Kleines ABC der Neuen Rechten, ihrer Wortführer und ihrer Publizistik, Teil 4
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nationalismus und Sozialismus sind unvereinbare Gegensätze.
Ersterer ist eine Wesensäußerung des Kapitalismus, der Sozialismus hingegen dessen Überwindung – wenn er denn konsequent umgesetzt wird. Zudem ist der Internationalismus ein wesentliches Merkmal aller sozialistischen und kommunistischen Theorien. Folglich waren und sind sämtliche Ansätze, hier Gemeinsamkeiten zu konstruieren, zum Scheitern verurteilt. Das bekannteste Beispiel dafür war die NSDAP. Wobei man darüber Mutmaßungen anstellen kann, ob die „nationalen Sozialisten“, also jene Gruppen um die Brüder Gregor und Otto Strasser, nicht von vornherein eine Etikettenfälschung betrieben haben. Also Sozialismus predigten und Nationalismus im Schilde führten. Und ebenso sämtliche ihrer Nachfolger. Beispielsweise die von Neurechten wieder einmal propagierte »Querfront«.
Querfront
Im historischen Sinn werden als anti-demokratische Strategien, welche die gegensätzlichen Ideologien des Nationalismus und des Sozialismus während der Weimarer Republik verbanden, als Querfront bezeichnet. Solche Bündnisse strebten Vertreter der Konservativen Revolution seit etwa 1920 als Theoriemodell an.
Im weiteren Sinn werden auch solche Versuche als Querfront bezeichnet, die Zustimmung für anti-emanzipatorische Positionen zu vergrößern und lagerübergreifende Aktionsbündnisse „quer“ zu bestehenden „links“- und „rechts“-gerichteten politischen Standpunkten herzustellen. Ihre kennzeichnenden Merkmale sind Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, Islamismus und Antifeminismus.
Die NSDAP verstand sich seit ihrer Gründung 1920 als Sammlungsbewegung „nationaler Sozialisten“, vertrat also die Verknüpfung dieser Richtungen schon im Namen und im Programm. Den antikapitalistischen Flügel der NSDAP vertraten vor allem der SA-Gründer Ernst Röhm und die Brüder Strasser. Sie verloren den innerparteilichen Machtkampf gegen Adolf Hitler und dessen Anhänger, die den Antikapitalismus antisemitisch interpretierten bzw. durch einen radikalen Antisemitismus ersetzten, ohne die kapitalistischen Produktionsverhältnisse anzutasten. Otto Strasser trat deshalb am 4. Juli 1930 gemeinsam mit einigen seiner Anhänger aus der NSDAP aus. Mit seinem Aufruf „Die Sozialisten verlassen die NSDAP“ hoffte er vergeblich, die NSDAP spalten zu können.
Nach der Machtübergabe an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 verloren die verbliebenen nationalen Sozialisten in der NSDAP rasch an Einfluss. Hitler setzte seine Alleinherrschaft Schritt um Schritt durch und ließ die Organisationen der Arbeiterbewegung (Gewerkschaften und Linksparteien) verbieten, auflösen und ihre Führungskader ermorden. 1934 in der „Nacht der langen Messer“ ließ er schließlich auch seine möglichen inner- und außerparteilichen Konkurrenten (darunter Ernst Röhm, Kurt von Schleicher, Gregor Strasser und andere) ermorden.
Heute werden Querfront-Bestrebungen besonders im deutschen Rechtspopulismus sichtbar. Dazu zählt die von Jürgen Elsässer herausgegebene Zeitschrift Compact, das Internetportal KenFM von Ken Jebsen, die Partei Alternative für Deutschland, die „Mahnwachen für den Frieden“, das islamfeindliche Demonstrationsbündnis Pegida und dessen regionale Ableger. Kennzeichnend für diese neue Querfront sind eine leistungsfähige eigenständige Gegenöffentlichkeit und einfache populistische Fronten: „Volk gegen Eliten, Wahrheit gegen Lügenpresse“. Die Anhänger dieses Netzwerks bejahen laut Umfragen zwar die Idee der Demokratie, schenken den demokratischen Institutionen jedoch fast gar kein Vertrauen. Zu diesem Netzwerk gehört auch der ehemalige Deutsche-Burschenschaft-Sprecher Michael Vogt, der mit eigenen Internetmedien und Kongressen unter dem Motto Quer-Denken Verschwörungstheorien verbreitet. Er behauptet etwa, die USA hätten die Massenflucht aus Kriegsgebieten gezielt zur Zerstörung des als Blutsgemeinschaft verstandenen deutschen Volkes in Gang gesetzt.
Die Ziele dieser „Querfront“ formulierte Jürgen Elsässer in der Erstausgabe von Compact 2010 so: Man wolle eine „Volksfront“ aus der Gesamtbevölkerung aufbauen, damit diese die fehlende Souveränität erkämpfe. Die Linke müsse mit der Rechten einen „offenen Dialog“ führen und umgekehrt, um „Dogmen“ zu überwinden und „Tabus“ zu brechen und so einen gemeinsamen „Widerstand“ gegen jene Mächte zu ermöglichen, die das deutsche Volk beherrschten. Als Beispiel für einen solchen Tabubruch verwies Elsässer auf den Sozialdemokraten Thilo Sarrazin (Autor des Buches „Deutschland schafft sich ab“). Die herrschenden Fremdmächte verortet er im Sinne des sekundären Antisemitismus bei den angeblich vom Zionismus bestimmten USA und dem dort beheimateten, angeblich von wenigen Personen gelenkten Kapital der „Ostküste“. Damit versucht er Compact als wesentliches „alternatives Medium“ gegen die Mainstreammedien für den deutschen Rechtspopulismus zu etablieren. Sowohl die „Querfront“ als auch andere rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien benutzen verstärkt auch kommerzielle Netzwerke wie Facebook und Twitter, um die politische Debatte zu verrohen, Gewaltaufrufe und Verachtung für Minderheiten weit über die eigene Anhängerschaft hinaus zu verbreiten.
Tellkamp, Uwe
Der 1968 in Dresden geborene Autor erhielt für seinen Roman „Der Turm“, in welchem er die Wendezeit in der DDR beschrieb, mehrere Literaturpreise. In seinem 2005 erschienenen Roman „Der EISVOGEL“ plädiert er für eine konservative Revolution im Sinne Hugo von Hofmannsthals. Der hatte eine solche 1927 in seiner Rede über „Das Schrifttum als geistigen Raum der Nation“ gefordert.
Während der Frankfurter Buchmesse 2017 gehörte Uwe Tellkamp zu den 32 Erstunterzeichnern der „Charta 2017“, einer Erklärung, die von der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen als Online-Petition veröffentlicht worden war und die sich gegen die Ausgrenzung neurechter Verlage auf der Messe ausgesprochen hatte. Frau Dagen unterstützt offen die fremdenfeindliche Initiative PEGIDA.
Tellkamp gehörte auch zu den Erstunterzeichnern einer von der ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld initiierten „Gemeinsamen Erklärung 2018“ vom 15. März 2018, in der es heißt: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird...“. Illustriert wurde der Aufruf mit dem Foto eines vom Umfeld der AfD unterstützten Frauenmarsches. Neben Tellkamp unterzeichneten Konservative und Neurechte die Erklärung, darunter Henryk M. Broder, Eva Herman, Matthias Matussek, Thilo Sarrazin, Jörg Friedrich, Uwe Steimle, Karlheinz Weißmann und Martin Lichtmesz; der Verleger Götz Kubitschek (Antaios) begrüßte sie ausdrücklich. Der Wochenzeitung „Die Zeit“ zufolge seien nur Akademiker zur Unterschrift zugelassen worden, um zu zeigen, „dass sich Intellektuelle mit Flüchtlingsgegnern und deren Straßen-Demos solidarisieren“.
Verlag Antaios
Der Kleinverlag wird als „Hausverlag“ der neurechten Denkfabrik „Institut für Staatspolitik (IfS)“ bezeichnet. Überdies bietet der Verlag Bücher anderer politisch rechter bzw. rechtsextremer Verlage an.
Zum Gründerkreis gehörte u.a. Karlheinz Weißmann, einer der Hauptvertreter der Neuen Rechten in Deutschland und 2003 Mitbegründer der Zeitschrift „Sezession“.
Zu den Autoren gehören u.a. Michael Klonovsky (Referent des AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland), Erik Lehnert (Publizist, Geschäftsführer des Instituts für Staatspolitik; er ist im Büro des AfD-Bundestagsabgeordneten Harald Weyel tätig), Martin Lichtmesz (österreichischer Publizist, der der Identitären Bewegung zugerechnet wird), Andreas Lombard (Chefredakteur von „Cato – Magazin für neue Sachlichkeit“, dessen Alleingesellschafter die Wochenzeitung „Junge Freiheit“ ist), Manfred Kleine-Hartlage (Sozialwissenschaftler und Publizist, regelmäßiger Kommentator in der rechtsextremen Zeitschrift „Zuerst“), Felix Menzel (Publizist, Schlüsselfigur der „Identitären Bewegung“ in Deutschland), Armin Mohler (siehe dort), Baal Müller (propagiert ein „wendisches Heidentum“ und trat mehrfach bei PEGIDA-Kundgebungen auf), Martin Sellner (Aktivist der österreichischen „Identitären Bewegung“; 2018 ermittelten österreichische Behörden wegen Verdachts auf „Verhetzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung“).
Karlheinz Weißmann
Er ist Vordenker einer „jungkonservativen“ Strömung innerhalb des rechten Lagers. Bis 2014 war er wissenschaftlicher Leiter des „Instituts für Staatspolitik“ und verfasste eine „Geschichte der konservativen Intelligenz seit 1945“
Zuerst! – Deutsches Nachrichtenmagazin
Diese Monatsschrift erscheint seit 2009 im Verlagshaus von Dietmar Munier und ging aus der 1951 gegründeten Zeitschrift „Nation und Europa“ hervor. In seiner Selbstdarstellung bezeichnet sich Zuerst! als „das Magazin für deutsche Interessen“. Die politische Wissenschaft verortet das Blatt im Rechtsextremismus, obwohl auf dezidiert rechtsextreme Agitation weitgehend verzichtet wird. Der Leserkreis umfasst sowohl Rechts-Konservative als auch Rechtsextremisten.
Im Impressum heißt es, dass die Zeitschrift „vereinigt mit »Nation & Europa, Deutsche Monatshefte«“ wurde. Rechtsextreme Medien wie die NPD-Monatszeitung „Deutsche Stimme“ unterstützten die Gründung. Dietmar Muniers Verlag firmiert als Verlagsgruppe „Lesen und Schenken“ und umfasst die Verlage Arndt, Bonus, Pour le Merite). Munier selbst gilt als einer der einflussreichsten Verleger des rechtsextremen Spektrums.
Als Chefredakteur fungierte zunächst der Journalist, ehemalige Welt-Ressortleiter und studierte Historiker Günther Deschner, der nach Einschätzung von Beobachtern moderater als Munier und bisher nicht durch „rechtsextremistische Aktivitäten“ aufgefallen war. Seit März 2011 hat Manuel Ochsenreiter diese Aufgabe übernommen, der ein langjähriger Mitarbeiter und zuletzt Ressortleiter Innenpolitik der neurechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ war und ehemaliger Chefredakteur der als rechtsextrem eingeordneten, im gleichen Verlag erscheinenden „Deutschen Militärzeitschrift“ (DMZ) ist.
Foto:
Jürgen Elsässer, Chefredakteur der rechten Zeitschrift COMPACT, plädiert für eine „Querfront“
Info
Diese Serie ist ein Nachdruck des gleichnamigen Artikels aus
http://www.bruecke-unter-dem-main.de/themenwoche/