hr-Magazin „defacto“: Missstände in der Akutpsychiatrie am Uniklinikum Frankfurt
Roswitha Cousin
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nach den Missständen in der Psychiatrie Frankfurt-Höchst berichten mehrere Insider jetzt auch über schlimme Zustände auf der Station der Akutpsychiatrie an der Frankfurter Uniklinik. Dies hat „defacto“, das Politikmagazin des Hessischen Rundfunks recherchiert.
Demnach sind die Krankenzimmer häufig überbelegt. Die Station sei nur für 18 Personen ausgerichtet, werde aber regelmäßig mit bis zu 26 Patienten belegt. Deshalb würden Betten teilweise auf die Flure gestellt. Die ohnehin psychisch labilen Patienten würden auf diese Weise zusätzlich gestresst. Die Mitarbeiter seien chronisch überbelastet, was zu erheblichen Frustrationen führe. „Es ist sehr laut, die Atmosphäre ist ständig angespannt und gewaltbesetzt. Hier werde man nur noch kränker, erzählen Patienten. Sie leiden, und die Mitarbeiter auch“, so einer der Informanten. Auf Nachfrage erklärt das Uniklinikum es handele sich um Patienten mit sehr herausforderndem Verhalten (Impulsivität/Aggressivität). Das gehöre zu den Bedingungen des Arbeitsfeldes. Außerdem gebe es zum jetzigen Zeitpunkt keine Überbelegung. Dennoch müssten seit 2018 deutlich gestiegene Patientenzahlen behandelt werden. Hierfür sei die Klinik noch nicht ausgelegt. Es würden aber in benachbarten Gebäuden, die bislang nicht zur psychiatrischen Klinik gehören, derzeit neue Patienten- und Behandlungsräume geschaffen, die ab Herbst zur Verfügung stehen würden.
Darüber hinaus berichten Insider gegenüber „defacto“, dass oft Personal von Zeitarbeitsfirmen eingesetzt würde, die über keinerlei Fachkenntnisse verfügten. Das sei vor allem dann problematisch, wenn es um die Eins-zu-eins-Betreuung von fixierten Patienten ginge. „Das Fremdpersonal hat von Psychiatrie keine Ahnung. Sie kennen die Patienten und die Abläufe nicht. Sie sind ungeschult, wissen gar nicht, wie sie mit so schwerkranken Patienten umzugehen haben“, so der Informant. Gewalt auf der Akutstation komme regelmäßig vor, und Fixierungen fänden regelmäßig statt, berichten die Insider. Es komme immer wieder vor, dass Mitarbeiter dabei verletzt würden oder dass man wegen der Arbeitsverdichtung unnötig aggressiv reagiere. Das täte vielen Mitarbeitern im Nachhinein auch selbst leid. Das Uniklinikum Frankfurt erklärt, dass Fixierungen nur von ausreichend qualifiziertem Personal betreut und überwacht würden. Fixierungen fänden als letztes Mittel statt, wenn Eigen- oder Fremdgefährdung bei fehlender Krankheitseinsicht nicht anders abgewendet werden könne. Bei sehr kranken Patienten könne es in der Tat zu mehrtägigen Fixierungen kommen, es erfolgten aber immer wieder Defixierungsversuche. Alle Fixierungen seien richterlich genehmigt und fänden nicht aus Zeitmangel statt. Außerdem würden mehr Arbeitskräfte auf der Akutstation eingesetzt als vorgeschrieben. Auf den Vorwurf, Personal von Zeitarbeitsfirmen einzusetzen, reagiert das Klinikum nicht.
Das Personal im Uniklinikum hat laut eigenen Angaben mehrfach Überlastungsanzeigen gestellt. Diese alarmierenden Schreiben seien von der Klinik nicht bearbeitet, sondern lediglich abgeheftet worden. „Die Mitarbeiter schreiben eine Überlastungsanzeige, und die geht an die Personalvertretung und an den Vorstand und dann werden die Anzeigen ad acta gelegt, ohne dass etwas passiert. Mittlerweile sind Mitarbeiter so frustriert, dass weniger Anzeigen geschrieben werden, weil sowieso nichts passiert“, so der Insider. Man nehme die Überlastungsanzeigen sehr ernst, entgegnet dagegen das Uniklinikum.
Außerdem haben Mitarbeiter einen Brief an den Personalrat verfasst, der dem Hessischen Rundfunk vorliegt, wonach sie 15 bis 30 Überstunden pro Monat ab-leisten müssten. „Der Krankenstand ist sehr hoch, die Belastung ist sehr groß. Es wird ständig erwartet, dass man einspringt. Man wird an freien Tagen und Urlaub angerufen. Die Dienstpläne sind eine Katastrophe. Man muss viele Tage am Stück arbeiten“, heißt es in dem Schreiben. Deshalb sei es auch gängige Praxis, dass für die Anamnese der Patienten in der Station nur zwei bis drei Minuten Zeit blieben. Die Uniklinik bestreitet, dass die Anamnese nur zwei bis drei Minuten dauere.
Neben der mangelhaften Patientenbetreuung gebe es erhebliche bauliche Mängel. Das Gebäude sei hoffnungslos veraltet: „Es war schon so, dass die Deckenverkleidung bei laufendem Betrieb heruntergebrochen ist. Es war Glück, dass niemand erschlagen oder verletzt wurde von dieser Deckenverkleidung“, so die Insider. In einigen Räumen bilde sich Schimmel und die Akutstation sei sehr oft unsauber. Aus manchen Wasserhähnen flösse braunes Wasser. Außerdem gebe es keine getrennten Duschen für Männer und Frauen und kaum Rückzugsräume für die Patienten. „"Es gibt drei Toiletten in einem Raum. Ich glaube, in keiner Gaststätte ist das gestattet. Es gibt einen Raum mit einer Badewanne und einer Dusche und einen weiteren Duschraum für alle Patienten. Wenn zwei bis drei Leute sich eine Dusche teilen, ist das schon viel. Aber wenn man sich das mit 26 Leuten teilen muss, ist das schon katastrophal." Die Klinik bestätigt: es gebe insgesamt nur 4 Toiletten in zwei Räumen und vier Dusch- und Bademöglichkeiten. Die Duschen könnten getrennt nach Geschlechtern benutzt werden. Das Gebäude sei fast 100 Jahre alt, erklärt die Uniklinik, und es sei auch technisch in vielen Teilbereichen nicht mehr zeitgemäß. Dennoch bestreitet die Klinik, dass Putz von den Decken bröckelt und es Schimmelbefall gäbe. Die Duschen könnten getrennt nach Geschlechtern benutzt werden. Auch würden bestehende Reinigungsvorgaben übererfüllt.
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Info:
Den ganzen Bericht zeigte das Landesmagazin „defacto“ gestern um 20.30 Uhr nach dem „hessen extra“ zum Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.