Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Mit der Warnung «Das russische Luftabwehrsystem S-300 in den falschen Händen gefährdet die ganze Region», ausgesprochen am Montag in einem Telefongespräch, stiess der israelische Regierungschef Binyamin Netanyahu bei seinem russischen Diskussionspartner, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, offenbar auf weitgehend taube Ohren. Israels Warnung erfolgte nach der Bekanntgabe durch Moskau, den Syrern im Gefolge des Abschusses der russischen Spionagemaschine Ilyushin-20 (wobei 15 russische Soldaten starben) bald bis zu acht Exemplare der Boden-Luft-Flugabwehrraketen vom Typ S-300 zu liefern.
Israelische Beobachter glauben nicht, dass diese Affäre das Verhältnis zu Moskau dramatisch zum Sieden bringen wird. Immerhin beweisen die Russen mit ihrem Vorgehen, dass sie die eigentlichen Herren auf dem syrischen Kriegsschauplatz sind, und zwar in der Luft ebenso wie auf dem Boden und im Wasser. Bei einer etwas zynischen Betrachtungsweise muss man sich die Frage stellen, ob die Israeli von den Russen die gelb-rote Karte verpasst bekamen und des Feldes verwiesen wurden oder ob es sich bei der ganzen Affäre nur um ein dummes israelisches Eigentor handelt, das im Moment zwar schmerzt, an das mittel- und langfristig aber kaum jemand weiter einen Gedanken verschwenden wird.
Sicherheit und Interessen schützen
Unbestritten ist, dass die Manövrierfreiheit der israelischen Luftwaffe über dem syrischen Luftraum vielleicht durch eigene Unachtsamkeit oder gar durch einen Anflug von Arroganz in ernsthafte Gefahr gebracht worden ist. Zwar wird Israel sein Hauptziel, die Verhinderung einer militärischen Verwurzelung Irans in Syrien, weiter verfolgen können, doch schon die Unterbindung iranischer Waffenlieferungen an Syrien oder die alliierte Hizbollah-Miliz dürfte komplizierter werden. Am Montag diskutierten Netanyahu und Putin am Telefon, wie eingangs erwähnt, über die Lieferung von S-300-Luftabwehrsystemen, die laut Moskau schon in den nächsten zwei Wochen an Syrien erfolgen soll. Solche modernste Waffensysteme in «unverantwortlichen Händen» würden, so Netanyahu, die Gefahr für die ganze Region erhöhen. Gleichzeitig unterstrich der israelische Regierungschef, das Land werde weiterhin seine Sicherheit und seine Interessen schützen. Er wiederholte auch das seit Tagen von Jerusalem vorgebrachte Argument, Syrien sei für den Abschuss der russischen Maschine vor der syrischen Küste von letzter Woche alleine verantwortlich.
Im Übrigen trage auch Iran eine Verantwortung, da es unentwegt die Region destabilisiere. Im Gespräch der beiden Staatsmänner konzentrierte Putin sich auf die vage Behauptung, man würde dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad das Boden-Luft-Raketensystem zur Verfügung stellen, um «jede potenzielle Lebensbedrohung russischer Soldaten abzuwenden», die ihre Aufgaben im Kampf gegen den internationalen Terrorismus erfüllten. Erstaunlich ruhig verhielten sich in diesem Disput zunächst die USA, abgesehen vielleicht von einer Bemerkung des nationalen amerikanischen Sicherheitsberaters John Bolton. Die russischen Aktionen stellen seiner Meinung nach eine «bedeutende Eskalation» Moskaus dar, und er hoffe, der Kreml würde sich die Sache nochmals überlegen. Inzwischen reagierte eine hochstehende russische Persönlichkeit mit der Bemerkung, Moskau sei bereit, jederzeit über alles mit den USA zu verhandeln. Eine konkrete Reaktion Washingtons auf dieses unverbindliche Angebot steht noch aus. Kreml-Sprecher Dmitry Peskov wiegelte allerdings ab und meinte, der Beschluss, den Syrern die Boden-Luft-Raketensysteme zu liefern, ziele darauf ab, die Sicherheit der russischen Militärs zu erhöhen, sei aber gegen kein Drittland gerichtet.
Eine Belohnung
Beurteilen wir die Affäre emotionslos, läuft sie darauf hinaus, dass Damaskus, dessen Raketen doch den Abschuss des Flugzeugs und den Tod von 15 russischen Soldaten auf dem Gewissen haben – Alliierte also der Russen –, nicht bestraft, sondern im Gegenteil fürstlich belohnt wird: Mit der Zurverfügungstellung eines Boden-Luft-Abwehrsystems, das zwar nicht mehr das modernste auf diesem Gebiet ist, das aber erstens Israel in die Bredouille bringen kann. Zweitens konnte Syrien bisher von so etwas wie den S-300 bis vor wenigen Tagen nicht einmal träumen. Jetzt aber kommt es sowohl zu praktischem wie auch zu Prestigegewinn.
In «Haaretz» bringt Amos Harel es kurz und bündig auf den Punkt: Moskau kann, so schreibt er, den Hauptschuldigen (das Regime Assad, gleichzeitig aber auch den Alliierten der Russen, Anm. d. Red.) für den Zwischenfall nicht verantwortlich machen. Deshalb sei von Anfang an klar gewesen, dass die Verantwortung Israel aufgebürdet werden würde. Dabei entspringt es sicher nicht einer Laune des Zufalls, dass die Vorwürfe das israelische Militär treffen sollten, dem die Russen «Unprofessionalität oder zumindest kriminelle Vernachlässigung» vorwerfen. Die politische Führung Israels dagegen bleibt grösstenteils unerwähnt. Hier spielte offensichtlich das persönlich gute, wenn nicht gar freundschaftliche Verhältnis zu Netanyahu mit, das der pragmatische Putin nicht aufs Spiel setzen möchte.
Laut «Haaretz» werfen die Russen Israel Undankbarkeit vor angesichts der Schritte, die Moskau zu Gunsten der israelischen Interessen wahrgenommen haben will. Im Vordergrund stehen hier die Bemühungen, die iranischen Kräfte von der israelischen Grenze auf den Golanhöhen fernzuhalten. Während Moskau hier behauptet, Teheraner Truppen 140 Kilometer weit entfernt zu haben, sind es laut israelischen Medienberichten nur zwischen 85 und 100 Kilometer. In dieser Pufferzone wäre die syrische Hauptstadt Damaskus nicht eingeschlossen. Hier würden die iranischen Truppen weiter verweilen.
Israel ist nicht unverwundbar
Zusammenfassend kann bemerkt werden, dass Israel in Nordsyrien seit Jahren dank einer Kombination offensiver Aktionen und guter diplomatischer Beziehungen mit den Russen frei operiert hat. In der Regel agierten die Israeli geschickt und erreichten ihre Ziele meistens. In den letzten Monaten schlich sich aber eine Veränderung des Konzepts ein. Als man sich der Modifikationen bewusst wurde, war es schon fast zu spät, wie Harel konstatierte: «Anscheinend hat Jerusalem die Auswirkungen nicht vollständig erfasst. Jetzt, da das Regime Assad mit Hilfe der Russen den Grossteil seines Landes zurückerobert hat, einschliesslich der an der Grenze zu Israel liegenden Region, ist das noch evidenter geworden.» Israel sei keine Grossmacht, schliesst Harel, und sei vor allem nicht un- verwundbar. Es werde russische Überlegungen mit berücksichtigen und vielleicht sogar sein Offensiv-Modell anpassen müssen. Und dann fügt Harel zu den militärischen Überlegungen noch die politische Komponente an: «Wer immer noch behauptet, dass es sich (bei dem Zwischenfall mit dem Flugzeug, Anm. d. Red.) nur um milde Schauer handelt, der muss so beschäftigt damit sein, Netanyahus Image zu verteidigen, dass er nicht mehr imstande ist, die Wirklichkeit objektiv zu analysieren.»
Foto:
Moskau will bereits in den kommenden zwei Wochen S-300-Luftabwehrsysteme an Syrien liefern
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 28. September 2018
Eine Belohnung
Beurteilen wir die Affäre emotionslos, läuft sie darauf hinaus, dass Damaskus, dessen Raketen doch den Abschuss des Flugzeugs und den Tod von 15 russischen Soldaten auf dem Gewissen haben – Alliierte also der Russen –, nicht bestraft, sondern im Gegenteil fürstlich belohnt wird: Mit der Zurverfügungstellung eines Boden-Luft-Abwehrsystems, das zwar nicht mehr das modernste auf diesem Gebiet ist, das aber erstens Israel in die Bredouille bringen kann. Zweitens konnte Syrien bisher von so etwas wie den S-300 bis vor wenigen Tagen nicht einmal träumen. Jetzt aber kommt es sowohl zu praktischem wie auch zu Prestigegewinn.
In «Haaretz» bringt Amos Harel es kurz und bündig auf den Punkt: Moskau kann, so schreibt er, den Hauptschuldigen (das Regime Assad, gleichzeitig aber auch den Alliierten der Russen, Anm. d. Red.) für den Zwischenfall nicht verantwortlich machen. Deshalb sei von Anfang an klar gewesen, dass die Verantwortung Israel aufgebürdet werden würde. Dabei entspringt es sicher nicht einer Laune des Zufalls, dass die Vorwürfe das israelische Militär treffen sollten, dem die Russen «Unprofessionalität oder zumindest kriminelle Vernachlässigung» vorwerfen. Die politische Führung Israels dagegen bleibt grösstenteils unerwähnt. Hier spielte offensichtlich das persönlich gute, wenn nicht gar freundschaftliche Verhältnis zu Netanyahu mit, das der pragmatische Putin nicht aufs Spiel setzen möchte.
Laut «Haaretz» werfen die Russen Israel Undankbarkeit vor angesichts der Schritte, die Moskau zu Gunsten der israelischen Interessen wahrgenommen haben will. Im Vordergrund stehen hier die Bemühungen, die iranischen Kräfte von der israelischen Grenze auf den Golanhöhen fernzuhalten. Während Moskau hier behauptet, Teheraner Truppen 140 Kilometer weit entfernt zu haben, sind es laut israelischen Medienberichten nur zwischen 85 und 100 Kilometer. In dieser Pufferzone wäre die syrische Hauptstadt Damaskus nicht eingeschlossen. Hier würden die iranischen Truppen weiter verweilen.
Israel ist nicht unverwundbar
Zusammenfassend kann bemerkt werden, dass Israel in Nordsyrien seit Jahren dank einer Kombination offensiver Aktionen und guter diplomatischer Beziehungen mit den Russen frei operiert hat. In der Regel agierten die Israeli geschickt und erreichten ihre Ziele meistens. In den letzten Monaten schlich sich aber eine Veränderung des Konzepts ein. Als man sich der Modifikationen bewusst wurde, war es schon fast zu spät, wie Harel konstatierte: «Anscheinend hat Jerusalem die Auswirkungen nicht vollständig erfasst. Jetzt, da das Regime Assad mit Hilfe der Russen den Grossteil seines Landes zurückerobert hat, einschliesslich der an der Grenze zu Israel liegenden Region, ist das noch evidenter geworden.» Israel sei keine Grossmacht, schliesst Harel, und sei vor allem nicht un- verwundbar. Es werde russische Überlegungen mit berücksichtigen und vielleicht sogar sein Offensiv-Modell anpassen müssen. Und dann fügt Harel zu den militärischen Überlegungen noch die politische Komponente an: «Wer immer noch behauptet, dass es sich (bei dem Zwischenfall mit dem Flugzeug, Anm. d. Red.) nur um milde Schauer handelt, der muss so beschäftigt damit sein, Netanyahus Image zu verteidigen, dass er nicht mehr imstande ist, die Wirklichkeit objektiv zu analysieren.»
Foto:
Moskau will bereits in den kommenden zwei Wochen S-300-Luftabwehrsysteme an Syrien liefern
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 28. September 2018