Flüchtlinge aus Eritrea demontrierten Ende Januar in Jerusalem gegen ihre geplante Deportation
Jacques Ungar
Tel Aviv (Welterxpresso) - Die israelische Regierung will afrikanische Flüchtlinge, die illegal in Israel sind, ausweisen – nun kommt die Frage auf, ob Israel gegen geltendes internationales Recht verstösst.
Die Ereignisse liegen zwar schon rund 70 Jahre zurück, doch vor allem die zu den älteren Generationen zählenden Mitmenschen werden wohl die brutalen schwarz-weiss Fotografien deportierter Juden nie vergessen können, die, zusammengepfercht in Viehwagen, auf Lastwagen oder in Güterwagen, ihre fast immer letzte Reise zu den Todeslagern der Nazis antreten mussten. Wir, die Nachfolge-Generationen sollten alles daran setzen, um die Schreckensbilder nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Bilder ausgemergelter menschenähnlicher Gestalten, die das KZ zwar überlebt, dabei aber jeden Glauben an die Menschlichkeit verloren hatten, stempelten dem Begriff der Deportation endgültig den negativen Beigeschmack auf, der ihm bis heute haften geblieben ist.
Ungewisse Zukunft
Begehen wir nicht den Fehler, die Zustände von 1940 mit jenen von 2018 vergleichen zu wollen. Wenn aber Israel, die Nation der ehemaligen Deportierten, jetzt selber zur deportierenden Nation zu werden droht, dann geschieht dies zwar nicht mit Hilfe von Viehwagen und unter unvorstellbaren sanitarischen Verhältnissen. Vielmehr «dürfen» die deportationswilligen Afrikaner, versehen mit einem Trostpflaster von umgerechnet 2800 Euro und einem Flugticket pro Person, einer Zukunft entgegenfliegen, die trotz aller Beschwichtigungen israelischer Politiker ungewisser nicht sein könnte. Mit etwas Zynismus ließe sich von «Deportation de Luxe» sprechen.
Anfang der Woche hat die israelische Bevölkerungs-, Immigrations- und Grenzbehörde begonnen, die ersten rund 20 000 Deportationsnotizen unter solche Asylsuchende aus Eritrea und Sudan zu verteilen, die sich nicht im Internierungszentrum Holot befinden. In einer ersten Phase werden die Notizen an Männer ohne Kinder abgegeben, die zu den Behörden gekommen waren, um ihre Niederlassungsbewilligungen zu erneuern. Bürger aus den afrikanischen Staaten müssen ihre Visa alle zwei Monate beim Büro der Behörde in Bnei Brak erneuern. Sie erhalten nun ihr letztes Visum, ergänzt durch einen Brief, in dem sie aufgefordert werden, in der ihnen zur Verfügung stehenden Periode das Land zu verlassen. Andernfalls müssten sie damit rechnen, ihre Arbeitsbewilligung zu verlieren und auf unbestimmte Zeit inhaftiert zu werden. Aus-
genommen von diesen Zwangsmassnahmen sind vorerst Frauen, Kinder und verheiratete Männer. Das Personal der zuständigen israelischen Behörde schlägt den Betroffenen vor, entweder nach Ruanda auszuwandern oder dann in ihre Geburtsländer zurückzukehren.
Verletzung des internationalen Gesetzes?
Premierminister Binyamin Netanyahu behauptete gegenüber Likud-Ministern, dass der amerikanisch-jüdische Milliardär George Soros eine Protestkampagne gegen die israelischen Deportationspläne für afrikanische Asylsuchende finanziere. Eine Sprecherin des Milliardärs dementierte gegenüber dem israelischen TV, dass Soros eine Kampagne gegen die israelischen Deportationspläne finanziere, gab aber zu, dass es in Übereinstimmung mit der Flüchtlingskonvention von 1951 und nach dem internationalen Gesetz falsch sei, Asylsuchende unfreiwillig in Staaten zurückzuschicken, wo sie verfolgt oder gar getötet werden könnten. Alles in allem halten sich in Israel heute rund 38 000 afrikanische Migranten auf. Seit 2013 haben die israelischen Behörden nur gerade 6500 der total 15000 eingereichten Asylgesuche begutachtet. Von diesen wurden dann gerade mal elf bewilligt.
Am Dienstag veröffentlichte die «Jerusalem
Post» einen offenen Brief an Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit, in dem 25 internationale Rechtsexperten behaupten, der Aus
weisungsplan des israelischen Innenministeriums für Tausende eritreischer und sudanesischer Asylsuchende sei eine Verletzung des internationalen Gesetzes. Sowohl der Ausweisungsbeschluss als auch die Drohung mit einer zeitlich unbegrenzten Inhaftierung für den Fall einer Weigerung der «freiwilligen Selbst-Deportation» seien, so die Rechtsexperten, für ein demokratisches Land unzulässig. Die Internierung mit zeitlich unbegrenzter Dauer einerseits und der Deportation andererseits seien, laut den Briefeschreibern, keine Alternativen, aus welchen man wählen könne. Die zeitlich unlimitierte Internierung diene einzig dazu, den Geist der Internierten zu brechen. «Das stellt eine Verletzung des internationalen Gesetzes dar, spezifisch, da es sich um Menschenrechte handelt.»
Illegale Abschiebung
Das Innenministerium beabsichtigt nach eigenen Worten, im Verlauf der kommenden drei Jahren pro Monat mindestens je 300 afrikanische Migranten abzuschieben. Zur Erledigung dieser sicher nicht einfachen Arbeit will das Ministerium 100 zivilen, freiwilligen «Inspektoren» einen Lohn zahlen, sowie einen Bonus von 30'000 Shekel für die Erreichung der Quote in der zur Verfügung stehenden Zeit. Dazu der offene Brief: «Der Staat Israel muss davon absehen, das Deportationsprotokoll in Kraft zu setzen und muss seine Immigrationspolitik in den Schranken des internationalen Gesetzes platzieren.» Zwischen den Fakten des Gesetzes und den Absichten des offiziellen Israels scheint hier eine kaum zu überbrückende Lücke zu klaffen. Die Deportationspolitik verletze laut Brief die elementarsten Menschenrechte, die allen Menschen zugutekommen würden. Wörtlich halten die Verfasser fest: «Deshalb ist es unsere professionelle Pflicht, das Wort zu ergreifen. Wir hoffen, dass die israelische Regierung auf ihre Absicht zurückkommt, gemäss dem erwähnten Protokoll Zehntausende von Menschen illegal abzuschieben.
In einem Gespräch mit Redakteuren der «Jerusalem Post» meinte Malcolm Hoenlein, Vizepräsident der Präsidentenkonferenz der wichtigen jüdischen Organisationen der USA, Israel müsse rechtzeitig seine Entscheidung erklären, afrikanische Migranten zu deportieren. Zwar könnte Israel seine Politik nicht ändern, nur weil sie einigen Amerikanern nicht passe, doch müsse man in Jerusalem realisieren, dass die Politik vor allem bei jenem Segment der US-Bevölkerung besonders schlecht ankommen werde, wo Israel sowieso schon fürchtet, die Unterstützung zu verlieren. Das darf als ein klarer Hinweis auf kritische Mitglieder der Demokratischen Partei aufgefasst werden. Premier Netanyahu, der sich laut Hoenlein sehr gut mit den sozialen Medien verstehe, müsste seine Erklärungen auf die Linie konzentrieren, dass das Land bisher zahllose Immigranten aus aller Welt aufgenommen habe, doch man könne von ihm nicht erwarten, Wirtschaftsflüchtlinge willkommen zu heissen. Hoenlein betonte auch, dass Israel seine Politik gemäss der Antwort auf die Frage zu formulieren habe, welchen Einfluss die Politik auf Israels Freunde ausüben werde, die einerseits Israel unterstützen, andererseits aber Probleme bekunden werden, wenn es darum gehe, eine Deportationspolitik zu verteidigen. Gegenüber der «Jerusalem Post» meinte Hoenlein, er schrecke vor dem Augenblick zurück, an dem die ersten Deportations-Fotografien die Runde um die Welt machen würden.
Mit der Angst vor dem Schrecken wird Malcolm Hoenlein wohl kaum der Einzige unter den Israel-Freunden sein. Netanyahu, der für gewöhnlich einen guten Draht zu den sozialen Medien habe, solle erklären, dass Israel ein Land sei, das zahllose Immigranten aus aller Welt aufgenommen habe, doch man könne von ihm nicht erwarten, Wirtschaftsflüchtlinge aufzunehmen.
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© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 9. Februar 2018