Bildschirmfoto 2018 05 18 um 09.16.38Israel nach den Jahresfeiern und den palästinensischen Reaktionen

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Die Freude über den Sieg Israels am Eurovision Song Contest ist nach den Ereignissen Anfang der Woche schnell verflogen – nach den Ausschreitungen mit zahlreichen Toten und Verletzten im Gazastreifen ist die Lage angespannt.

Mit ihrem eigenwilligen Lied «Toy» («Spielzeug») und der nicht weniger originellen Choreografie hat die israelische Pop-Sängerin Netta Barzilay den diesjährigen Eurovisions-Gesangswettbewerb verdient gewonnen. Wer einigermassen Bescheid weiss, über die in Eurovisionskreisen seit jeher üblichen politischen Ränkespiele beim Erküren der Besten, auf den dürfte Netta Barzilays freimütiges Eingeständnis nach dem Wettbewerb speziell erfrischend gewirkt haben: «Ich habe von Politik nicht den blassesten Dunst.»

«Schwarzer Montag»

Wenn wir aber ausgehen von der ebenso bekannten wie lästigen Verpolitisierung einer an sich unpolitischen Organisation wie dem Eurovision Song Contest, dann dürfen wir mit Fug und Recht annehmen, dass Netta ziemlich sicher um ihren Sieg gekommen wäre, hätte der Wettbewerb zwei Tage später stattgefunden. Dann wäre nämlich inzwischen der «schwarze Montag» des Gazastreifens mit seinen 60 palästinensischen Toten durchs Land gezogen.

Und dann wäre einiges schon mehr zur Tatsache geworden und nicht mehr Hypothese geblieben: Dann wären die Türkei («Israel hat ein Massaker und einen Genozid begangen, die Hände des Landes sind besudelt mit palästinensischem Blut») und Südafrika («Wir verurteilen die gewalttätige Aggression der israelischen Armee aufs Heftigste») dann wohl nicht die bis jetzt einzigen Staaten geblieben, die ihre Botschafter aus Tel Aviv abgezogen hätten. Ankara hat dem Ganzen noch die Krone aufgesetzt, indem es den israelischen Botschafter Eitan Naeh wegen Gaza des Landes verwiesen hat. Das veranlasste Premier Binyamin Netanyahu seinerseits zu einer Breitseite gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan: «Predigen Sie uns doch nicht über Moral!», lautete die klare Botschaft aus Jerusalem. Wer Tausende türkische Soldaten entsende, um die Besetzung von Nordzypern aufrechtzuerhalten, und in Syrien eindringe, der werde Israel, so betonte Netanyahu, doch nicht kritisieren, wenn es sich selbst gegen die Invasion der Hamas verteidige. «Ein Mann, dessen Hände getränkt sind vom Blut zahlloser kurdischer Zivilisten in der Türkei und in Syrien, ist der Letzte, der uns militärische Ethik zu predigen hat.»


Kritik an israelischem Vorgehen

Das Karussell der antiisraelischen Kritik drehte sich aber weiter: Das für seine kritische Haltung Israel gegenüber bekannte Irland, genauer gesagt der Bürgermeister von Dublin, hat bereits vorgeschlagen, den 2019 in Israel stattfindenden Eurovisions-Wettbewerb zu boykottieren. Und dann hat Belgien den israelischen Botschafter wegen der Vorgänge in Gaza zu sich ins Außenministerium zitiert. Zur Darlegung des israelischen Standpunktes sprach Netanyahu auch mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.­ Vor allem Letzterer hatte sich besonders kritisch geäußert zum israelischen Vorgehen gegen die Gaza-Palästinenser. An dieser Stelle sei auch noch erwähnt, dass die Palästinensische Behörde wegen der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem ihren Botschafter aus den USA abberufen hat. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen kann etwas überspitzt gesagt werden, dass der Vorsprung von zwei Tagen Netta Barzilay über die Runden geholfen hat. Andersherum ausgedrückt: Diese zwei Tage haben der israelischen Sängerin den Eurovisions-Sieg von Lissabon wahrscheinlich gerettet.


Fragwürdige Aussage

Wer auf einige Reaktionen israelischer Prominenz zum Geschehen des Montags abstellen will, der gibt dieses Unterfangen nach kurzer Zeit bereits entmutigt auf. Justizministerin Ayelet Shaked etwa meinte im Hinblick auf vielleicht Kommendes, sie habe keine Angst vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, da die IDF sich stets «innerhalb der Grenzen der Rechtsprechung» bewege. Ein kurzer Blick auf die Folgen dieser Haltung würde ausreichen, um die Position der Ministerin als eher leichtfertig formuliert abzutun. In ein ähnliches Kapitel gehört die Äusserung von Regierungschef Netanyahu, der in seiner Rede bei der Botschaftseinweihung allen Ernstes von einem «grossen Tag für den Frieden» sprach. Das mag richtig gewesen sein für den engen Bereich, auf dem die Festgemeinde sich versammelt hatte. Aber schon in unmittelbarer Nähe des Botschaftsgeländes herrschte eine ganz andere, deutlich weniger festliche Stimmung und eine schon eher grobe Realität, als Demonstranten und israelische Sicherheitskräfte aneinander gerieten. Ein grosser Tag für den Frieden? Wohl kaum.


Sinnlos geopferte Menschenleben

Die Signale, welche die Hamas aus Gaza in Richtung Jerusalem abgibt, sind leider nicht dazu angetan, den Palästinensern ein besseres Zeugnis auszustellen, als der kritische Israeli es in Bezug auf seine eigenen Repräsentanten zu tun pflegt. Einerseits sprach man am Dienstagmorgen von der Möglichkeit, dass die Hamas versuchen werde, das Ausmass von Gewalt und Demonstrationen seitens der Palästinenser zu reduzieren. Andererseits richteten palästinensische Prominente drohende Warnungen an Israel. Die Geduld der Menschen im Gazastreifen laufe allmählich aus. Mit dem Gang der Dinge vertraute Kreise schliessen nicht aus, dass sich hinter diesen Worten die Wiederaufnahme des Beschusses des israelischen Südens mit palästinensischen Raketen verbirgt. Ein israelischer Sicherheitsoffizieller erklärte, die Hamas habe kürzlich via Vermittler verschiedene Vorschläge für einen Waffenstillstand unterbreitet, doch keiner von ihnen habe «bedeutende Konzessionen» enthalten, weshalb sie zu keinen Verhandlungen führen konnten. Ein Treten an Ort der bekannten Manier der islamischen Fundamentalisten. Je länger es anhält, desto mehr sinnlos geopferte Menschenleben wird es kosten.

Foto:
Protest und Gewalt in Israel – auf diesem Bild sind palästinensische Demonstranten zu sehen, die im Gazastreifen in Khan Younis Reifen verbrennen
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 18. Mai 2018