Reaktionen auf das Attentat in Pittsburgh
Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Die jüdischen Reaktionen auf das Attentat in Pittsburgh kamen prompt – und zeigen die Themen auf, die Juden in Israel und den USA beschäftigen und entzweien.
Wie nicht anders zu erwarten war, lösten Ursachen und mögliche Folgen der Schreckenstat in der Synagoge Etz Chaim von Pittsburgh eine Welle von Diskussionen in jüdischen Kreisen in- und außerhalb Israels aus, die wohl so rasch nicht abebben werden. Noch kann nicht exakt gesagt werden, welche Prominente sich zu Worte meldeten, weil sie sich ehrlich Sorgen machen um das seelische und physische Wohl der Überlebenden, und bei wem eher politischer und publizistischer Eigenprofit dominiert.
Im Vordergrund standen in Israels Medien dieser Tage die Stellungnahmen zweier Persönlichkeiten der Anti-Defamation League (ADL) zu der Angelegenheit. Die Aktivitäten dieser Organisation konzentrieren sich auf die weltweite Beobachtung und Bekämpfung antisemitischer und rassistischer Entwicklungen. Eine der Personen ist Jonathan Greenblatt, nationaler ADL-Direktor in den USA. Der andere ist Abe Foxman, der 27 Jahre lang der ADL vorstand. Beide nahmen in Interviews mit der «Jerusalem Post» Stellung zu Pittsburgh und den möglichen Folgen.
Wird Antisemitismus «normalisiert»?
Für Greenblatt besteht die Gefahr, dass der Antisemitismus in der politischen Debatte in den USA nach dem Anschlag auf die Synagoge «normalisiert» wird. Lange sei dieses Phänomen am Rande des US-politischen Lebens gehalten worden, doch nun habe es «zu einem niedrigen Preis» den Mainstream, das zentrale Podium betreten. «Zu viele Menschen rollen die Augen, wenn gewisse Politiker vom ‹jüdischen Financier George Soros› sprechen oder vom ‹jüdischen Financier Sheldon Adelson›. «Sie schütteln den Kopf und lassen es dabei bewenden.» Man befinde sich in einer Umgebung, fuhr der ADL-Direktor fort, in der ein Begriff wie «Globalisierer» von den Ecken des Internets in den Kabinettraum des Westflügels des Weißen Hauses gewechselt habe. Damit spielte Greenblatt auf einen in der antisemitischen Theorie benutzten Begriff an, der behauptet, Juden würden verschiedene Niveaus der Weltmacht kontrollieren. Die ADL hat einen Zuwachs um 34 Prozent der antisemitischen Zwischenfälle in den USA von 2015 bis 2016 festgestellt, 2017 aber einen Zuwachs um 57 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Greenblatt offerierte zurückhaltendes Lob für Trump, der den Anschlag von Pittsburgh rasch verurteilt habe, meinte jedoch einschränkend, das sei das Minimum, das man von einem amerikanischen Staatsoberhaupt erwarten dürfe.
Abe Foxman wiederum befasst sich in erster Linie mit Trump. Zwar glaubt er, dass der US-Präsident das jüdische Volk liebt und dass Israel ihm am Herzen liege. Gleichzeitig wirft der ehemalige ADL-Chef dem Präsidenten aber vor, die Konsequenzen seiner politischen Rhetorik nicht zu verstehen: «Wenn Trump von Dingen wie Immigration, Globalisierung und Waffenkontrolle spricht, hetzt er fanatische Menschen wie Robert Bowers, den Mörder von Pittsburgh, auf, der gegen Trump sei, weil er ihn als jüdisch kontrolliert sieht.» Foxman empfiehlt, Trump nicht mit Vorwürfen zu überhäufen, sondern ihn zu integrieren. «Er muss die Rhetorik ändern, mit der er seine Politik erklären will, denn seine jetzige Methode gibt Millionen von Menschen Vorwände für religiöse Engstirnigkeit.» Trump sei Teil des Problems, aber nicht das Problem. «Wir wollen ihn nicht zum Problem machen, den wir wollen den Antisemitismus nicht politisieren, der eine Krankheit sowohl der Rechts- als auch der Linksextremen ist.»
Komplimente für Trump
Angesichts dieser klaren Analyse von Experten wirkt die erneut kritiklose Unterstützung israelischer Spitzenpolitiker für Donald Trump doch eher fragwürdig und opportunistisch. So meinte Premier Binyamin Netanyahu in einer Botschaft an die jüdische Gemeinde von Pittsburgh, das jüdische Volk sei «gesegnet» damit, so viele Freunde in der ganzen Welt zu haben, die den Antisemitismus ablehnen und bekämpfen. «Ich drücke meine Würdigung für Präsident Trump aus, der dieses hässliche Verbrechen uneingeschränkt verurteilt und sich verpflichtet, jene zu bekämpfen, die das jüdische Volk zerstören wollen.» Auch Ron Dermer, Israels Botschafter in Washington, äusserte schrankenlose Komplimente für Trumps Verhalten, während jüdische Persönlichkeiten in den USA ihrem Präsidenten vorwerfen, mit seiner Rhetorik den Antisemitismus anzufachen. «Mir ist kein einziger nicht israelischer Führer bewusst bekannt», meinte demgegenüber Botschafter Dermer in einem Interview, «der in so starken Worten den Antisemitismus verurteilt. Wir wissen das sehr zu schätzen.» Öl ins Feuer der innerjüdischen Debatte dürfte Dermer mit der Bemerkung gegossen haben, dass der Antisemitismus sowohl von der konservativen als auch von der liberalen Seite her komme.
Einmal mehr zeigt sich hier drastisch, welche Welten zwischen den Worten von US-Juden, die den Trumpismus und seine Folgen tagein, tagaus vor ihrer Haustüre miterleben, und den von kalt berechnender Interessenpolitik geprägten Verlautbarungen israelischer Spitzenoffizieller liegen. Es steht zu befürchten, dass diese Kluft zwischen den zwei grössten jüdischen Gemeinschaften weltweit sich noch weiter vertiefen könnte.
Foto:
Nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Pittsburgh versuchen auch Juden in aller Welt, die Situation zu analysieren
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 2. November 2018