Bildschirmfoto 2019 03 10 um 09.56.10Der Saal, in dem der erste Auschwitzprozeß stattfand, heißt nun Fritz-Bauer-Saal

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Seit Jahren ist nun eine langsame, aber nicht mehr aufzuhaltende Aneignung des früheren Generalstaatsanwalts von Hessen, Fritz Bauer, durch die Stadt Frankfurt zu bemerken. Endlich. Den Saal im Bürgerhaus Gallus, der bundesdeutsche Geschichte schrieb, nach ihm zu benennen, was im Bild rechts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) und AGB-Geschäftsführer Frank Junker tun,  ist eine Idee, die im August 1965 noch unmöglich erschien.

Bildschirmfoto 2019 03 10 um 09.55.51Da endete nämlich in diesem Saal am 20. August der erste Auschwitzprozeß, der in der „Strafsache gegen Mulka u. a.“ als der Auschwitzprozeß gilt, weil das Wissen, daß es mehrere Prozesse allein in Frankfurt gab, auch erst wieder lebendig werden muß. Als an anderer Stelle, im Frankfurter Römer, am 20. Dezember 1963 der erste Auschwitzprozeß gegen 22 Angeklagte begonnen hatte, stellten sich die Räumlichkeiten schnell als zu klein heraus, zudem behinderte der Prozeß den normalen Ablauf im Römer, dem Rathaus der Stadt Frankfurt. Deshalb zog man am 3. April 1964 um ins Bürgerhaus Gallus – Bürgerhäuser als Mittelpunkt des lokalen Geschehens entstanden damals in fast allen Stadtteilen - , ein an die Innenstadt angrenzender großer Stadtbereich Richtung Westen. Man hatte dieses Bürgerhaus für ein solches Mammutverfahren erst gehörig technisch aufrüsten müssen: Anklagebänke, Übersetzer mitsamt der aktustischen Anlage, Zeugen, Besucher, ...


Bildschirmfoto 2019 03 10 um 11.43.50Dies ist uns Anlaß, darauf hinzuweisen, daß unser Redaktionsmitglied Kurt Nelhiebel (rechts im Bild) damals für eine Wiener Zeitung vom Auschwitzprozeß berichtete. Eigentlich an der Zeit, daß er dies wieder einmal im WELTEXPRESSO reflektiert. Wen gibt es, 55 Jahre nach dem Beginn des ersten Prozesses, noch, der tatsächlich anwesend war und das erlebte, was wir anderen aus den Geschichtsdaten und den akustischen Gerichtsaufzeichnungen schließen. Und aus den Filmaufnahmen, weshalb FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN von Ilona Ziok (2010) so wichtig ist, wie auch die erste wissenschaftliche Biographie über Fritz Bauer von Irmtrud Wojak (2009), die die Dokumente und Fotografien enthält.


a fritz bauerneuDer Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (links) hatte damals die Unverfrorenheit, den politischen Mut und die juristischen Kenntnisse bewiesen, den Auschwitzprozeß überhaupt nach Hessen, nach Frankfurt holen zu können. Denn der Ort mußte vom Bundesgerichtshof (BGH) nach der Gerichtsstandsbestimmung entschieden werden, was der BGH 1959 tat, in dem er das Landgericht Frankfurt am Main für die Untersuchung und Entscheidung in der Strafsache gegen Auschwitz-Personal bestimmte. Wir wissen den genauen Ablauf heute aus dem Film von Ilona Ziok, die als Weltpremiere auf der BERLINALE 2010 ihren Film FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN vorstellte, der damals zum ersten Mal die Person Bauers und sein politisches Wirken im westlichen Nachkriegsdeutschland umfassend darstellte. Das gilt übrigens bis heute, denn in ihrem Film kommen all die Zeitzeugen zu Wort, von denen die meisten inzwischen gestorben sind.

Wie es überhaupt zu den Auschwitzprozessen kommen konnte, hält inzwischen auch ein Spielfilm IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS aus dem Jahr 2014 fest, der zudem 2015 für den Auslandsoscar in Hollywood nominiert war, der sich auf Zioks Film stützt, und wo Regisseur Giulio Ricciarelli, der auch das Drehbuch mitschrieb, sich an das tatsächliche Geschehen hält: der Journalist Thomas Gnielka hatte im Januar 1959 Fritz Bauer sieben Schreiben zugeleitet, die er selbst völlig zufällig bei Emil Wulkan entdeckt hatte. Emil Wulkan, ein Holocaustüberlebender, hatte diese Blätter, ohne ihre Brisanz zu erkennen, in Breslau mitgenommen, als dort das SS- und Polizeigericht brannte. Diese Schreiben waren regelrechte Erschießungslisten aus dem Konzentrationslager Auschwitz, die alle vom Lagerkommandanten Rudolf Höß und seinem Stellvertreter Robert Mulka mit ihren Namenskürzeln unterzeichnet waren und die Häftlinge benannten, die getötet werden sollten.

Die detaillierten Angaben über Opfer und Täter waren nötig, um überhaupt ein Verfahren in Gang setzen zu können, denn die Prozeßgeschichte der Nachkriegszeit hatte den direkten Mord und den Nachweis hierzu als alleinigen Verurteilungsgrund festgeschrieben und nicht zum Beispiel, in einem KZ, in dem Häftlinge ermordet wurden, beschäftigt gewesen zu sein, was heute gilt. Diese Rechtsauffassung, die Fritz Bauer schon in den 50- und 60er Jahren teilte, setzte sich in bundesdeutschen Gerichten erst mit dem Urteil im Prozeß gegen John Demjanjuk in München im Mai 2011 durch, wo der Angeklagte, ein Handlanger der SS in Sobibor 1943, wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurde, da er „Teil der Vernichtungsmaschinerie“ gewesen war. Danach gab es mehrere Prozesse gegen KZ-Wachleute, deren unterstützende Tätigkeiten in den KZs heute auch juristisch als Beihilfe zum Mord eingestuft werden.

Fritz Bauer hatte also 1959 die Beweisstücke aus Auschwitz gegen Höß und Mulka erhalten und sie an den Bundesgerichtshof und an die extra eingerichtete Zentrale Stelle zur Erfassung von NS-Unrecht in Ludwigsburg weitergeleitet und ersucht, den Gerichtsstand Frankfurt bestimmen zu lassen. Begründung hierfür war Frankfurt als Standort der IG Farben, die das Gas ZYKLON B nach Auschwitz und andere KZs geliefert hatten. Da der ehemalige Lagerkommandant Rudolf Höß im Krakauer Auschwitzprozeß 1947 verurteilt und hingerichtet worden war, ging es nun aufgrund der gefundenen Papiere aus Auschwitz um seinen Stellvertreter in der „Strafsache Mulka“...

20 Monate dauerte der erste Auschwitzprozeß, dem fünf Strafprozesse vor dem Schwurgericht in Frankfurt am Main folgten, 1965/66 der zweite Auschwitzprozeß, 1967/68 der dritte und nach dem Tod von Fritz Bauer am 1. Juli 1968 drei Nachfolgeprozesse in den 70er Jahren.

Doch im kulturellen Gedächtnis der Bundesrepublik hat sich allein der erste Prozeß festgesetzt, wo einen noch heute das selbstherrliche Gebaren der Angeklagten, wenn sie gutgelaunt zum Mittagessen gehen, erbost, was auch im Dokumentarfilm von Ilona Ziok festgehalten ist. Fritz Bauer, den nicht Rachegedanken leiteten, sondern der die Aufklärung über die Motive und Handlungsweisen der Angeklagten für den besten Schutz hielt, daß niemals wieder ein solcher Unrechtsstaat wie der NS-Staat Deutschland in den Klauen halte, konnten die zum Teil geringen Strafen nicht von der weiteren Verfolgung von NS-Unrecht abhalten: in der Urteilsverkündung im Saal des Bürgerhauses Gallus, der nun seit dem 7. März 2019 Fritz-Bauer-Saal heißt, wurden sechs Angeklagte zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt, zehn erhielten Freiheitsstrafen zwischen dreieinhalb und vierzehn Jahren und ein Angeklagter eine zehnjährige Jugendstrafe. Drei Angeklagten wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Keiner mußte seine volle Strafe absitzen. Dafür sorgten schon die damaligen Seilschaften der Nazis, die in der Justiz besonders massiv vertreten waren, die auch Fritz Bauer das Leben schwer machten und nicht nur zu verbalen Angriffen führten, sondern zu Morddrohungen.

Auch das muß hinzugesagt werden, wenn jetzt, nach so langem Zeitabstand, einem Mann in Frankfurt Stück für Stück – Tafel im Plenarsaal des Römer, Tafel an seinem Wohnort in der Feldbergstraße, Benennung einer Straße nach ihm, Kunstwerk vor dem Gericht zu seiner Ehre, ständige kleine Ausstellung im Haus Gallus mitsamt einer Stele - Wiedergutmachung angetragen wird, der zu Lebenszeiten angefeindet, heute Vordenker ist und als außerordentlich mutiger Jurist gilt.

Das ist zwar richtig, aber doch nur die halbe Wahrheit. Immerhin hatte 1956 der damalige hessische Ministerpräsident August Zinn genau diesen Mann, Fritz Bauer, zuvor Generalstaatsanwalt in Braunschweig, nach Hessen in das höchste Amt im Land berufen. Fritz Bauer wurde in Frankfurt nur innerhalb seines eigenen Hauses, seines Oberlandesgerichts - „Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“, also seinen eigenen Untergebenen ... - , von der damaligen CDU sowie ewigen Nazis angefeindet. Immerhin war er geachteter Sozialdemokrat und seine Sendungen für die Jugend im Hessischen Rundfunk ( „Rotfunk“ nannte ihn die CDU damals) Teil der demokratischen Erziehung der jungen Generation, und wenn ein Ausdruck wie ‚nachgetragene Liebe‘ in Frankfurt richtig ist, dann sollte sich daran stärker als bisher die Frankfurter SPD und die Frankfurter Justiz beteiligen. Denn Sozialdemokrat und Jurist zu sein, sind die zwei Grundpfeiler im Leben von Fritz Bauer. Sie waren es, sie blieben es.

Und deshalb ist auch nicht richtig, was immer wieder kolportiert wird, wenn von seiner ersten Gefangennahme durch die Nazis berichtet wird: er sei als Jude und Sozialdemokrat am 23. März 1933 festgenommen worden. Nein, jüdische Deutsche wurden damals direkt nach der Machtübernahme noch nicht inhaftiert. Sozialdemokraten schon, wenn sie wie Fritz Bauer als jüngster Amtsrichter Deutschlands außerhalb ihres Dienstes gegen die Nazis vorgingen, was er tat. Fritz Bauer ist also ein beispielgebender Sozialdemokrat gewesen und ein beispielgebender Jurist und das ein Leben lang.

In Frankfurt war er damals selbstverständlicher Teil eines aufgeklärten Stadtbürgertums. Wir konnten ihn bei Theaterpremieren genauso erleben wie bei denen der Oper. Er war ein belesener Mann, der die neueste deutsche und internationale Literatur verfolgte und darüber sprach. Er war das, was man einen Citoyen nennt, weniger ein Bourgeois, auf jeden Fall ein animal politicum. Und er war ganz gewiß nicht der Wurzelsepp, zu dem er in manchem der Spielfilme gemacht wurde, wo man sein Pathos, das er hatte, als pathetisch mißdeutet.

Also wieder ein Schritt weiter in Frankfurt in der Beschäftigung mit Fritz Bauer, der schon im Nachkriegsdeutschland so lebte und handelte, wie wir es von uns heute erwarten.

Woraus wir Hoffnung schöpfen? Nein, nicht nur aus der Benennung des Saals und auch nicht nur aus den Worten des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann. Den kennen wir als aufrechten Sozialdemokraten und Demokratieverteidiger schon lange. Aber daß jemand wie Frank Junker als Geschäftsführer der Wohnbaugesellschaft ABG, der das Haus Gallus zugehört, nicht nur dabei ist, sondern in seinem Beitrag eine solche Kenntnis des Lebenswegs von Fritz Bauer kundtat und diese so positiv bewertete, zeigt, daß Fritz Bauer in der letzten Stadt seines Wirkens doch angekommen ist. Übrigens hatte ein Bewohner des Gallus der ABG die Benennung des namenlosen großen Saals mit FRITZ-BAUER-SAAL vorgeschlagen. Das hätte Fritz Bauer gefallen.

Fotos:
OB Feldmann und Frank Junker bei der Umbenennung des grossen Saales im Saalbau Gallus
© Redaktion
Kurt Nelhiebel © Redaktion
Fritz Bauer © telekom.de
Filmcover

Info:
f fritz ilonaUmfassend im Film von Ilona Ziok FRITZ BAUER - TOD AUF RATEN