Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Binyamin Netanyahu kämpft offensichtlich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln um seine Unschuld, vor allem aber um seine fünfte Wiederwahl am 9. April.
Dem israelischen Regierungschef Binyamin Netanyahu scheint der politische und strafrechtliche Boden unter den Füssen langsam weggezogen zu werden, je näher der Termin der vorgezogenen Knessetwahlen vom 9. April rückt. Diesen Eindruck jedenfalls gewann man in- und ausserhalb Israels, als der Premier am letzten Montagabend während der Abendnachrichten zur Primezeit in seiner Residenz vor die Kamera trat. Als Erstes forderte er eine öffentliche Direktkonfrontation mit den Zeugen der Anklage in seinen diversen Korruptionsfällen. Dann klagte er in weinerlich-trotzig anmutendem Ton eines Kindes, das den Gute-Nacht-Kuss seiner strengen Eltern noch nicht erhalten hat, darüber, dass dieses Ansinnen ihm von Richtern und Staatsanwälten bereits mehrere Mal abgelehnt worden sei.
Dieser publizistische Alleingang ohne Fragen stellende Journalisten, die ihm vielleicht etwas Luft aus den Segeln genommen hätten, war zuvor von seinem Büro als «höchst dramatisch» angekündigt worden. Darüber, ob sie damit die präzedenzlose Show ihres Chefs treffend zitiert haben oder ob die israelischen TV-Konsumenten landesweit einer lächerlichen Schmierenkomödie beiwohnten, mit der ihr Premier die nun immer näher rückende Anklageerhebung mit allen Mitteln hinausschieben wollte, werden dereinst Historiker oder schon bald die Prozess-Berichterstatter zu urteilen haben. Dem Premier droht jedenfalls eine Haftstrafe. Netanyahu bemängelte auch, dass die Polizei bis jetzt potenzielle Zeugen ignoriert habe, die zu seinen Gunsten aussagen könnten. Polizei und Staatsanwaltschaft können dem Anhörungsgesuch eines potenziellen Angeklagten stattgeben, müssen aber nicht. Das Bestehen auf eine Live-Übertragung der Anhörung, wie Netanyahu sie verlangt hat, ist jedenfalls eine seiner Erfindungen.
Schlechte Versprechungen
Noch vor gut einem Monat malte Netanyahu die Gefahr eines unmittelbar bevorstehenden «schwierigen und verlustreichen Kriegs» als Argument gegen vorgezogene Wahlen an die Wand, dann proklamierte er aber diesen Urnengang höchst persönlich. Und nun zog er alle Register seines emotionalen Könnens, als er den «unaufhörlichen Druck des Generalstaatsanwaltes, mich auf die Anklagebank zu bringen» ins Spiel brachte. Schliesslich verstieg er sich zu den fast nicht mehr erträglichen Spekulationen, dass man wohl endlich ihn in Ruhe lassen würde, wenn er nur eine neue Entflechtung (von den Palästinensern), eine Teilung Jerusalems oder «die Vernachlässigung unserer Sicherheit» vorschlagen würde. «Das werde ich aber nie tun», gelobte Netanyahu. Wie gut oder schlecht dieses Versprechen beim Volk angekommen ist, werden die unweigerlichen Umfragen der kommenden Tage zeigen. Nehmen wir allerdings die mit jeder verstreichenden Woche sichtlich zunehmende Nervosität Netanyahus und seiner Leute zum Massstab für die Glaubwürdigkeit seiner Beteuerungen, wäre man gut beraten, vom Regierungschef gemachte Versprechungen in den hängigen Fragen mit Hilfe einer zusätzlichen Prise Vorsicht, um nicht zu sagen Misstrauen, zu relativieren.
Katastrophe für die Wahrheit
Der um seine Arbeit kaum zu beneidende Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit wird wahrscheinlich bis Februar darüber entscheiden, ob der Regierungschef in drei Korruptionsfällen anzuklagen sei, wie die Polizei es haben möchte, oder nicht, wie seine Anhängerschaft, allen voran Kulturministerin Miri Regev und Koalitionschef David Amsalem, es vorzieht. Für den Analysten Yossi Verter von «Haaretz» war die Sache bereits unmittelbar nach Bibis Flimmerkasten-Operette klar: «Nach seinem ‹dramatischen Statement› sollte Netanyahu an Live-Auftritten am israelischen TV gehindert werden.» Die Äusserungen des Premiers waren für Verter eine «Katastrophe für die Wahrheit, katastrophal für die staatsmännische Amts- und saubere Regierungsführung». Und für diesen Unsinn, fuhr der Kommentator fort, sei das ganze Land während einiger Stunden «in Spannung und beschäftigt gehalten worden». Dann legte er den Finger auf einen der wunden Punkte von Israels Massenmedien: «Die Manipulation wurde schon wenige Minuten nach dem Beginn der Rede klar. Von diesem Moment an war die Übertragung überflüssig. Von den drei israelischen TV-Stationen handelte nur eine, Kanal 10, professionell und zeigte Respekt vor seinem Publikum, indem sie die Übertragung beendete und die empörende Farce unterbrach.» Soweit Yossi Verter.
Kampf um jeden Preis
Die eingangs gestellte Frage, ob es sich bei Netanyahus TV-Auftritt vom Montag um eine Schmierenkomödie gehandelt habe oder um einen panikartigen Versuch, seine politische Haut und Karriere zu retten, wird man frühestens nach den kommenden Wahlen schlüssig beurteilen können. Eines jedoch lässt sich bereits eindeutig bestätigen: Eine «Sternstunde der israelischen Demokratie» und ein Musterbeispiel für souveräne Regierungsführung war Netanyahus Solo-TV-Show gewiss nicht. Schon eher lässt sich vermuten, dass ein sich zusehends in panischer Desorientierung verstrickender israelischer Premierminister auf das Unausweichliche vorbereitet. Lassen wir abschliessend nochmals Yossi Verter zu Worte kommen: «Vom Zwischenfall des Montagabends haben wir gelernt, dass Netanyahu entschlossen ist, die Wahlkampagne zu einem Referendum für seine Unschuld zu machen und für das, was er das tendenziöse und unfaire Verhalten bei den Aktivitäten nennt, dem Gesetz zum Durchbruch zu verhelfen. Seine Strategie ist jedenfalls klar: Das Wahlvolk ist das Geschworenengericht. Wird er am 9. April für eine fünfte Kadenz gewählt, wäre das ein Freispruch, ungeachtet der Dinge, die man bereits kennt oder die noch bekannt werden sollten. Er ist unschuldig!» Netanyahus Worte richteten sich, so Verter, nicht gegen das Büro des Generalstaatsanwaltes oder die Richter, sondern an die öffentliche Meinung. Er sprach zu jenen «Millionen Bürgern», die den Beschluss des Generalstaatsanwaltes nicht akzeptieren werden, die Anklage zu eröffnen, wie sein Sprachrohr (vom Likud) David Amsalem bereits drohte. – Israel stehen wahrlich chaotische Wochen bevor!
Foto:
Hat der israelische Premier Binyamin Netanyahu versucht, beim TV-Auftritt vom letzten Montag seine politische Karriere zu retten?
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 10. Januar 2018
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 10. Januar 2018