a fritz bauerGestern bei Phoenix, aber kein Platz im Ersten Deutschen Fernsehen für preisgekrönten Dokumentarfilm über Fritz Bauer, Teil 1/2

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Vor acht Jahren erlebte ein deutscher Dokumentarfilm auf der Berlinale seine glanzvolle Uraufführung, der auf der ganzen Welt in zahlreichen Sprachversionen gezeigt wird - nur nicht im Ersten Deutschen Fernsehen. Sein Titel „Fritz Bauer – Tod auf Raten“. Er handelt von dem Mann, der Auschwitz vor Gericht brachte und 1968 unter ungeklärten Umständen zu Tode kam. Die Deutsche Film- und Medienbewertung bezeichnete den Film als „unermesslich wichtiges Zeitdokument“, das neue Aspekte zu einem Kapitel deutscher Geschichte freilege, und verlieh ihm einstimmig das höchste Prädikat „Besonders wertvoll“.

Warum weigert sich die ARD, den Film im Ersten zu zeigen? Lag es wirklich nur an der Länge von 90 Minuten, wie anfänglich behauptet wurde, oder liegt es am Inhalt, der die Unlust der deutschen Nachkriegsgesellschaft zur Auseinandersetzung mit der Nazizeit dokumentiert? Die Bekenntnisse der ARD zu Transparenz und Zuschauernähe im Ohr habe ich versucht, die Wahrheit zu ergründen, und erlebte mein blaues Wunder. Ganz schnell bewegte mich über die journalistische Neugier hinaus immer stärker noch etwas Anderes, meine Verbundenheit mit dem hessischen Generalstaatsanwalt, der mir kurz nach Beginn des Auschwitz-Prozesses das Manuskript einer seiner wichtigsten Reden zur Veröffentlichung überlassen hat. Die antifaschistische Wochenzeitung „Die Tat“ stellte mir dafür am 7. März 1964 eine ganze Seite zur Verfügung, heute die einzige Quelle für Bauers oft zitierten Satz: „Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“

Fritz Bauer hatte sich nach seiner Rückkehr aus dem Exil wegen der Verfolgung von Nazi-Verbrechern und seines politischen Engagements viele Feinde gemacht. Zum Ärger der CDU und der Bundesregierung leitete er ein Vorermittlungsverfahren gegen den Staatssekretär im Bundeskanzleramt und ehemaligen Rassegesetz-Kommentator, Hans Globke, ein, und er gehörte zu den prominentesten Gegnern der Notstandsgesetze. Seine Kritiker warfen ihm vor, mit seinen ständigen Stellungnahmen zu aktuellen Problemen ein schlechtes Vorbild abzugeben. Die CDU beantragte Bauers Amtsenthebung, scheiterte damit aber im hessischen Landtag am Widerstand der SPD. Bei einem Streitgespräch über die Ursachen der Naziverbrechen, das ich 1962 als Journalist hautnah miterlebt habe, hielt der rheinland-pfälzische CDU-Landtagsabgeordnete und spätere Bundeskanzler Helmut Kohl dem hessischen Generalstaatsanwalt entgegen, der zeitliche Abstand zum so genannten Dritten Reich sei noch viel zu kurz, um ein abschließendes Urteil über den Nationalsozialismus fällen zu können.


Ein Chefredakteur fühlt sich belästigt

Um diese politischen Auseinandersetzungen und um die Widerstände, mit denen Fritz Bauer zu kämpfen hatte, geht es in dem Dokumentarfilm, „Fritz Bauer – Tod auf Raten“, dessen inhaltliche Schlüssigkeit von niemandem angezweifelt wird. Als am 1. Juli 2016 der Journalist Rainald Becker das Amt des ARD-Chefredakteurs übernahm, bat ich ihn, die Entscheidung aus dem Jahr 2014, den Film nicht im Ersten zu zeigen, zu überdenken und gab mich bei der Gelegenheit als einer der Zeitzeugen zu erkennen, die in dem Film zu Wort kommen. Der Film sei ja inzwischen anstandslos nicht nur von zwei Landesprogrammen ausgestrahlt worden, sondern auch auf Phoenix, dem Ereignis- und Dokumentationskanal von ARD und ZDF, zu sehen gewesen. Es dauerte zehn Tage, ehe mir der neue ARD-Chefredakteur am 8. September 2016 durch eine Mitarbeiterin mitteilen ließ: „Rainald Becker zweifelt die Entscheidung seines Vorgängers Thomas Baumann über den Film ‚Fritz Bauer – Tod auf Raten’ nicht an. Der Film wird nicht im Ersten Deutschen Fernsehen gezeigt.“ Zu den Gründen kein Wort.

Am 23. November 2016 teilte Becker mir mit: „Bitte haben Sie Verständnis, dass sich unsere Koordination zu diesem Projekt des Saarländischen Rundfunks nicht weiter äußern wird.“ Am nächsten Tag schrieb er: „Ich habe Ihre E-Mail zur Kenntnis genommen und leite sie zuständigkeitshalber an den Saarländischen Rundfunk weiter. Darüber hinaus möchte ich Sie bitten, von weiterer Korrespondenz an mich abzusehen.“ Hatte da jemand kalte Füße bekommen? Anders als der ARD-Chefredakteur es dazustellen versuchte, war der Saarländische Rundfunk als Koproduzent keineswegs zuständig. Nicht er hat entschieden, den Film abzulehnen, sondern genau jene ARD-Koordination, für die Reinald Becker als Nachfolger von Thomas Baumann zuständig war, beziehungsweise der Geschichtliche Arbeitskreis der ARD in Gestalt seiner Vorsitzenden Claudia Schreiner.


Foto:
Fritz Bauer © fritz-bauer-archiv.de

Info:

Über den Verfasser
Als Sohn deutscher Eltern 1927 in Nordböhmen geboren veröffentlichte Kurt Nelhiebel nach der Vertreibung 1959 einen Artikel über die Nazivergangenheit des Bundesvertriebenenministers Theodor Oberländer (CDU), der eine Lawine auslöste und den Minister im Jahr darauf zum Rücktritt zwang. 1964 erinnerte er daran, dass der soeben mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Ruhrchemie AG, Heinrich Bütefisch, 1948 wegen Beteiligung an Verbrechen in Auschwitz zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Bütefisch musste den Orden noch am selben Tag zurückgeben. 2010 kritisierte der Verfasser die geschichtsrevisionistische Ausrichtung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung durch den Gründungsdirektor Manfred Kittel. Vier Jahre danach wurde Kittel mit sofortiger Wirkung von seinem Amt entbunden. 2014 erhielt Nelhiebel den Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon in Bremen. 2017 bekam er in Würdigung seiner Tätigkeit als Publizist für die Aufarbeitung der jüngsten Geschichte Deutschlands sowie für Versöhnung und Völkerverständigung das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Gerade erschienen:
Kurt Nelhiebel, Einem Nestbeschmutzer zum Gedenken. Texte zum 50. Todestag von Fritz Bauer, Ossietzky Verlag