Conrad Taler
Bremen (Weltexpresso) - In einem Regal des Bücherschranks in meinem Arbeitszimmer liegt eine gepresste rote Nelke; Rolf Gössner hat sie mir vergangenes Jahr während einer Veranstaltung zu meinem 90. Geburtstag geschenkt. Ich habe sie damals zwischen zwei Buchseiten gelegt und jetzt wieder entdeckt.
Der Zufall wollte es, dass ich fast zeitgleich im Internet auf ein Gespräch Rolf Gössners über die Implikationen des Falles Maaßen gestoßen bin, das der Journalist Markus Bernhardt für die Zeitschrift „Junge Welt“ mit dem prominenten Menschenrechtler und stellvertretenden Richter am Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen geführt hat. Für die Leserinnen und Leser von „Weltexpresso“ habe ich eine komprimierte Fassung zusammengestellt
Sie gelten als Experte für Polizei und Geheimdienste. Die »Causa Maaßen« hat die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD kürzlich in eine ernste Krise katapultiert. Wie haben Sie die Ereignisse wahrgenommen?
Mir stellte sich spontan die Frage: Wer schützt uns vor solchen »Verfassungsschützern«? Nur soviel: Dieser Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, BfV, verletzte mehrfach seine Dienstpflichten, verfolgte seine eigene, rechtskompatible Agenda, informierte Politiker der AfD in vertraulichen Gesprächen über unveröffentlichte Erkenntnisse des »Verfassungsschutzes«, soll sie gar beraten haben, wie eine Beobachtung der AfD zu vermeiden sei, bezweifelte, relativierte, ja verharmloste rechte Ausschreitungen und rassistische Hetze und Angriffe auf Migranten in Chemnitz sowie rechtsterroristische Tendenzen, belog das Parlament über den Einsatz eines V-Manns im Umfeld des Attentäters Anis Amri, verdächtigte den Whistleblower Edward Snowden, ein russischer Spion zu sein, und löste mit einer Strafanzeige gegen Journalisten des Internetportals Netzpolitik.org Ermittlungen aus, die die Pressefreiheit in Gefahr brachten. Und ein solcher Mann soll als oberster Verfassungsschützer befugt sein, Demokratie und Grundgesetz zu schützen?
Hans-Georg Maaßen wird nun mit einer neuen Funktion im Bundesinnenministerium belohnt. Was ist davon zu halten?
Statt Maaßen als unhaltbaren politischen Spitzenbeamten sofort in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen – und seinen Vorgesetzten, Bundesinnenminister Horst Seehofer, gleich mit –, sollte er zunächst auch noch mit einem höher dotierten Staatssekretärsposten belohnt werden. Nach heftigen Protesten soll er nun als Sonderberater ins BMI wechseln und für europäische und internationale Fragen zuständig sein. Womöglich kann er so noch Schlimmeres anrichten, denn es geht dabei auch um hochsensible Themen wie den Umgang mit Geflüchteten und die EU-Abschottung, Abkommen zu »Rückführungen« von Asylbewerbern und andere Flüchtlingsdeals. Dass solche Befürchtungen berechtigt sind, zeigt bereits Maaßens Wirken vor seiner Zeit als BfV-Chef. Damals schon hatte er sich als Referatsleiter für Ausländerrecht den Ruf eines sicherheits- und migrationspolitischen Hardliners erworben. So lieferte er etwa die rabulistische Rechtsauffassung dafür, dass der Bremer Murat Kurnaz lange unschuldig im US-Gefangenencamp Guantanamo unter Folterbedingungen ausharren musste und nicht nach Deutschland zurückkehren konnte. Damit erwarb sich Maaßen, der sich selbst als »Dienstleister der Demokratie« versteht, schon frühzeitig den Ruf eines »furchtbaren Juristen«.
Aber ist es nicht einfach nur folgerichtig, dass jemand mit einem solchen Charakter Chef des Inlandsgeheimdienstes ist?
Die Personalie Maaßen und sein skandalöses Wirken lenken tatsächlich davon ab, dass es letztlich um tiefer liegende strukturelle Probleme geht, die durch einen bloßen Wechsel an der BfV-Spitze keinesfalls gelöst werden. Die politischen Konsequenzen müssten also wesentlich weiter gehen – nämlich an die Substanz eines Inlandsgeheimdienstes, der unter dem euphemistischen Tarnnamen »Verfassungsschutz« firmiert.
Sie haben sich immer gegen den Einsatz so genannter Vertrauensleute ausgesprochen. Warum?
Weil sich das dubiose V-Leute-System als völlig unkontrollierbar herausgestellt hat. Man muss sich dabei klarmachen, dass in Neonaziszenen rekrutierte V-Leute nicht etwa »Agenten« des demokratischen Rechtsstaates sind, sondern staatlich alimentierte Neonaziaktivisten. Über seine bezahlten Spitzel hat der Verfassungsschutz Neonaziszenen und -parteien letztlich mitfinanziert, gegen polizeiliche Ermittlungen geschützt und gestärkt. Dabei verstrickte er sich zwangsläufig in kriminelle und mörderische Machenschaften und ist selbst integraler Bestandteil des Neonaziproblems geworden – jedenfalls hat er als »Frühwarnsystem«, das er eigentlich sein soll und sein will, system- und ideologiebedingt versagt, hat Verfassung und Demokratie mehr geschadet als genützt.
Müssten also die VS-Behörden in Bund und Ländern am besten dichtgemacht werden?
Das ist auch die Auffassung namhafter Bürgerrechtsorganisationen wie der Humanistischen Union oder der Internationalen Liga für Menschenrechte. Denn geheimdienstliche VS-Behörden sind Fremdkörper in der Demokratie, weil sie den Prinzipien von Transparenz und Kontrollierbarkeit widersprechen. Die parlamentarische Kontrolle geheimdienstlicher Arbeit erfolgt ihrerseits geheim, also wenig demokratisch. Und Gerichtsprozesse, in denen etwa V-Leute eine Rolle spielen, werden tendenziell zu Geheimverfahren, in denen Akten manipuliert sowie Zeugen gesperrt werden. Dieses Verdunkelungssystem frisst sich weit hinein in Justiz und Parlamente, die die Geheimdienste kontrollieren sollen – und meist daran scheitern. Diese Art von »Verfassungsschutz« ist weder wirksam reformier- noch kontrollierbar. Wer also solche Geheimdienste weiter aufrüstet, statt sie rechtsstaatlich zu zügeln, schädigt Demokratie und Bürgerrechte. Letztlich wird sich nur dann etwas grundlegend ändern, wenn solchen skandalträchtigen, intransparenten, ja demokratiewidrigen Institutionen die geheimen Mittel entzogen werden. Einer solchen Forderung steht das Grundgesetz nicht entgegen, denn danach muss der Verfassungsschutz keineswegs als Geheimdienst ausgestaltet sein. Seiner Auflösung als Inlandsgeheimdienst stünde verfassungsrechtlich somit nichts im Wege.
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