Bildschirmfoto 2018 09 18 um 08.05.09Das israelische Bildungswesen befindet sich in einer finanziellen Misere – dies wird aus dem OECD-Jahresbericht deutlich

Jacques Ungar

Tel Aviv (WEltexpresso) - Die Komplimente von Regierungschef Binyamin Netanyahu für den US-Schließungsbefehl für das Büro der Washingtoner PLO-Mission («korrekte Entscheidung») fanden unmittelbar nach Ende des jüdischen Neujahrsfestes noch ihren Weg in praktisch alle elektronischen und gedruckten Medien des Landes. Hingegen musste der Leser schon bis zu den inneren Seiten von «Yediot Achronot» nachforschen, um zur Behandlung einer auf lange Sicht für Israel wahrscheinlich viel wichtigeren Entwicklung zu gelangen, zur israelischen Investition in das Bildungswesen für die jüngsten Altersstufen. Laut dem OECD-Jahresbericht landete Israel in dieser Beziehung auf dem letzten Platz aller 36 Mitgliedstaaten dieser Organisation für Wirtschaftliche Kooperation und Entwicklung.

Erschreckend geringes Budget

Offenbar brachte Israel es auch dieses Mal nicht fertig, über seinen Schatten zu springen, und für einmal die zentralen Schlagzeilen nicht dem Palästinenserproblem, der iranischen Gefahr, der wahrscheinlich bevorstehenden Schlacht in der syrischen Rebellen-Hochburg Idlib zu widmen, sondern der Erziehung der nächsten oder übernächsten eigenen Generation. Das liegt ja noch so weit weg, mögen die israelischen Entscheidungsträger sich sagen, oder, wie «Yediot Achronot» es formuliert: «Der OECD-Bericht enthüllt, dass unser Bildungswesen noch viel zu lernen hat.»

Lassen wir Zahlen sprechen. Laut OECD-Bericht investierte Israels Bildungswesen im Jahr 2015 für Kinder der Altersstufe bis drei Jahre 2713 Dollar pro Jahr und Kind, verglichen mit dem Durchschnitt der OECD-Mitgliedstaaten von 12 400 Dollar. Das israelische Budget für diese Altersstufe ist das niedrigste im gesamten OECD-Bereich. Diese Fakten beunruhigen laut «Yediot Achronot» umso mehr, als pädagogische und akademische Kreise in Israel und der Welt sich einig sind hinsichtlich der Wichtigkeit der Erziehung in dieser Altersstufe für Lernerfolge und die Gleichberechtigung von Kindern aller gesellschaftlichen Schichten. Für den Sektor, der Israel pro Jahr und Kind, wie bereits erwähnt, 2713 Dollar wert ist, bringen Norwegen 24 400 Dollar auf, Island 17 300 Dollar, Schweden 17 000 Dollar und Deutschland 14 700 Dollar.

Für höhere Altersstufen sind die Diskrepanzen zwar nicht mehr so drastisch, doch existieren sie immer noch. So investierte Israel im Berichtsjahr in der Stufe Kindergarten pro Kind und Jahr 5000 Dollar, während der OECD-Durchschnitt bei 8528 Dollar lag. Bei den Elementarschulen steht den 7971 Dollar, die Israel pro Kind investierte, der OECD-Durchschnitt von 8539 Dollar gegenüber. In der Mittelschule wächst die Kluft wieder zum Nachteil Israels: Israel investierte 7987 Dollar pro Jahr und Kind, während der OECD-Durchschnitt bei 9868 Dollar lag. Dass in Israel die Klassenzimmer viel stärker belegt sind als in der OECD allgemein und dass israelische Mittelschullehrer im Durchschnitt viel weniger verdienen als die Kolleginnen und Kollegen in den anderen OECD-Staaten, überrascht jetzt nicht mehr.


Ministerium gibt sich positiv

Wie das israelische Erziehungsministerium «Yediot Achronot» gegenüber ausführte, beweise der OECD-Bericht, dass der Staat Israel der «Bildung der Generation der Zukunft» die höchste Priorität beimesse, mit präzedenzlosen Investitionen in die Ausbildung und die Förderungen von Bereichen, die jahrelang vernachlässigt worden seien. So habe man die Löhne für neu beginnende Lehrer wesentlich angehoben und die Belegdichte in den Klassenzimmern sei gesunken.

Der positive Eindruck, den diese Äusserungen des Ministeriums erwecken, wird durch einen in «Yediot Achronot» gleich neben dem OECD-Bericht stehenden Artikel relativiert. Da heisst es, dass fast 60 Prozent der israelischen Schüler, also Hunderttausende, die laut Gesetz Anrecht auf eine warme Mahlzeit pro Schultag hätten, auf diese verzichten müssten. Die Eltern seien in den meisten Fällen nicht in der Lage, den vereinbarten Beitrag an diese Kosten zu leisten.

Es macht ganz den Anschein, als ob die finanzielle Misere im israelischen Bildungswesen sich auf viel mehr Bereiche erstreckt als nur auf die unterste Altersstufe. Abhilfe wäre hier dringendst nötig, gilt Israel doch immer noch als «das Volk des Buches», und so sollte es an sich auch bleiben.

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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 13. September 2018