F Bucherschrank in Frankfurt BockenheimDargestellt am Beispiel öffentlicher Bücherschränke in Frankfurt

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Möglicherweise haben die Frankfurter Ortsbeiräte Hilmar Hoffmanns alte Forderung nach einer „Kultur für alle“ missverstanden. Denn der frühere Kulturstadtrat (1970 - 1990) meinte tatsächlich Kultur und keineswegs deren Verflachung.
Die mittlerweile 57 öffentlichen, über das Stadtgebiet verteilten, Bücherschränke scheinen jedoch exakt jener Banalisierung von Lebensart zu entsprechen, die von der neoliberalen Klassengesellschaft unterschwellig propagiert wird. So wird „Lektüre für alle“ zum Synonym eines Defizits an Kultur.

Die Wohlhabenden versorgen sich entlang ihrer geschmacklichen Präferenzen im Buchhandel und später entsorgen sie die aussortierten Bände in einem öffentlichen Container namens Bücherschrank. Das spart Platz in den eigenen Regalen, entlastet die häusliche Papiertonne und spart die mitunter lange Anfahrt zu den Sperrmüll-Sammelstellen. Zudem kann man - so die mutmaßliche Theorie - andere, überwiegend Ärmere, am eigenen Überfluss teilhaben lassen. Die einen und die anderen verschleiern ihre Bequemlichkeit sogar mit der Schwachsinnsphrase „der Gesellschaft etwas zurückgeben zu wollen“. So erweist sich manche Barmherzigkeit bei näherem Hinsehen als Borniertheit.

Die vom Tisch der Reichen gefallenen Literaturkrümel werden entweder von Ehrenamtlichen (Bücherpaten) sortiert oder ausschließlich dem Markt des mehr oder weniger geschulten Geschmacks überlassen. So steht Unterhaltung unterschiedlicher Qualität neben Literarischem und nicht immer aktuellen Sach- und Fachbüchern. Auch das Angebot an Kinder- und Jugendbüchern ist disparat. Da es keine qualitativen Einstellvoraussetzungen gibt, fehlt ein bildungspädagogisches Konzept.

Über ein solches verfügt die Frankfurter Stadtbücherei, die neben ihrer Zentrale in der Innenstadt (Hasengasse) ein Filialnetz in den meisten Stadtteilen unterhält. Dort lässt sich ein repräsentativer Teil des Literaturangebots finden, aufgefächert nach den üblichen Kategorien (Belletristik, Biografien, Sachbuch, Fachbuch, Fremdsprachen etc.). Im Kinder- und Jugendbereich sind die Titel nach Altersstufen und Sachgruppen sortiert. Die Anzahl an Hörbüchern und E-Books wächst ständig. Sämtliche Bestände erschließen sich über einen digitalen Katalog, der auch (für jedermann zugänglich) im Internet aufgerufen werden kann (https://katalog.stadtbuecherei.frankfurt.de/). Der Jahresgebühr von 20 Euro, die zur Ausleihe berechtigt, erscheint im Verhältnis zur umfangreichen Gegenleistung als sehr günstig. Und hätte man die ca. 380.000 Euro Kosten, welche die Bücherschränke bis jetzt verursacht haben, in die Bestandspflege der Bücherei investiert, wäre deren Angebot mutmaßlich noch dichter.

Wer hingegen gezielt Bücher sucht, die sowohl im Buchhandel vergriffen als auch in der Stadtbücherei nicht mehr vorhanden sind, wird häufig in professionellen Antiquariaten fündig, die ihre Angebote vielfach auch im Internet offerieren. Ja, dort muss man für gebrauchte Bücher etwas zahlen. Doch warum darf Literatur, auch die aus zweiter Hand, eigentlich nichts kosten? Sind denn einem Teil der Bevölkerung die Maßstäbe verlorengegangen? Wer den Wert einer Ware negiert, stellt auch die Wertigkeit von Arbeit infrage und damit seine persönliche Existenzgrundlage.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die teuren Bücherschränke (Durchschnittspreis 6.500 Euro) einerseits als subventionierte Sperrmüllentsorgung und andererseits als unzulässiger Eingriff in den Literaturmarkt. Denn unübersehbar bedienen sich an diesen Aufbewahrungsstätten auch professionelle Händler, die das, was ihnen vermarktbar erscheint, kistenweise entnehmen und dann im Internet und auf Flohmärkten anbieten. Das kann man schönreden (ein Bücherpate in Seckbach spricht von „positiver Kriminalität“); aber jede Rechtfertigung ist eigentlich eine kulturelle Bankrotterklärung.

Es ist mir nicht bekannt, ob es zwischen den Ortsbeiräten, die über die Aufstellung der Schränke entscheiden, und dem für die Stadtbücherei zuständigen Bildungsdezernat eine Abstimmung über ein Mindestmaß an Qualitätskriterien gibt; vermutlich nicht. Und das ist ein weiteres Zeugnis von kultureller Armut in dieser Stadt, die sich erst jüngst eine an Potemkinsche Dörfer erinnernde teure Nachbildung der im Krieg zerstörten Altstadt erlaubte  - mit Wohnmöglichkeiten selbstverständlich nur für Reiche.

Foto:
Öffentlicher Bücherschrank in Frankfurt - Bockenheim
© Frankfurter Büro für Investigation (F.B.I.)