Conrad Taler
Bremen (Weltexpresso) – Es ist an der Zeit, einige Dinge vom Kopf auf die Füße zu stellen: Die Verantwortung für das Zustandekommen einer neuen Bundesregierung liegt nicht bei Martin Schulz und der SPD, sondern bei Angela Merkel und den beiden Unionsparteien. Sie sind bei der Wahl am 24. September stärkste Kraft geworden und haben den Auftrag, eine neue Regierung zu bilden. S i e tragen die Verantwortung dafür, dass etwas Vernünftiges daraus wird. Diese Verantwortung der SPD aufzuladen, ist eine der Paradoxien des Gerangels um die Regierungsbildung.
Die hämischen Kommentare aus den Reihen der CSU über die heftigen Diskussionen innerhalb der SPD waren und sind fehl am Platz. Jeder kehre vor der eigenen Tür. Um überhaupt Verhandlungen aufnehmen zu können, mussten die Unionsparteien erst den Konflikt beilegen, der wegen der Flüchtlingspolitik zwischen ihnen schwelt. Wohl wissend, dass ihre Omnipotenz schwindet, musste Angela Merkel dem Druck der CSU nachgeben und deren Forderung nach einer Obergrenze bei der Zuwanderung akzeptieren.
Ihr Taktieren während der Gespräche mit den Grünen und den Freien Demokraten war allem Anschein nach darauf angelegt, sie scheitern zu lassen. Nicht wegen Christian Lindner ist die geplante Jamaika-Koalition nicht zustande gekommen, sondern wegen Angela Merkel, die sehr wohl wusste, dass sie sich mit ihrer Politik bei den Sozialdemokraten besser aufgehoben fühlen konnte, als bei den beiden kleineren Parteien. Kompliziert wurde die Lage für sie durch die entschiedene Absage an eine neue Große Koalition durch Martin Schulz unmittelbar nach der Wahl. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, bedurfte es des massiven Drucks durch den Bundespräsidenten und seines Appells an die staatspolitische Verantwortung der SPD. Der Kurswechsel erwies sich für die Partei als halsbrecherisch.
Den Beweis erbrachte der Sonderparteitag der SPD, an dessen Ende die Parteiführung mit der knappen Mehrheit von 56 Prozent die Erlaubnis erhielt, nach den Sondierungsgesprächen nun Verhandlungen über eine Wiederbelebung der Großen Koalition zu beginnen. Dass es den Unionsparteien gelungen ist, den Schwarzen Peter im Ränkespiel um die Regierungsbildung den Sozialdemokraten zuzuschieben, gehört zu Paradoxien des Tauziehens zwischen den Kontrahenten. Als wäre es eine Gnade, wieder mit Vertretern der Unionsparteien am Kabinettstisch sitzen zu dürfen.
Dabei hat die SPD alle Trümpfe in der Hand. Sie kann der CDU/CSU Bedingungen stellen, nicht umgekehrt. S i e entscheidet darüber, ob Angela Merkel weitere vier Jahre regieren kann, oder ob sie sich Neuwahlen stellen muss. Martin Schulz hat versprochen, der Gegenseite weitere Zugeständnisse abzuringen. Das Wort ergebnisoffen fehlte diesmal in dem Bekenntnis zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Das könnte darauf hindeuten, dass am Ende auf jeden Fall ein Ja zur Weiterführung der Großen Koalition stehen soll. Ob die Mitgliedschaft dazu ihren Segen gibt, bleibt abzuwarten.
Inzwischen zeitigt der Verzicht der SPD auf die ursprünglich angepeilte Rolle als stärkste Oppositionspartei erste Nebenwirkungen. Die rechtspopulistische AfD konnte im Bundestag als nunmehr stärkste Oppositionspartei den Vorsitz im Haushaltsausschuss und im Rechtsausschuss übernehmen.
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