Arbeitgeberinstitut will den Staat demontieren
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Würden die Städte ihre umfangreichen Wohnungsbestände verkaufen, könnten sie ihre Schulden ganz oder zumindest zu großen Teilen tilgen. So lautet eine am 19. März verbreitete dpa-Meldung, die sich auf eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) bezieht. Es lohnt sich, den Text genau zu lesen und ihn zu analysieren. Denn er entlarvt die Begehrlichkeiten des Neoliberalismus.
Die Schulden des Staats (überwiegend Investitionen in Soziales, Bildung, Gesundheit, Sicherheit und Infrastruktur) entsprechen jenen Steuern, auf deren Eintreibung er bei Reichen, Spekulanten und Unternehmen verzichtet. Denn politische Rücksichtnahmen gegenüber dem Großkapital rangieren seit über 60 Jahren vor dem Gemeinwohl. Das wissen auch die Arbeitgeberverbände und sie befürchten, dass selbst in Zeiten einer politisch ruhiggestellten Bevölkerungsmehrheit die Diskussion über Steuergerechtigkeit nicht völlig unterdrückt werden kann (die Neuauflage der GroKo läuft bekanntlich auf nichts anderes als auf die Verteilung von Anästhetika hinaus).
Folglich mobilisierten die Arbeitgeber ihre eigene Desinformations- und Propagandaabteilung, das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Dieses unterbreitete nun einen Vorschlag, der auf die vollständige Beseitigung staatlicher Regulierung, vor allem bei der Daseinsvorsorge, hinausläuft. Der IW-Immobilienexperte rät den Kommunen, ihre Wohnungsbestände zu verkaufen. Dadurch würden sie ihre Schulden entweder vollständig oder doch zu großen Teilen loswerden. Auf die sozialen Folgekosten geht die Studie nicht mit derselben Gründlichkeit ein. Vielmehr geht sie davon aus, dass sich die Mietbelastungen für die Bewohner nicht wesentlich verändern würden – so als ob die neuen Eigentümer Milliarden Euro investierten, die sich bei bezahlbaren Mieten erst in 500 Jahren amortisiert hätten. Dabei ächzen Städte wie Frankfurt am Main seit langem unter den Profiterwartungen des Immobiliensektors. Und längst sind selbst besserverdienende Normalbürger wegen dieser Preise tendenziell von Armut bedroht.
Die Rechenkünste wirtschaftsnaher Institute haben dem Land bereits bei der staatlichen Rentenversicherung ein wachsendes Armutsrisiko unter den Normalverdienern beschert. Die Professoren Bernd Raffelhüschen und Bert Rürup scheuten sich im Zuge der Deregulierung öffentlicher Daseinsvorsorge und speziell von Schröders Agenda-Politik nicht, die Arbeitnehmerschaft auf betriebswirtschaftliche Kennziffern zu reduzieren und deren Lebensplanung zu wesentlichen Teilen an kommerzielle Renditeaussichten (kapitalgedeckte Rente) zu knüpfen, um dem Staat Ausgaben zu ersparen und die Unternehmen von Kosten und Steuern zu entlasten. Das Risiko verteilten sie dabei einseitig, nämlich zu Lasten der Arbeitnehmer.
Das NS-Regime hatte übrigens mit der IW-Studie vergleichbare Rechenoperationen angestellt: Würde man sämtliche Behinderte und Schwerkranke ermorden, erspare dies der Volksgemeinschaft Millionen Reichsmark an Sozialkosten. Der Vorschlag wurde angenommen (siehe z.B. die „Grauen Busse“ von Hadamar).
Die Initiative des Instituts der Deutschen Wirtschaft macht deutlich, was auf der politischen Prioritätenliste dieses Landes an erster Stelle stehen müsste: Die Überführung von Großunternehmen in Gemeineigentums ohne Zahlung von Entschädigungen. Letzteres, weil die Monopole die Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg finanziell ausgebeutet haben.
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„Wem gehört die Stadt und wer verfügt über Grund und Boden?“
© Die Linke im Frankfurter Römer