Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Für knapp 24 Stunden fanden Israels Bürgerinnen und Bürger am Dienstag Gelegenheit zur willkommenen Ablenkung von einer ungeliebten, ermüdenden Wahlpropaganda. Stattdessen konnten sie sich am Beschluss einer ausländischen Firma erfreuen, die bisher grössten Investitionen in der israelischen Wirtschaftsgeschichte zu tätigen.
In großer Aufmachung berichteten die israelischen Medien von der Absicht des Technologie-Giganten Intel, in Kiryat Gat für den beachtlichen Betrag von 9,7 Milliarden Dollar eine neue Fertigungsstätte zu errichten. Diese Summe kommt zu den rund fünf Milliarden Dollar hinzu, die Intel in den letzten zwei Jahren bereits in Israel investiert hat. Im Austausch für die fast 10 Milliarden Dollar wird Israel Intel im Verlauf der kommenden 15 Jahre total drei Milliarden Schekel zahlen. Intel wiederum wird Israel seinerseits schon im kommenden Monat zwei Milliarden Dollar überweisen. Neben dem rein finanziellen Aspekt bringt das Geschäft auch willkommene Begleiterscheinungen für den israelischen Arbeitsmarkt mit sich: In den nächsten Jahren werden durch die neue, hochmoderne Produktionsstätte rund 1000 neue Arbeitsplätze in Kiryat Gat und im Negev geschaffen werden. Bereits heute ist Intel einer der wichtigsten Arbeitgeber für die ganze Region. Israel schlug mit seiner Offerte übrigens mit Singapur und Irland zwei gewichtige Konkurrenten aus dem Feld, die sich ebenfalls um die neue Intel-Produktionsstätte beworben hatten.
Wenn es nach Netanyahu geht
So erfreulich und vielversprechend für die Zukunft Israels Entwicklungen wie die Milliarden der Intel-Investitionen sind, so kurzfristig und vorübergehend dürften sie für die Beeinflussung der alltäglichen Stimmung vor den Wahlen sein. Hier stehen Meldungen wie die Absichtserklärung von Regierungschef Netanyahu im Vordergrund, auch in einem Friedensabkommen keine israelischen Siedlungen mehr aufzuheben. Anlässlich eines Besuchs des Aussenpostens Netiv Haavot im Siedlungsblock Etzion in der Westbank erklärte der Premier: «Wenn es nach mir ginge, würden keine Siedlungen mehr aufgehoben werden, und es würde auch keine Verlangsamung ihrer Entwicklung geben. Denn im Gegenteil: Das Land Israel gehört uns und wird unser bleiben.» Netanyahu machte diese Bemerkung Siedlern gegenüber, wobei er klar auf Stimmenfang für die bevorstehenden Wahlen ausgerichtet war, nachdem er die Anweisung erteilt hatte, Dutzende Millionen Schekel für den Bau einer permanenten Siedlung bereitzustellen. Wörtlich meinte er: «Was gefallen ist, wird wieder auferstehen, es gehört uns, wir bauen hier, und ihr werdet hier wohnen.» Als er auf die gegen ihn laufenden Korruptionsuntersuchungen angesprochen wurde, geriet Netanyahu direkt ins Schwärmen: «Ich werde die ganze Zeit gefragt, wie ich all diesen Untersuchungen widerstehen kann und den Angriffen auf meine Familie. Ich kann dies tun dank Orten wie diesem, dank eurem Sendungsbewusstsein. Wir sind in unsere Heimat zurückgekehrt. Abraham, Isaak und Jakob sind hier vorbeigekommen. Wir sind schon seit 3000 Jahren hier.» Vergleicht man Äusserungen wie diese mit den Untersuchungsergebnissen von Staatsanwaltschaft, Polizei und Medien, wird es in absehbarer Zeit nur zwei Alternativen geben, soll der Staat Israel eine einigermassen lebensfähige Zukunft haben: Entweder man ersetzt die gegenwärtige Führungsspitze des Landes oder das ganze Rechtswesen muss einem drastischen Reinigungs- und Säuberungsprozess unterzogen werden.
TIPH-Leute nach Hause geschickt
Damit aber nicht genug. Premier Netanyahu beschloss, das seit fast 22 Jahren geltende Abkommen für die Truppe Temporary International Presence in Hebron (TIPH) in der Patriarchenstadt Hebron nicht zu erneuern. Die 64 internationalen zivilen Beobachter aus Italien, Norwegen, Schweden, der Türkei und der Schweiz werden also nach Hause geschickt – ohne Dank für die geleisteten Dienste. Diese werden nämlich von der Jerusalemer Führungsspitze als ausgesprochen antiisraelisch eingestuft. Es liegen einerseits verschiedene Berichte vor, die TIPH-Beobachter hätten in der geteilten Stadt Hebron klar propalästinensische Tendenzen gezeigt, um der dortigen arabischen Bevölkerung durch Patrouillen ein gewisses Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Das veranlasste Netanyahu unlängst zu folgender Bemerkung: «Wir werden keiner internationalen Kraft erlauben, gegen uns zu handeln.» Und Zeev Elkin, Minister für Jerusalem-Angelegenheiten und Umweltschutz, verdeutlichte die Bedeutung dieser Aussage: «Wir brauchen keine ausländischen Inspektoren in der Stadt unserer Vorväter.» Dass die TIPH-Leute seit der Unterzeichnung des entsprechenden Abkommens 1997 Beobachtungsfunktionen in der zu 80 Prozent der Palästinensischen Behörde und zu 20 Prozent der IDF unterstehenden geteilten Stadt mit einer jüdischen Gemeinde von etwa 1000 Personen ausüben, ist rechtsgerichteten, nationalistischen israelischen Kreisen immer mehr ein Dorn im Auge. Logischerweise reagierten daher Vertreter der jüdischen Gemeinde von Hebron erfreut auf Netanyahus Bemerkung. Zusammen mit Leuten wie Vizeaussenministerin Tzippi Hotovely und Gilad Erdan, Minister für öffentliche Sicherheit und strategische Angelegenheiten, erklärten sie daher gegenüber der israelischen Presse: «Zusammen haben wir bewiesen, dass es möglich ist, die Ungerechtigkeit und den Wahnsinn zu beenden, die seit vielen Jahren existieren.» Minister Erdan soll Premier Netanyahu vor dessen TIPH-Rauswurf einen Geheimbericht über die Gruppe unterbreitet haben.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es nun so weit kommen, dass die über 220 000 palästinensischen Einwohner Hebrons gegenüber den rund 1000 vom Militär rund um die Uhr beschützten Israeli das Nachsehen haben werden. Die Vermutung liegt nahe, dass die sich nähernden Knessetwahlen vom 9. April Premier Netanyahu und seine Leute veranlasst haben, sich dem rechts-nationalen Wählervolk gegenüber noch grosszügiger und nachsichtiger als sonst zu verhalten. Darüber, was am 10. April sein wird, macht sich heute offensichtlich noch keiner der derzeit am Ruder sitzenden israelischen Entscheidungsträger Gedanken.
Foto:
Intel tätigt die wohl grösste Investition in der israelischen Wirtschaftsgeschichte
© tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 1. Februar 2019
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 1. Februar 2019