Bildschirmfoto 2018 07 15 um 08.48.38Aktuell berichtet «US News and World Report», dass Israel Nummer acht unter den mächtigsten Staaten der Welt ist – zu reden gibt auch die geplante Schliessung des Kerem Schalom

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Termingerechter hätte der Bericht von «US News and World Report» für den israelischen Premierminister Binyamin Netanyahu wahrlich nicht kommen können. Zwei Tage vor dem für Mittwoch geplanten Abstecher des israelischen Staatsmannes zu seinem Freund Wladimir Putin nach Moskau publizierte das Blatt seine Liste der mächtigsten Staaten­ der Welt. Und auf dieser Liste figuriert das flächen- und bevölkerungsmässig doch eher kleine Israel wie schon letztes Jahr auf Platz acht.

Grund genug für Netanyahu, sich an einer Sitzung seiner Likud-Fraktion mit Israels­ «Präsenz auf der Weltbühne» zufrieden zu zeigen. Das werde, wie der israelische Premier mit von Stolz geschwellter Brust hinzufügte, im späteren Verlauf der Woche in seinen Gesprächen in Moskau voll zur Geltung kommen. Der Premierminister ergriff die Gelegenheit, um seinen Landsleuten einen Teil der ihm von dem amerikanischen Magazin­ überreichten Rosen den «israelischen Bürgern und der staatsmännischen Führung des Landes» weiterzugeben.


Macht-Rangliste

Die «Jerusalem Post» zitiert die folgenden Passagen aus «US News and World Report»: «Die mächtigsten Staaten der Welt sind auch jene, welche ständig die Schlagzeilen der Nachrichten beherrschen, politische Entscheidungsträger am meisten beschäftigen und die globalen Wirtschaftsmuster formen. Ihre aussenpolitischen und Verteidigungsbudgets werden aufmerksam verfolgt. Gehen sie eine Verpflichtung ein, glaubt zumindest ein Teil der internationalen Völkergemeinschaft, dass sie sie halten werden.» Die Macht-Rangliste wird anhand verschiedener Attribute gemessen, etwa politischer und wirtschaftlicher Einfluss oder Stärke internationaler und militärischer Allianzen.

Zu Israel schreibt das Magazin, dass das Land «gemessen an seiner relativ kleinen Grös­se eine wichtige Rolle in globalen Angelegenheiten spielt. Es hat eine starke Wirtschaft, bedeutende Stätten für diverse religiöse Bekenntnisse und gespannte Beziehungen zu vielen seiner arabischen Nachbarn.» Israel sei in Bezug auf Lebenserwartung, Bildung, Pro-Kopf-Einkommen und andere Human-Indikatoren hoch entwickelt. «Das Land verfügt aber auch über eine der ungleichsten Wirtschaften in der westlichen Welt, mit weiten Kluften zwischen Reich und Arm.»


Klarer Negativ-Faktor

Wo Licht ist, da ist bekanntlich aber auch Schatten. Im Falle von Israel scheint zuzutreffen, dass die Ausstrahlung des Schattens die Kraft des Lichtes an Durchschlagkraft bei Weitem übertrifft. Ein drastisches Beispiel für diesen Zustand ist der Haussegen zwischen Israeli und Palästinensern. Nicht nur hängt dieser zusehends schiefer. Diese Schieflage gewinnt immer mehr den Charakter von etwas Dauerhaftem – ein aus dem Gesamtbild nicht mehr wegzudenkender Negativfaktor.

Am meisten zu sprechen gibt dieser Tage die von Premier Netanyahu und Verteidigungsminister Avigdor Lieberman verfügte massive Reduktion des Güterflusses via die bisher kaum je geschlossene Passage Kerem Shalom aus dem Gazastreifen und in diesen hinein. In dieser einer Verschärfung der Gaza-Blockade gleichkommenden Massnahme gelangt die wachsende Frustration der Israeli über die militärische sowie die politische Führungsspitze drüben zum Ausdruck. Das Vorgehen muss als eine Art Trotzreaktion auf die Tatsache gewertet werden, dass es den Israeli trotz ihres enormen technologischen Vorsprungs dem Hamas-Feind gegenüber immer noch nicht gelungen ist, die Menge der über die Grenze fliegenden Feuerdrachen wesentlich einzudämmen. «Haaretz» sieht in der wirtschaftlichen Strafmassnahme ein Instrument, das helfen soll, die immer lauter im Kabinett zu hörende Forderung nach der Eröffnung des Feuers auf die für die Lancierung­ der Feuerdrachen verantwortlichen Palästinenser zu neutralisieren. Diese Bestrebung hat wohl in erster Linie damit zu tun, dass es sich bei den Angehörigen der Drachen-Mannschaft der Hamas in vielen Fällen um Teenager oder noch jüngere «Kämpfer» handelt. Auch wenn der israelische Drang nach einer wirksameren Bekämpfung dieser Feuerquellen mehr als verständlich ist, kann man sich leicht die verheerenden Auswirkungen für Israels internationales Image vorstellen, wenn in regelmässigen Abständen 13- bis 14-jährige «Drachensportler» von israelischen Scharfschützen angeschossen oder getötet würden.

Auf die Schliessung des Übergangs Kerem Shalom zurückkommend, sei präzisiert, dass die Massnahme für Nahrungsmittel und Medikamente nicht angewendet wird. Sehr wohl aber dürfte der Import von Baumaterialien in den Streifen ebenso empfindlich gestört werden wie der ohnehin schon arg geschrumpfte Export palästinensischer Agrargüter. Palästinensische Geschäftsleute im Gazastreifen nennen den israelischen Schliessungsbefehl für Kerem Shalom den letzten Sargnagel für die Industrie und den Handel von Gaza. Der Betrieb bei Kerem Shalom war über vier Jahre lang nie ganz stillgelegt worden.


Folgen für die Hamas

Auf israelischer Seite wird geltend gemacht, dass die durch Feuerdrachen in Brand gesteckten Flächen Naturwald und Felder in Gemeinden entlang der Gaza-Grenze etwa der Grösse von Städten wie Netanya oder Raanana entsprechen. Im Laufe einer Woche zählt man täglich zwischen zehn und 20 Brände. Vor dem Hintergrund dieser Fakten und Zahlen akzeptierte Netanyahu die Empfehlungen Liebermans und von Generalstabschef Gadi Eisenkot, den Gütertransfer zu reduzieren. Zweck dieser Massnahme ist es, der Hamas klarzumachen, was sie als Folge der fort­dauernden Gewaltanwendung­ verliert. Allerdings kann derzeit noch niemand die Auswirkungen dieser neuen Taktik abschätzen. Völlig ungewiss ist daher auch, ob sich das Hineinschlittern Israels und der Hamas in eine neue militärische Konfrontation ver­meiden lässt, obwohl beide Seiten sie wenn immer möglich vermeiden wollen – unlogische, aber realistische Nahost-Logik.


Foto:
Neben allem Erfolg ist Israel auch ein Land der ungleichsten Wirtschaften – auf dem Bild zu sehen hier der Grenzübergang Kerem Shalom, dessen Schliessung umstritten ist © tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6. Juli 2018