Cordula Passow
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Schizophren ist das alles schon. Aber schizophren ist auch das Leben selbst. Wer es heute nicht mehr weiß, dem muß man erzählen, daß die Frankfurter Alstadt bis zum 2. Weltkrieg als die geschlossendste, schönste und besonders pittoreske galt, die in besonderer Weise alle Stilelemente seit dem Mittelalter in ihren Gebäuden zeigte. Der Wiederaufbau, auf den wir später eingehen, ist kein originalgetreuer, sondern eine Melange zwischen Gewesenem und Erfundenem.
Wichtig scheint uns aber zuvor, den heutigen Frankfurtern und ihren Besuchern noch einmal zu verdeutlichen, was geschah. Das Merkwürdige in Frankfurt ist nämlich, daß heute eigentlich keiner mehr darüber redet, warum eine Altstadt überhaupt neu aufgebaut werden mußte, also kaum einer über den Zweiten Weltkrieg und die verheerenden Folgen für die Stadt Frankfurt mehr spricht. Wenn man hier aufgewachsen ist, wie einige aus der Redaktion, dann hat einen der Krieg nur von ferne gestreift, denn die Eltern oder man selbst ist schon in den Trümmern groß geworden und inmitten der amerikanischen Besatzungsmacht, die in Frankfurt in dem IG-Farben-Gebäude, dem IG Hochhaus ihren Sitz hatte, in dem Gebäude also, das Hans Poelzig zum Ruhme der IG Farben, zu der sich sieben chemische Betriebe als Industriekomplex zusammengeschlossen hatten, erbaut hatte, dieser gewaltige, durch die Krümmung fast leicht wirkende Komplex, der heute, nach dem militärischen Rückzug der Amerikaner aus Deutschland und Europa, die Goethe-Universität beheimatet. Noch vor Kriegseintritt hatten die Amerikaner das IG Hochhaus als künftiges Quartier bestimmt und zwar nicht nur als Sitz der Amerikaner in Deutschland, sondern als europäisches Hauptquartier. Weil dies bekannt ist, hält sich das Gerücht in Frankfurt nachdrücklich, daß die Amerikaner alles in Frankfurt als Bombenziel ausgegeben hatten, aber das IG-Farbenareal aussparten. Ehrlich gesagt, merkwürdig ist das alles schon. Denn immerhin sank Frankfurt am Main während des Zweiten Weltkriegs wirklich in Asche.
Wir zitieren hier Wikipedia: Etwa 75 Luftangriffe auf Frankfurt am Main wurden im Zweiten Weltkrieg ab Juni 1940 von der Royal Air Force (RAF) und ab Oktober 1943 auch den United States Army Air Forces (USAAF) bis März 1945 geflogen.[1]Dabei fielen über 26.000 Tonnen Bomben auf das Stadtgebiet. Mehrere Angriffe ab Oktober 1943, vor allem zwei sogenannte Tausend-Bomber-Angriffe am 18. und 22. März 1944, haben das Gesicht der Stadt für immer verändert." Da muß man schon erst mal Luft holen. 75 Luftangriffe...26 000 Tonnen Bomben, von denen ja gegenwärtig immer wieder welche im Boden gefunden und entschärft werden.
Es geht weiter: "Nach amtlichen Statistiken kamen im Luftkrieg des Zweiten Weltkriegs in Frankfurt am Main insgesamt 5559 Menschen ums Leben, darunter 4822 Einwohner, aber auch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter. Im Feuersturm der Märzangriffe 1944 verbrannten fast alle bedeutenden Kulturdenkmäler und die gesamte mittelalterliche Alt- und Neustadt mit ihren über 1800 Fachwerkhäusern. Auch andere Stadtteile wie Bockenheim, Rödelheim, Ostend und Oberrad wurden zu über 70 % zerstört. Insgesamt wurden etwa 90.000 der 177.600 Wohnungen im Stadtgebiet sowie fast alle öffentlichen Bauten, Schulen, Kirchen und Krankenhäuser vernichtet."
Heute hat Frankfurt erneut über 700 000 Einwohner, deshalb erneut, weil es vor Jahrzehnten schon einmal eine hohe Population gab, die aus welchen Gründen auch immer, um Hunderttausende herunterging. Ob die Vernichtung des Wohnraums durch den Bau der vielen Hochhäuser daran Schuld ist? Da müssen wir uns ein andermal schlau machen und werden die Bevölkerungsentwicklung nachvollziehen. Für heute noch einmal Wikipedia: "Bei Kriegsende 1945 war die Einwohnerzahl Frankfurts von über 553.000 (1939) auf etwa 230.000 gesunken, von denen die Hälfte obdachlos war.[2] Etwa 17 Millionen Kubikmeter Schutt bedeckten die Stadt."
Dazu kann man eigentlich gar nichts mehr sagen, als daß Frankfurt für den Nationalsozialismus besonders gebüßt hat. Für die Zeit nach 1945 war der Aufbau angesagt und auch die Jugend blickte nach vorne, die Frankfurter Schule konnte sich in der Universität neu etablieren und lange war der Slogan HESSEN VORN eindeutig auf Frankfurt gemünzt: FRANKFURT VORN und zwar nicht wie später durch den Hochhausbau, sondern erst einmal Aufbau von Schulen, von Siedlungen, wo zu bezahlbaren Mieten gewohnt werden konnte, Straßenbau etc. Die Aufbauleistung der Sozialdemokraten, die über Jahrzehnte die Stadt bestimmten, ist enorm und wenn ihnen dann später vorgehalten wurde, es sei doch alles in zu kleinem Maßstab passiert, dann muß man hinzusagen, daß die neue Bedeutung der Stadt Frankfurt als internationales Aushängeschild sich erst nach und nach entwickelte und mindestens drei Faktoren dafür ausschlaggebend waren: Der Frankfurter Flughafen als lange der einzig richtige internationale Airport, die Amerikaner, die hier ihre Hauptquartier hatten und die Frankfurter Messe, die sich zur führenden deutschen Messe hocharbeitete und darüberhinaus durch viele Standorte/Messen in der Welt eine internationale Spitzenposition erworben hat.
Eigentlich wäre nun fällig, die öde und langwierige Geschichte von der Neubebauung des Römerbergs, des Altstadtteils zwischen Dom und Römer, mit dem Mittelpunkt des Kaiserwegs zu erzählen, also des Wegs, auf dem die schließlich sowohl gewählten wie auch gekrönten (lag lange örtliche auseinander) Kaiser vom Dom zum Römer entlangschritten, wozu die Possen der Politik gehören, die in der heutigen Ostzeil, einem peinlichen Stück Baugeschichte ihren Ausdruck finden. Und natürlich müßte das Hin und Her noch einmal aufgeschrieben werden, wie es dazu kam, daß eine bebaute Fläche, also das Technische Rathaus wieder abgerissen wurde und auf einmal die alte Altstadt neu entstehen sollte. Das kommt auch noch mal, ein andermal. Heute geht es nur um das Resultat: die neugebaute Altstadt.
FORTSETZUNG FOLGT
Fotos:
Peter Feldmann durchschneidet das Band zur Einweihung der neuen Altstadt mit Petra Roth, Mike Josef und Stephan Siegler
© stadt-frankfurt.de, Bernd Kammerer
Blick auf den Stoltze-Brunnen auf dem Hühnermarkt in der neuen Altstadt
© stadt-frankfurt.de, Bernd Kammerer
Fotos:
Peter Feldmann durchschneidet das Band zur Einweihung der neuen Altstadt mit Petra Roth, Mike Josef und Stephan Siegler
© stadt-frankfurt.de, Bernd Kammerer
Blick auf den Stoltze-Brunnen auf dem Hühnermarkt in der neuen Altstadt
© stadt-frankfurt.de, Bernd Kammerer