Allerortens begehren Iranerinnen und Iraner auf. Was sie eint, ist die Hoffnung auf einen Sturz des Regimes. Deutschland aber hört nicht nur weg, sondern geriert sich als dessen Helfer in der Not, Teil 3/3
Matthias Küntzel
Hamburg (Weltexpresso) - Unter dem Hashtag Where_is_your_kid wurde eine Kampagne gestartet, bei der führende Politiker Einkommen und Aufenthaltsort ihrer erwachsenen Kinder preisgeben sollten. Dass derartige Einschüchterungsversuche weder die politischen, noch die soziale Probleme zu lösen vermögen, liegt auf der Hand. Welche Alternativen stehen den Machthabern zur Verfügung? In englischsprachigen Kommentaren werden drei Optionen diskutiert.
Option 1: Durchhangeln. Das Regime könnte versuchen, bis Ende 2020, dem Zeitpunkt einer möglichen Abwahl Donald Trumps, den Sanktionskurs der USA irgendwie zu überstehen und besonders den Atomdeal über die Runden zu retten. Dieser Deal gelte dem Regime als wichtigste Barriere, um Militärschläge auf iranische Atomanlagen zu verhindern.[19]
Option 2: Militärputsch. Die allein dem Revolutionsführer verpflichteten Revolutionären Garden sind mit 125.000 bewaffneten Kämpfern und ihrer ökonomischen Dominanz die eigentlichen Herrscher Irans. Sie könnten einen Regimewechsel nicht überleben, würden ihn also bis aufs Messer bekämpfen.[20]
Schon jetzt erklangen vereinzelt Rufe, die Regierung Rohani durch ein Militärregime zu ersetzen. Und doch birgt auch diese Option Risiken: Zum einen besteht bei einem Militärputsch die Gefahr, dass dann eine wichtige Unterabteilung der Revolutionären Garden – die paramilitärische Bassij-Bewegung, die mehr als 10 Millionen Freiwillige aus allen Bevölkerungsteilen zählt – von der Fahne geht.
Zum anderen würde die dann wohl notwendige verstärkte Unterdrückung im eigenen Land die Fähigkeit des Regimes, territorial zu expandieren, stark beschneiden. Zusätzlich würde das Regime einen enormen Imageverlust in Kauf nehmen müssen.
Option 3: Mit den USA verhandeln. Auch wenn einem Donald Trump nie zu trauen ist: Sein Verhandlungsangebot an die Ayatollahs kam bei der iranischen Bevölkerung gut an. „Was schlecht ist, kann noch viel schlimmer werden“, heißt es hier, „also sollten wir Gespräche begrüßen.“[21]
Nicht nur Parlamentssprecher Ali Larijani zeigte Interesse an erneuten Verhandlungen. Auch Außenminister Zarif „hatte Anfang Juli unangekündigt Oman besucht, woraufhin der Außenminister Omans nach Washington aufbrach, wo er offenbar den Wunsch Irans nach direkten, aber diskreten Gesprächen überbracht hat“, berichtete die FAZ. „Rohani bestätigte am 21. Juli eine solche Gesprächsbereitschaft in einer Rede vor iranischen Diplomaten in Teheran.“ [22]
Dann aber beendeten Revolutionsführer Khamenei und die Führer der Revolutionären Garden mit einem donnernden „Nein“ die begonnene Diskussion. Der amerikanische Diplomat und Iran-Kenner Dennis Ross hält dieses „Nein“ für einen Bluff: Khamenei habe hier einen Wutanfall inszeniert, sehe aber eigentlich keinen anderen Ausweg als Gespräche mit den USA. Das Regime habe, wenn es in echte Bedrängnis geraten sei, wiederholt eingelenkt, so Ross; so zum Beispiel 1988 bei der Beendigung des Krieges mit Irak.[23]
Eben darauf zielt der gegenwärtige Sanktionsdruck der USA: Er will das Regime vor die Alternative stellen, seine aggressive Politik zu verändern, oder aber unterzugehen. Dass dieser Ansatz erfolgreicher sein könnte, als die von Europa präferierte Politik der Beschwichtigung – davon will man in Deutschland und der EU nichts wissen und nichts sehen. Niemand aber ist so blind, wie der, der nicht sehen will.
Eine reife Leistung
Anlässlich der ersten iranischen Protestwelle hatte es zu Beginn dieses Jahres noch vereinzelt solidarische Zurufe gegeben. „Mein Herz schlägt für diese jungen Leute“, bekannte der damalige SPD-Chef Martin Schulz. „Wir sind auf der Seite der Bevölkerung“, erklärte Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.[24]
Heute werden selbst derart armselige Floskeln gemieden. Die iranischen Frauen, die Arbeiter, die Armen, die Intellektuellen – schäbig lässt man sie allein. Fügt euch der Herrschaft der Mullahs! – fordert sie Deutschlands Außenminister auf: „Jeder, der sich einen ,Regime Change‘ erhofft, darf nicht vergessen, dass, was immer auch folgt, uns viel größere Probleme bereiten könnte.“[25]
Die deutsche Öffentlichkeit diskutiert nicht darüber, wie man die iranischen Schergen dazu bringen kann, dem Willen der iranischen Bevölkerung zu entsprechen. Man diskutiert darüber, wie man deutsche Unternehmen dazu zwingen kann, den Sanktionsdruck der USA zu unterlaufen.
Widersprüche Berlins gegen die Politik Donald Trumps mögen in einzelnen Fällen ihre Berechtigung haben – hier aber führen sie zur Kollaboration mit dem theokratischen Regime.
Je entschiedener Berlin versucht, Trumps Iran-Politik zu durchkreuzen, desto wirksamer wird der Kampf der iranischen Bevölkerung für Menschenrechte und Freiheit durchkreuzt. Mehr noch: Die Parteinahme für das islamistische Regime bedeutet, dass der Nahe Osten nicht zur Ruhe kommen und der Exodus der Flüchtlinge an die Küsten Europas kein Ende finden wird.
Die großen EU-Staaten haben sich mit ihrer Regime-Solidarität, ihrem unbedingten Festhalten am Atomdeal, bis zur Lächerlichkeit verrannt. Ihnen laufen nicht nur die europäischen Konzerne, ihnen läuft auch die iranische Bevölkerung davon.
„Es gibt eben tatsächlich auch [iranische] Stimmen“, berichtet Katajun Amirpur, „die sagen ..., Deutschland macht sich da letztlich zum Handlanger des Regimes, wenn es versucht, diesen [Nuklear-]Deal noch irgendwie zu retten, weil es dann auch zum Bestand des Regimes beiträgt, und das solle es doch möglichst nicht, sondern da solle möglichst mal was passieren.“[26]
Und Shirin Ebadi mahnt: „Der Regimewechsel sollte innerhalb Irans und durch das Volk Irans stattfinden. Ihr aber [die USA und der Westen] könnt dem iranischen Volk helfen, seine eigenen Ziel durchzusetzen.“[27]
Gegen derartige Stimmen schottet sich Deutschland ab. Um Donald Trump ein Schnippchen zu schlagen, bleibt es mit einem moralisch und politisch toten Regime zurück, das sich nur mit Gewalt noch an der Macht halten kann – eine fürwahr reife Leistung!
ANMERKUNGEN
[19] Amos Harel, Why Iran Thinks It Has An „Insurance Policy“ Against An Israeli Or U.S. Strike, Haaretz, 17.08.2018.
[20] Frederick W. Kagan, Can We Pursue a Victory Strategy Against Iran?, in: Commentary, 15.08.2018.
[21] Thomas Erdbrink, a.a.O..
[22] Rainer Hermann und Majid Sattar, Wieder ein großer Deal?, in: FAZ, 01.08.2018; Mahdi Khalaji, a.a.O..
[23] Dennis Ross, a.a.O..
[24] SPD-Chef Schulz unterstützt Demonstranten im Iran, in: BILD, 03.01.2018; Proteste im Iran „Wir sind auf der Seite der Bevölkerung“, Deutschlandfunk, 03.01.2018.
[25] NTV, Außenminister Maas fürchtet Chaos im Iran, 08.08.2018, auf: https://www.n-tv.de/politik/Aussenminister-Maas-fuerchtet-Chaos-im-Iran-article20563009.html
[26] „Die Menschen sind sehr frustiert“, Katajun Amirpur im Gespräch mit Sarah Zerback, Deutschlandfunk, 07.08.2018.
[27] Eli Lake, Iran’s Nobel Laureate Is Done With Reform. She Wants Regime Chance, 04.04. 2018.
Foto:
© n-tv.de
Info:
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der Beitrag erschien erstmals in mena-watch.com, 19. August 2018
Der Autor dankt Michael Mobasheri für Übersetzungshilfen