wpo Heike 2891Eine Umschülerin zur Altenpflege berichtet

Hanswerner Kruse

Fulda (Weltexpresso) - „Wir haben alle Muskelkater wenn die Schule wieder anfängt, weil wir nicht gewohnt sind, so lange zu sitzen“, begrüßt Heike Link (50) den Besucher im Fuldaer Berufsbildungszentrum „Medi Campus“. Die Schülerin der Altenpflege arbeitete fast dreißig Jahre lang im Schlüchterner Kaufhaus Langer bis zu dessen Schließung vor eineinhalb Jahren. In diesem biografischen Einschnitt erkannte sie jedoch die Chance, etwas völlig Neues zu beginnen.

Als Verkäuferin kam sie sehr gut mit älteren Kunden klar, hatte auch gelegentlich private Kontakte mit ihnen und entschloss sich deshalb, Altenpflegerin zu werden. Zunächst machte sie diverse Praktika, um sicher zu sein, diesen Beruf ergreifen zu können. Dann begann sie mit Unterstützung des Arbeitsamtes ihre Ausbildung. Im Wechsel ist sie seitdem jeweils vier bis fünf Wochen in der Betreuungseinrichtung oder in der Schule, von der sie zwischenzeitlich Praxisaufgaben bekommt.

Link ist immer noch begeistert von der praktischen Arbeit im Heim und dem Unterricht in der Schule. Die Realität hat ihr auch nach einem Jahr noch nicht ihre „Herzensangelegenheit“ - wie sie damals ihren Berufswunsch in unserer Zeitung nannte - vergällt: „Der alte Mensch kann nicht zu uns hochklettern, aber wir zu ihm herunter, das bewegt mich jeden Tag und macht mich glücklich, weil es funktioniert!“

Mit der körperlichen Nähe zu den hilfsbedürftigen Menschen kann sie gut umgehen und sieht darin auch große Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme: „Wenn ich jemanden morgens wasche und anziehe, dann kann ich gleichzeitig viel mit ihm reden.“ So wird die sogenannte Grundpflege zur Möglichkeit für Kommunikation und Entwicklung der Beziehung: „Ich komme ins Zimmer, dann geht’s los.“

Die Biografien der zu Betreuenden findet sie „wahnsinnig interessant“ und ermuntert die Bewohner aus ihrem Leben zu erzählen. Sie kommt aus der gleichen Gegend wie die alten Menschen, weiß also allerlei über Ereignisse und Volksfeste ihrer Heimatregion. Manche Senioren kennt sie noch als Kunden im Kaufhaus.

„Viele sind so dankbar, ihr Leben zu erzählen.“ Ganz offensichtlich fühlen sie sich von der Altenpflegerin wahrgenommen und wertgeschätzt, die wiederum eine Menge guter Gefühle von ihnen zurückbekommt. Sie kann auch gut mit Demenzkranken arbeiten: „Ich finde immer einen Weg, sie in ihrer Welt zu erreichen.“

Link erzählt den Senioren auch viel von ihren eigenen Erlebnissen, „denn ich will das Draußen ins Zimmer tragen.“ Neulich sah sie auf dem Weg zur Arbeit „einen Tippelbruder“, der unter einer Brücke übernachtete und erzählte das ihren Bewohnern, die sich darüber den ganzen Tag lang unterhielten.

In der Schulklasse sind sie ein Dutzend Auszubildende, davon einige zwischen 45 bis 53 Jahren. Link geht gerne mit auf Gewerbemessen oder in Staatliche Schulen, um von ihrer Ausbildung zu erzählen. Sie weiß, das viele junge und ältere Menschen Altenpflege entsetzlich finden und behaupten, so etwas könnten sie nicht. Auch im Kaufhaus wurde sie gefragt, ob sie denn nichts Besseres für eine Umschulung bekommen könnte.

Links neue Arbeit ist stressig und anstrengend, da redet sie nicht drumherum. Immer ist sie im Zwiespalt, weil alles flott gehen muss, während die Senioren so langsam sind und ihren Rhythmus brauchen. „Aber es gibt jeden Tag einen schönen Moment, den schreibe ich mir auf.“ Zum Abschied gibt es doch noch Tränen, als Link erzählt, wie sie neulich im Schrank einer alten Dame viele Kleider aus dem Kaufhaus Langer hängen sah: „Da war ich ziemlich traurig!“

wpo Heike 2869

Zitat:
"Viele Jugendliche können sich die auf sie zukommende Zeit der Arbeit nicht vorstellen, ich ermutigte sie und sagte, man kann sich in jungen Jahren gut ausprobieren und es steht nirgends geschrieben, das man sich festlegen muss. Wenn man sich mal falsch entschieden hat, dann kommt was Neues... Ich bin doch das beste Beispiel, das man auch in meinem Alter nochmal anfangen kann..." (Heike Link)

Info:
Die angehende Altenpflegerin weiß (noch) nicht, wie viel sie eines Tages verdienen wird, denn es gibt keine Tarifverträge. Doch humorvoll meint sie, „ich werde nie wieder arbeitslos.“ Im Moment bekommt sie durch die Umschulung des Arbeitsamtes ungefähr so viel wie seinerzeit beim Kaufhaus Langer. Interessenten für den Beruf empfiehlt sie den Kontakt mit dem zuständigen Arbeitsamt.


Fotos:
(c) Hanswerner Kruse
Heike Link vor einem Werbeplakat für ihre Ausbildung
Heike Link in der Schule im Gespräch mit ihrer Dozentin Dr. Sigrid Schäfer