Kurt Nelhiebel
Frankfurt (Weltexpresso“) - Redaktionelle Vorbemerkung: Unser Mitarbeiter Kurt Nelhiebel hat uns den nachfolgenden Brief zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Den Namen der Empfängerin haben wird geändert.
Liebe Frau Meyerdierks
am 7. März bin ich an unseren Gedankenaustausch zum Thema Heimat erinnert worden, und zwar durch ein Interview der Süddeutschen Zeitung mit dem neuen Vorsitzenden der Grünen, Robert Habeck. Ähnlich wie ich verbindet er mit dem Wort Heimat den Gedanken an Geborgenheit.
Die an ihn gerichtete Frage lautete: Ein Reizwort, das Ihre linke Basis aufregt, ist Heimat“. Was bedeutet es für Sie? Habecks ausführliche Antwort geht in die Tiefe. Ich bewundere das, weil mir das „Verfertigen von Gedanken beim Sprechen“ schwer fällt. Heimat habe immer dann eine Renaissance, wenn das Heimweh am größten sei und wir Halt suchten, sagte er. Es sei eher ein Versprechen als ein Ort. „Und jeder versteht darunter etwas anderes“. Das haben wir beide auch schon festgestellt. Heimat werde „individuell aufgeladen“ mit Erinnerung an Kindheit, Landschaft, Liebe. Und hier öffne sich ein Raum für linke Interpretationen.
Heimat könne bedeuten, so Habeck weiter, dass in einer Gesellschaft solidarisch miteinander umgegangen werde: dass Menschen sich mit ihrer Arbeit identifizieren könnten, dass es sozialen Zusammenhalt gebe und Räume, wo Menschen mit Menschen kommunizierten, ohne Stress und Leistungsdruck. Das werde in der Abkürzung dann irgendwann die Erinnerung, wie Schwarzbrot mit Honig geschmeckt habe, „als wir als Kinder barfuß über den Strand gelaufen sind. Man fühlte sich geborgen. Und wir sind auf der Suche nach einer Politik, die Geborgenheit bietet.“
Wie kommt es, dass immer mehr Menschen Heimweh empfinden und Halt suchen? Im ersten Moment denken viele an den Zustrom hunderttausender Menschen aus einem fremden Kulturkreis im Jahr 2015 und an Angela Merkels Spruch „Wir schaffen das“. In Wirklichkeit setzte das Heimweh und das Halt-Suchen sehr viel früher ein. Die so genannte Flüchtlingskrise war nur der Auslöser für das Überschwappen eines Gefühls der Bedrohung, insbesondere bei Menschen, die sich an den Rand gedrängt und zu wenig beachtet fühlten. Das gilt auch für die Menschen, die der Hunger an die Essener „Tafel“ treibt, wo sie sich Menschen gegenüber sehen, die eine fremde Sprachen sprechen und die sie allein vom Alter her dort nicht erwarten.
So wächst allmählich ein Gefühl der Fremdheit im eigenen Land heran, der Heimatlosigkeit in der Heimat, wie man sie sonst nur in der Fremde empfindet. Daraus wird dann Heimweh, das gestillt werden will. Solche Menschen suchen Zuflucht bei Leuten, die Verständnis für ihre Ängste zeigen. Darunter sind dann auch politische Rattenfänger, die ihnen nach dem Munde reden. So werden die Armen ungewollt zu Hilfstruppen für Gruppierungen gemacht, die nichts Gutes im Schilde führen, wie wir am Auftreten der AfD sehen. Dabei halten diese Leute sich jetzt noch zurück. Deshalb muss man ihnen schon jetzt entschieden entgegentreten und darf nicht darauf hoffen, dass sie sich irgendwann selbst demontieren. Dieser Irrglaube hat schon einmal schlimme Folgen gehabt.
Hier wartet auf alle demokratischen Parteien eine große Aufgabe. Die Parteinahme für Menschen, die dem Zustrom von außerhalb skeptisch gegenüberstehen, darf nicht als Parteinahme für Rechtspopulisten ausgelegt werden. Die Menschen, die sich an der Essener Tafel oder wo auch immer für die Ärmsten der Armen einsetzen und dabei zunächst an die Schwächsten unter den Schwachen denken, sind doch keine Nazis und auch keine Rassisten.
Politische und ethnische Konflikte haben soziale Ursachen. Die Nazis in meiner alten Heimat fanden deshalb so großen Zulauf, weil die Arbeitslosigkeit in den industriell geprägten deutsch besiedelten Randgebieten Böhmens und Mährens so groß war, und Donald Trump fand jetzt in USA so großen Zulauf, weil er den Ärmsten im Lande ein besseres Leben versprach. In vielen europäischen Ländern ist es ähnlich.
Solange die Geldverschwendung für Militäreinsätze in Afghanistan, im Irak und in Mali nicht aufhört, solange die Sozialdemokraten Angst davor haben, den Reichen etwas zu nehmen, um es den Armen zu geben, so lange wird sich grundsätzlich nichts ändern. Mit ein paar sozialen Trostpflastern ist es nicht getan. Man kann mir entgegenhalten: So geht das nicht in der globalisierten Welt, weil das große Geld dann eben wo anders hingeht – aber irgendwann wird das Problem angegangen werden müssen, sonst wird es ein schlimmes Ende nehmen. Robert Habeck sieht das offenbar ähnlich: „Wir werden unsere Sozialpolitik grundlegend ändern müssen“, verlangt er. Die Digitalisierung werde noch viele Jobs fressen. Die Demokraten müssten etwas tun für den Teil der Gesellschaft, der aus Frustration drohe, die demokratische Mitte zu verlassen. Ein kluger Mann.
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© robert-habeck.de
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