Bildschirmfoto 2018 04 16 um 08.05.34Roger Schawinski über Verschwörungstheorien, Antisemitismus und Debatten rund um Fake News 

Yves Kugelmann

Zürich (Weltexpresso) - Roger Schawinski hat ein neues Buch geschrieben: Verschwörung! Die fanatische Jagd nach dem Bösen in der Welt, erschienen bei NZZ Libri, Zürich 2018. Mit freundlicher Genehmigung übernehmen wir das Interview, das der Herausgeber von tachles mit dem Autor geführt hatte. Die Redaktion
 
tachles: Wo liegt für Sie der Unterschied zwischen Mythos und Verschwörungstheorie?

Roger Schawinski: Bei Verschwörungstheorien sind in erster Linie Menschen empfänglich, die mit dieser Welt irgendwie nicht zurechtkommen. Wenn sie die Schuld dafür irgendwelchen dunklen Mächten zuschieben können, ist das für sie eine Entlastung. Sie fühlen sich besser.



Gedanken der Ohnmacht, die wohl viele irgendeinmal haben. Wo liegt aber die Grenze, da man sich aus der eigenen Verantwortung auskoppelt und alles Schlechte diesen vermeintlichen Mächten zuschreibt?

Dort, wo man davon ausgeht, dass hinter dem, was einem etwa in den Medien präsentiert wird, eine andere Wahrheit stecken muss, und dass es gewaltige Kräfte gibt, die einen manipulieren und belügen. Wenn man in diese Welt eintaucht, fühlt man sich allen anderen überlegen, die sie noch nicht erkannt haben und weiter im Dunkeln vegetieren.


Gehören die Querelen um Wahlbeeinflussung zwischen den USA und Russland zu den Verschwörungstheorien?

Nein, da gab es eine echte Verschwörung. Es wurde gehackt, man hat die Leute manipuliert und die Wahlen in eine bestimmte Richtung gebracht.


Also eine Verschwörung gegen Amerika? Muss man davon ausgehen, dass es eine manipulative Verschwörung aus dem Ausland gab, die über die in der internationalen Politik verbreitete Intrige hinaus verantwortlich ist?

Genau. Es gibt viele Fakten und Aussagen dazu, jüngst etwa zu Cambridge Analytica, dass man auf wissenschaftliche Art versucht hat, das Ziel zu erreichen. Aber auch die Berichte von 17 amerikanischen Geheimdiensten.


Die «Protokolle der Weisen von Zion» sind quasi die Mutter aller Verschwörungs­theorien. Sie thematisieren sie in Ihrem Buch. Weshalb halten sie sich bis heute?

Das Bild von Juden ist seit Jahrhunderten Teil von Verschwörungstheorien. Es ist eine der Wurzeln vieler gängiger Weltverschwörungstheorien, dass hinter allem die «Juden» stecken. Das taucht bis heute immer wieder auf.


Lassen sich Verschwörungstheorien mit rationalen Argumenten bekämpfen?

Die echten «Gläubigen» reagieren auf Fakten, die sie als Beweis für das Vorliegen einer besonders heimtückischen Verschwörungstheorie abtun. Und deshalb glauben sie umso mehr an ihre eigenen Theorien.


Der Mord an John F. Kennedy war beispielsweise auch Ausgangspunkt für eine Verschwörungstheorie. Wie reagieren Sie selbst, wenn Sie auf solche Ereignisse schauen?

Es gibt Ereignisse, die nicht zweifelsfrei aufgeklärt werden können, weil sie komplex sind oder weil Fakten fehlen. Das wird dann für solche Theorien benützt, denn es ist eine tolle Ausgangslage. Aber das sind einzelne Verschwörungstheorien. Es gibt ja tatsächlich echte Verschwörungen. Letztere sind heute allerdings kaum noch geheim zu halten.


Haben Sie dafür ein Beispiel?

«9/11». Wenn das eine Verschwörung gewesen wäre, hätte es todsicher irgendwo, irgendwann ein Leck gegeben. Wir haben es mit Edward Snowdon und bei anderen Gelegenheiten erlebt. Es wäre aufgeflogen. Schon Macchiavelli sagte, dass eine Verschwörung mit mehr als drei Beteiligten nicht geheim bleiben kann. Und das war ziemlich lange vor dem Internet.


Was ist das Hauptargument gegen Verschwörungstheorien, weshalb mahnen Sie heute mit einem Buch dagegen?

Das Ganze spielt sich in einer riesigen Subkultur ab, deren wahre Grösse von der Öffentlichkeit nicht erkannt wird, weil sich offizielle Medien des Themas nicht annehmen, um nichts damit zu tun haben zu müssen. Die Sache spielt sich in einem immens grossen Kontext ab, einesteils im Internet, anderseits mit Büchern mit sehr grossen Auflagen und in Vortragssälen, die stets voll sind. Mit der Ära Trump haben diese Theorien sogar Eingang in die höchste Sphäre der Politik gefunden.


Mit Ihrem Buch versuchen Sie nun, diese Aktualität einzufangen.

Ja. Für Verschwörungstheoretiker ist das Internet eine wunderbare Sache, und in den Kommentarspalten der Onlinemedien können sie sich grenzenlos verbreiten. Auf Kritik reagieren sie allerdings sehr aggressiv, und ich wurde wegen meines Buchprojekts vor heftigen Reaktionen gewarnt.


Zentral im Buch ist der Schweizer Historiker Da­niele Ganser. Er nennt sich Wissenschaftler, und es ist nicht leicht, seine Verschwörungstheorien offenzulegen. Wie kann man einen wie ihn entlarven?

Im Buch zeige ich auf, dass er sich teils auf sehr fragwürdige Quellen stützt, etwa in seiner Dissertation auf solche des russischen Geheimdienstes mit seiner seit langem gepflegten Methode der Desinformation. Ich hinterfrage auch seinen Deckmantel der Wissenschaft und weise auf seinen Verfolgungswahn hin. Etwa, wenn er ein Zitat aufnimmt: «Wir sind zu viele, sie können uns nicht alle töten.» Er schlüpft in die Märtyrerrolle und vergleicht sich direkt mit Hans und Sofie Scholl, die Ikonen des zivilen Widerstands gegen die Nazis, die von der Gestapo hingerichtet wurden.


Aber um was geht es ihm denn: Um den Kampf gegen das mächtige Böse?

Er bezeichnet sich als Friedensforscher, obwohl er dafür nicht ausgebildet ist. Seine Aussagen führen zu unglaublichen Verrenkungen in seiner Argumentation. Wenn die NATO immer das Böse ist – wer ist dann das Gute? Bei ihm sind es in seinem fatalen Umkehrschluss die Russen, weshalb er sie durchs Band weg verteidigen muss. Auch bei ihrer Unterstützung für Bashar al-Assad, der sein eigenes Volk mit Gas tötet.


Steven Bannon, der ehemalige Berater von US-Präsident Donald Trump, ist eine andere prägnante Figur der Gegenwart: ein Verschwörungstheoretiker oder einer, der solche nutzt, um seine rechtspopulistische Argumentation zu bringen?

Beide, Ganser wie Bannon, sind Verschwörungstheoretiker dann, wenn es ihnen nützt. Sie setzen das zielgerichtet und diskreditierend ein, auch gegen die «Lügenmedien».


So kann man Wahlen gewinnen ... Was können Öffentlichkeit und Medien dagegen machen?

Es ist praktisch unmöglich, echte Verschwörungstheoretiker davon zu überzeugen, dass sie falsch liegen. Man kann sie schlicht nicht erreichen. Aber den Leuten im Umfeld, die sich von solchen Theorien verführen lassen – denen kann man es sagen. Ich zeige im Buch an mehreren Stellen, mit welchen psychologischen Tricks und welcher Wortwahl die Verschwörungstheoretiker ihre Sache zu verkaufen versuchen. So kann man verstehen, wie ihre Manipulation abläuft.


Wie verhält es sich denn beispielsweise mit Leuten wie dem Schweizer Erich von Däniken:­ Ist er auch ein Verschwörungs­theoretiker?

Man nahm ihn damals als Fantasten, und seine «faktischen Beweise» wurden grösstenteils widerlegt. Ich habe ihn aber deshalb ins Buch genommen, weil sein Beispiel zeigt, dass auch krude Theorien teilweise von Verschwörungstheoretikern aufgenommen werden. So etwas kann dann leicht ins Gefährliche geraten.


In der Wissenschaft braucht es am Anfang ja eine These, die man plausibel darlegen kann oder nicht. Könnte das nicht auch auf von Däniken zutreffen?

Bei Erich von Däniken fallen die von ihm vorgelegten «Fakten» doch einfach alle in sich zusammen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob er selbst wirklich daran glaubt oder ob er schlicht ein gutes Geschäft entdeckt hat. Es gibt vor allem in den USA etliche, die mit den krudesten Verschwörungstheorien Millionen verdienen – diesen Aspekt darf man nicht vernachlässigen.


Wie bei Sekten und evangelikalen Priestern. Da herrscht in den USA eine andere Kultur, und die Freiheit der Rede geht sehr weit.

Ja, ich zeige im Buch auch Parallelen zwischen Verschwörungstheoretikern und Sekten auf, deren es sehr viele gibt. Aber die Organisationsform ist unterschiedlich; Sekten sind viel organisierter, ihre Kontakte laufen auf der persönlichen Ebene.


War eine persönliche Konfrontation mit Verschwörungstheorien, denen man als Jude ja immer wieder ausgesetzt ist, die Motivation für Ihr Buch?

Nein, ich war bei meinen Recherchen zuerst überrascht und dann schockiert, wie stark der jüdische Aspekt bei vielen Verschwörungstheoretikern selbst heute noch vorhanden ist. Mich hat die Vehemenz der Auftritte, ihre Aggressivität und auch die Dimension ihrer Kreise zu interessieren begonnen. Das brachte mich dazu, das Buch zu schreiben.


Würden Sie den Antisemitismus auch als Verschwörungstheorie betrachten?

Nein, er ist eine innere Haltung. Die Beherrschung der Welt durch die Juden hingegen ist eine Verschwörungstheorie.


Aber der klassische Judenhass basiert doch auf einer Verschwörungstheorie.

Das ist eher eine religiöse Ablehnung.


Also kann man Antisemitismus mit Argumenten und Rationalität bekämpfen?

Ja, eher als Verschwörungstheorien, weil deren Jünger in einer Echokammer leben, wo sie nicht ansprechbar sind, weshalb Argumente sie nicht erreichen. Und ich meine, dass man den Verschwörungstheoretikern in den elektronischen Medien keine Plattformen bieten sollte.


Aber wie kann der professionelle Journalismus auf dieses Thema eintreten, ohne diesen Leuten noch zu helfen?

Solche Provokateure werden eben jede Plattform missbrauchen, um die Diskussion in ihre Richtung zu bringen und zu manipulieren. Solche Diskussionen können zu nichts führen. Das versuche ich, mit meinem Buch auch aufzuzeigen.


Womit die Medien eine neue Verantwortung haben?

Die hatten sie schon immer. Aber durch die Stärke des Internets haben sich diese Leute eh schon eine eigene Welt geschaffen. Sie beklagen sich jeweils, dass man sie ausgrenzt und setzen sich damit in die Märtyrerrolle. Das passt ihnen enorm.


Wer so ein Buch schreibt, muss mit Reaktionen gerade aus den Kreisen der Verschwörungstheoretiker rechnen: Wie sind Sie auf die zu erwartenden Reaktionen, gerade im Internet, vorbereitet?

Ich lasse es auf mich zukommen. Vor einer journalistischen Auseinandersetzung, die ich für wichtig halte, habe ich mich noch nie gedrückt. Ich hoffe aber natürlich, dass die Sache nicht aus dem Ruder laufen wird.


Foto:
Roger Schawinski zeigt in seinem neuen Buch die riesige Subkultur der Verschwörungs­theoretiker auf © tachles

Info:
Roger Schawinski: Verschwörung! Die fanatische Jagd nach dem Bösen in der Welt. NZZ Libri, Zürich 2018

Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 13. April 2018