine geballte Ladung von Versuchen, mit der Hilfe von fragwürdigen bis unglaublichen Gesetzesentwürfen den Gang der Dinge in Israel zu beeinflussen, rollt gegenwärtig über die Öffentlichkeit des Landes hinweg. Niemand kann sagen, wann findig zynische Parlamentarier und Politiker bis hinauf zur Regierungsspitze mit ihrem Latein am Ende sein werden, doch eines kristallisiert sich immer klarer heraus: Hier betreiben ideologisch fixierte Kreise miesen Schindluder mit Gesetzen und der ganzen Rechtsprechung. Und warum dies alles? Letzten Endes vor allem, um mit Premier Binyamin Netanyahu angesichts der gegen ihn laufenden Korruptionsuntersuchungen den Kampf ums politische Überleben mitzukämpfen und es ihm zu erleichtern.

Offiziell verpasster Maulkorb

Am Montagabend erzielte Israels Rechts­koalition einen Kompromiss für die Vorlage des sogenannten Empfehlungsgesetzes, das 
bei der Opposition bereits den Spitznamen «Netanyahu-Gesetz» erhalten hat. Das Gesetz enthält das Verbot für Polizeibeamte, ihre Ansicht zur Frage zu veröffentlichen, ob Klagen gegen Offizielle erhoben werden sollen oder nicht. Ein offiziell verpasster Maulkorb für die Ordnungshüter also. Die Koalition beabsichtigt nun, die Vorlage, die in erster Lesung bereits genehmigt worden ist, im Eilzugtempo durch den Bewilligungsprozess hindurchzupeitschen, und mit einer definitiven Annahme wird bereits in ein bis zwei Wochen gerechnet. In diesem Fall würde das Gesetz retroaktiv in Kraft treten und auch die zwei gegen Premier Netanyahu laufenden Untersuchungen einschliessen. In einer bereinigten Version der kontroversen Vorlage hätte der Generalstaatsanwalt die Möglichkeit, die Empfehlung der Polizei hinsichtlich einer Anklageerhebung in Betracht zu ziehen. Allerdings würde, womit wir beim springenden Punkt wären, dafür gesorgt werden, dass die Empfehlungen nicht publiziert würden! Wer den praktisch von gezielten Indiskretionen lebenden und von Politikern intensiv ge- und missbrauchten Mediensektor kennt, der kann sich an fünf Fingern ausrechnen, dass nichts anderes vonnöten ist, um Spekulationen noch mehr anzukurbeln und möglichst saftige Schlagzeilen zu generieren, als eben ein solches Publikationsverbot.

Manipulationen bis zum Überdruss

Doch was soll's? Der Abgeordnete Yair Lapid hat wahrscheinlich recht, wenn er diese Woche meinte, die Vorlage sei ein «für eine einzige Person» zurechtgeschustertes Gesetz – für den Regierungschef, der am Dienstag zu einem eintägigen Blitzbesuch nach Kenia flog, wo er unter anderem die erstmalige Eröffnung einer Botschaft in Ruanda verkündete und im Rahmen einer «Expansion der israelischen Präsenz in Afrika» mit zahlreichen Staats­männern konferierte.

Eine drohende Koalitionskrise mit ultraorthodoxen Parteien wegen der Arbeit von Eisenbahnangestellten am Schabbat konnte dieser Tage abgewendet werden, und zwar ebenfalls mit Manipulationen bis zum Überdruss von bestehenden und flugs neu dazu konstruierten neuen Gesetzen. Am Sonntagabend gab Premierminister Netanyahu bekannt, dass die Krise in seiner Koalition wegen des Konflikts mit seinen zwei ultrareligiösen Koalitionspartnern – Vereinigtes Thora-Judentum und Shas – über die Eisenbahnarbeit am Schabbat beendet sei. Zuvor hatte Gesundheitsminister Yaacov Litzman seine Demission eingereicht wegen einer Uneinigkeit über die Unterhaltsarbeiten, die Eisenbahnangestellte am Schabbat zu verrichten pflegen. Innenminister Arieh Deri von der Shas-Partei wiederum blieb der sonntäg­lichen Kabinettssitzung fern, um so gegen eine Gesetzesvorlage zu protestieren, die gewissen Supermärkten gestatten würde, am Schabbat offen zu bleiben. Nach einem Treffen Netanyahus mit Deri, Litzman und Moshe Gafni (Vereinigtes Thorajudentum), dem Vorsitzenden der Finanzkommission der Knesset, erklärte das Büro des Premierministers, die vier Politiker hätten sich darauf geeinigt, dass eine Gesetzesvorlage gefördert würde, welche den Status quo betreffend die Beachtung des Schabbats bewahren soll. Die genannten Supermärkte dürfen trotz den von Deri vorgeschlagenen Gesetzen dank einer städtischen Verordnung am Schabbat geöffnet bleiben. Auch die Fussballspiele an Samstagen werden fortgesetzt werden, wie auch die nötigen Arbeiten am Eisenbahnnetz (eine Frage von «pikuach nefesh», lebenswichtiger und -rettender Betätigungen am Schabbat) weiterhin am Schabbat erledigt werden. Litzman wiederum kann als Vize-Gesundheitsminister seine bisherige Arbeit fortsetzen. Vor allem diese Einigung hat Oppositionspolitiker wie Yair Lapid in Rage gebracht. Er kritisierte, dass es unzulässig sei, einen Vizeminister die Arbeiten eines Ministers verrichten zu lassen.

Nächste Krise ist vorprogrammiert

Premier Netanyahu wird vorgeworfen, im Bestreben, seine Koalition am Leben zu erhalten, Gesetze massenweise zu biegen und zu beugen. Mit seiner Beteuerung, die Koalition sei «stark und stabil» und man werde weiter zum Wohl der Bürger Israels arbeiten, hat er fürs Erste recht, doch hinter die Binsenwahrheit «Ende gut, alles gut» gehört ein riesiges Fragezeichen gesetzt. Die nächste Koalitionskrise mit den ultrareligiösen und mit den säkular-zionistischen Parteien ist vorprogrammiert, und irgendwann dürfte auch Binyamin Netanyahu bei seinen Balanceakten auf dem Koalitions-Hochseil einen folgenschweren Fehltritt machen.

Foto: © dailymail.co.uk

Info: 
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 1. Dezember 2017