Ausbeutung durch Infantilisierung, rechte Propaganda inbegriffen
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Bundesjustizminister Heiko Maas erliegt einem Irrtum. Seine Mutmaßung, kommerzielle Netzwerke wie Facebook und Twitter könnten kein Interesse daran haben, zur Plattform für politische Straftaten zu werden, ist eine Fehleinschätzung. Denn das Gegenteil ist der Fall.
Diese Netzwerke, die sich mit dem Adjektiv „sozial“ schmücken, um sich gesellschaftliche Akzeptanz zu verschaffen, benötigen den Uninformierten, den unzureichend Gebildeten (einschließlich des Fachidioten) und den Straftäter gleich welcher Couleur. Solche Kommunikationsforen sind an einem qualitativen Informationsaustausch nicht interessiert. Vielmehr loten sie besonders die Untiefen der Massengesellschaft aus. Hierbei sind ihnen auch Menschen mit destruktiver Persönlichkeitsstruktur wichtig. Ohne unkritische Konsumenten, aber auch ohne Antidemokraten und Gewalttäter wäre das aus diversen Persönlichkeitsprofilen zu erstellende Raster unvollständig. Mit den gewonnenen Erkenntnissen wird die Wirtschaft bedient, allen voran die Produzenten entbehrlicher Güter. Wachstum wird im Kapitalismus eben auch am Ausmaß von Schrott und Vernichtung gemessen.
Bevor kommerzielle Netzwerke aufgrund des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Hassseiten und Tweets ganz oder teilweise löschen, haben diese Botschaften die internen Bewertungskategorien bereits durchlaufen. Folglich wissen Facebook & Co mehr über den moralischen und intellektuellen Zustand dieses Landes als Verfassungsschutz und Regierung.
Das mit heißer Nadel gestrickte NetzDG ist zudem typisch für die Arbeit der bisherigen Großen Koalition. Man betreibt Symbolpolitik, scheut sich aber davor, das Übel an der Wurzel zu fassen und es zu beseitigen. Denn durch die kommerziellen Netzwerke wurde das Internet, und damit die digitale Kommunikation, zum Bestandteil eines vermeintlich freien Weltmarkts erklärt. Gegen diesen global agierenden Neoliberalismus hat zumindest die CDU mehrheitlich nichts einzuwenden. Sie ist in diesem Punkt erkennbar die Stimme ihres Herrn und Finanzierers, der Monopolwirtschaft.
Ähnlich wie bei anderen Produkten wird auch dieser Markt von Monopolunternehmen bestimmt. Die dort aggressiv vermarkteten Waren orientieren sich vornehmlich an den persönlichen Daten, die von Nutzern leichtsinnig im Internet offenbart werden. Vielfach geschieht dies auch aus persönlicher Eitelkeit, die sich in unheilvoller Weise mit gesellschaftlicher Verblödung paart. Wer sich hierzulande die Programme privater TV-Sender ansieht, findet eine Bestätigung für diese Spirale der Widerwärtigkeiten: Man vermag kaum noch unterscheiden zwischen Programminhalten und der dort platzierten Werbung. Zudem kommunizieren immer mehr Menschen in einer infantilen Sprache, die offensichtlich sowohl den kommerziellen Netzwerken als auch bestimmten Fernsehserien entlehnt ist und die in keiner Weise der realen Welt von Erwachsenen gerecht wird. Die Inflation absurder bis gefährlicher Ideen im Netz fördert Diskriminierung und Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft. Es ist ja alles easy, supi und megageil.
Durch die unbeschränkte Öffnung des öffentlichen Raumes für private Be- und Empfindlichkeiten sieht beispielsweise der Philosoph Robert Pfaller die Werte der Aufklärung und letztlich die Demokratie gefährdet. Das Ziel der Aufklärung war ein mündiger Bürger, der sich bilden und in den öffentlichen Diskurs einbringen konnte. Pfaller diagnostiziert hingegen eine zunehmende Infantilisierung der Öffentlichkeit und entlarvt in seinem neuen Buch „Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur“ ebenso die Lebenslügen einer normierten Gesellschaft, in der auch die selbsternannten Eliten der Verblödung preisgegeben sind.
Einer solchen Entwicklung kommt man nicht bei, indem man die Eigentümer der Internetplattformen zur Löschung von (vorab ausgewerteten) Hasstiraden zwingt. Nein, auf einem deregulierten Markt lässt sich nur durch klare Vorgaben ein ausgewogenes Verhältnis von Angebot und Nachfrage wiederherstellen. Ginge man wegen jedes veröffentlichten Hassaufrufs strafrechtlich gegen die verantwortlichen Manager vor und Geschäftskapital beschlagnahmen, würden rassistische und antidemokratische Nutzergruppen für die Betreiber kommerziell uninteressant. Das Geschäftsmodell von Facebook und anderen ließe sich dann aller Voraussicht nach in Deutschland nicht mehr aufrechterhalten. Doch dieser Verlust wäre ein Gewinn für die Demokratie.
Dann hätte es auch ein Ende mit dem Ausspionieren der Privatsphäre von Internetnutzern, die gar nicht über einen Facebook-Account verfügen. Im März 2015 berichtete die britische Tageszeitung „The Guardian“ über diverse Verstöße gegen den Datenschutz und berief sich auf eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Leuven in Belgien.
Noch wichtiger als ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz wäre die Installierung eines digitalen Informationsnetzes für Privatnutzer nach dem Vorbild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Letzterer präsentiert sich mittlerweile trotz anderslautender Bestimmungen in den Rundfunkstaatsverträgen auf den seichten und trüben Pfaden von Facebook & Co. Ergänzende Programmangebote von ARD und ZDF werden ausgerechnet dort bereitgestellt. Da kann man darüber spekulieren, welchen Intendanten und Hauptabteilungsleitern die Hände gesalbt wurden.
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Facebook-Warnung © Medien-Redaktionsgemeinschaft
Info:
Die bibliografischen Daten des erwähnten Buchs lauten:
Robert Pfaller:
Erwachsenensprache
Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur
Fischer Verlag
256 Seiten Paperback
ISBN 9783596298778
Ladenpreis 14,99 €