P Merkeltaz.deDie CDU auch ohne Merz auf Rechtskurs

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Irgendwie hatte die Veranstaltung in Hamburg etwas Surreales an sich. Fest stand nur, dass Angela Merkel sich als Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union verabschieden würde. Wie einer Wahrsagung lauschten die 1.001 Delegierten der Rede einer Frau, die unmöglich Scheinendes vollbracht hat, nämlich innerhalb eines Menschenalters vom angepassten Mitglied der kommunistischen Staatsjugend in der DDR zur mächtigsten Frau der nichtkommunistischen Welt aufzusteigen.

Unter der Oberfläche brodelte es von der ersten Stunde an wie glühende Lava. Fast die Hälfte derer, die der scheidenden Vorsitzenden zehn Minuten lang Beifall spendeten, wollte sie in Wirklichkeit loswerden. Dass es so viele waren, wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Aus der Deckung wagte sich während der kurzen Aussprache nur einziger Delegierter. Um was es ging wussten ohnedies alle. Angela Merkel hat nach Meinung ihrer Kritiker die CDU zu weit nach links geführt und ihren – wie Friedrich Merz es nannte - Markenkern aus den Augen verloren. Dadurch sei rechts neben der CDU Platz frei geworden für die AfD.

35 Stimmen trennten Merz am Ende von Annegret Kramp-Karrenbauer, deren Sieg den Druck im Kessel keineswegs verringert, sondern eher noch erhöht hat. Verändert hat sich die Situation nur insofern, als beide Seiten jetzt voneinander wissen, wie stark sie sind. Das macht die Sache für die neue CDU-Vorsitzende nicht leichter, zumal da Wolfgang Schäuble, nachdem er sich mit seiner Parteinahme für Merz verzockt hatte, nichts unversucht lassen wird, das Blatt innerparteilich doch noch zu wenden. Merz hat die Wahl zwar verloren, der Partei aber einen Schwenk nach rechts aufgenötigt. Mit der Entscheidung, den zum rechten Flügel zählenden Vorsitzenden der Jungen Union, Paul Ziemiak, in das Amt des Generalsekretärs zu berufen, hat Kramp-Karrenbauer ein Zugeständnis gemacht, an dem sie noch zu kauen haben wird. Ihre Äußerung, der Bundeskanzlerin Paroli bieten zu wollen, „wo es im Interesse der Partei notwendig ist“, dürfte eher als taktischer Schachzug, denn als Distanzierung von Angela Merkel zu verstehen sein.

Der auf dem Parteitag sichtbar gewordene tiefe Riss zwischen den beiden Flügeln wird bis zu den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen nicht zu kitten sein. Die CDU konkurriert dort nicht etwa mit der SPD oder den Grünen um die Position als stärkste politische Kraft, sondern mit der Alternative für Deutschland. Für viele eine gespenstische Vorstellung. Umfragen sagen den Rechtspopulisten in allen drei Ländern einen Stimmenanteil von mehr als 20 Prozent voraus. Friedrich Merz hatte versprochen, die AfD halbieren zu wollen. Seine Anhänger werden damit noch weidlich hausieren gehen.

Etwas ist schief gelaufen in Deutschland, und zwar nicht erst seit der so genannten Flüchtlingskrise im Jahr 2015. Seit zusammenwächst, was zusammen gehört, erleben Fremdenfeindlichkeit und Neonazismus eine kaum für möglich gehaltene Renaissance. Möglich wurde das nur, weil die NS-Vergangenheit nur widerwillig unter dem Druck von außen aufgearbeitet worden ist. Eine wirkliche Katharsis hat nicht stattgefunden. Sonst brauchten jüdische Einrichtungen 73 Jahre nach dem Ende der Nazibarbarei nicht immer noch vor rechter Gewalt geschützt zu werden. „Die Erinnerung an das nationalsozialistische Jahrhundertverbrechen ist nicht wirklich Teil einer nationalen deutschen Identität geworden“, konstatierte im Mai 2000 der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Salomon Korn.

In jenem Jahr hatte der Vorsitzende der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, Friedrich Merz, erklärt: „Unsere Generation will sich nicht mehr derart in Haftung für unsere Vergangenheit nehmen lassen“. So zitierte ihn die Süddeutsche Zeitung am 23. November. Aber niemand hat sich daran gestoßen, weder damals noch jetzt, als Merz für das höchste Parteiamt der CDU kandidierte. Die Schlussstrichmentalität hat gesiegt, mag die deutsche Bundeskanzlerin noch so oft die „immer währende Verantwortung Deutschlands“ beteuern.

Zur selben Zeit, da sich die Delegierten in Hamburg der Nabelschau hingaben, verbreiteten die Nachrichtenagenturen eine Meldung, wonach 38 Prozent der Juden in Europa überlegen, ob sie auswandern sollen, weil ihnen die Sicherheitslage in ihrem Heimatland zu riskant erscheint. Das ergab eine Umfrage der Agentur der Europäischen Union. Neun von zehn Juden in Europa sind der Ansicht, dass der Antisemitismus seit 2013 zugenommen hat. 28 Prozent der Befragten erklärten, im vergangenen Jahr antisemitisch belästigt oder angegriffen worden zu sein. Obwohl im nächsten Jahr auch das Europarlament neu gewählt wird, fanden die Zahlen auf dem Parteitag keinen Widerhall. Auch der Appell der EU-Innenminister vom Vortag, eine umfassende Strategie zur Bekämpfung des Antisemitismus zu verabschieden und umzusetzen, brachte die Delegierten nicht von der Selbstbespiegelung ab.

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Angela Merkel mag ja leicht nach links zeigen, aber so wie sie von den beiden Herren eingepfercht ist, hat sie keinen Spielraum, zumal von unten, vom Parteipublikum her ihre Geste nach rechts deutet
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