Bildschirmfoto 2019 07 09 um 01.46.35Deutschlands größter Filmproduzent

Yves Kugelmann

Berlin (Weltexxpresso) - Artur Brauner war wieder Feuer und Flamme für das nächstes Projekt der CCC Filmstudios. Die Sonne scheint ins Wohnzimmer. Der Garten blüht an diesem frühen Frühlingsabend vor wenigen Wochen in Berlin-Grunewald. Längst hat seine Tochter Alice Brauner die Leitung der Filmstudios übernommen und ist heute selbst eine erfolgreiche Filmproduzentin und Unternehmerin. Am vergangenen Donnerstag feierte sie am Münchner Filmfest erfolgreich die Weltpremiere ihres Filmes «Crescendo». Für Arthur Brauner werden ihre auch irgendwie seine Filme und so kämpft er wie auch an diesem Nachmittag für das nächste Projekt. Wiederum ein spannender historischer Stoff.

Er argumentiert mit der Energie, mit der in seinem Leben Hunderte von Filmen produzierte. Mit scharfer Argumentation, Witz, Esprit - doch klarem Ziel vor Augen: die Realisierung des Films um jeden Preis und am Besten zu seinen optimalen Gunsten. Mit wachen Augen präsentiert er die Kalkulation und hat den Film bereits zu Ende gedacht. Da blitzt die Leidenschaft wieder auf, mit der er Visionen oft auch gegen den Markt durchgeboxt hatte. Doch an diesem Nachmittag sind es auch die Schattenseiten seiner jüdischen Biographie, die Brauner die Tränen in die Augen treiben und sich so stark in seinem Werk über den Holocaust widerspiegeln. Seltene Momente in Gesprächen mit Artur Brauner und dann der Abschied, der nun einer auf immer werden sollte. Gestern Sonntag ist der Filmproduzent in seinem Haus in Berlin im alter von 100 Jahren verstorben.

Hollywood in Deutschland

Geboren ist Artur Brauner im polnischen Lodz. Verfolgt von den Nationalsozialisten während der Besatzung Polens, konnte er in die Sowjetunion flüchten und sich verstecken. Ein Grossteil seiner Familie wurde in der Schoah ermordet. Seine Eltern und drei Geschwister überlebten und wanderten nach Israel aus. 1946 gründete er in Berlin seine Produktions-Gesellschaft CCC-Film und legte damit nicht nur den Grundstein für eine beispiellose Karriere, sondern auch für das Filmschaffen in Berlin generell. In Berlin Spandau errichtete er Film-Studios und eine Art Hollywood Deutschlands. Dort entstanden Hunderte von Filmen.

Begonnen aber hat alles mit einem handfesten Skandal. Einer seiner ersten Filme «Morituri» (1965) mit Klaus Kinski erzählt die Geschichte von ausgebrochenen Holocaust-Häftlingen. Doch im Deutschland von 1948 wollte das niemand sehen. Der Film wurde nach der Premiere von den Spielplänen genommen und Jahrzehnte nicht gezeigt. Dabei zeigte Brauner bereits in seinem frühen Schaffen mit einer für damalige Zeiten neuen Bildsprache bezüglich der Darstellung von Tätern, dass er letztlich die wichtigen Stoffe mit filmischer Substanz verhandeln wollte und konnte. Brauner begann nun, erfolgreiche und durchaus hochwertige Unterhaltungsfilme zu produzieren, wie Karl-May-Indianer-, Mabuse-, Edgar-Wallace-Filme oder eine eigenwillige Art von Heimatfilmen. Die Firma boomte, und mit dem Erfolg finanzierte er anspruchsvolle und kommerziell schwierige Stoffe. Darunter 26 Filme, die den Holocaust aufarbeiten. Darunter «Babi Jar, das vergessene Verbrechen», «Zeugin aus der Hölle», «Der letzte Zug» oder «Hitlerjunge Salomon». Der Film erzählt die wahre Geschichte des jüdischen Jungen Sally Perel, der als Mitglied der Hitlerjugend die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland überlebte. Dass der Film 1990 von der deutschen Filmindustrie nicht für eine Oscar-Nomination eingereicht wurde, gilt bis heute als kontrovers.


Unabhängigkeit als Mantra

Brauner hat bis heute weit über 300 Filme produziert. Darunter Perlen wie die Dürrenmatt-Adaption «Es geschah am helllichten Tage» mit Gert Fröbe und Heinz Rühmann in den Hauptrollen unter der Regie von Ladislao Vajda, «Das indische Grabmahl», ein Film, für den er Fritz Lang nach Deutschland zurückholte, oder als Co-Produzent «Die Gärten der Finzi Contini» unter der Regie von Vittorio de Sica, für den der Basler Arthur Cohn mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Während Cohn früh Karriere in den USA machen und sechs Oscars gewinnen sollte, entschied sich Brauner für Europa: «Hier kann ich die Filme machen, die ich möchte», sagte er und formulierte zugleich das Mantra seines Schaffens: Unabhängigkeit. Diese war ihm so viel wert, dass er seine Firmen immer wieder an den Rand der Existenz brachte. Gewonnen hat er dann doch fast alle Filmpreise.

Ende der 1960er-Jahre kamen der politische Umbruch und das Fernsehen. Für die CCC-Studios begannen schwere Zeiten. Das Kino wurde weniger wichtig, seichte Stoffe passten nicht mehr in die Zeit, und andere Städte wie München oder Köln liefen Berlin den Rang als Filmstadt ab. Brauner schloss die Studios in Spandau, die erst vor einigen Jahren von seiner Tochter Alice Brauner wieder erfolgreich eröffnet und vor allem für Produktionen von Streaming-Plattformen wie Netflix genutzt werden.


Gesellschaftspolitisches Engagement

Artur Brauner indessen arbeitete bis ins hohe Alter weiter. Im Interview mit tachles sagte er vor zehn Jahren: «Wenn man eine Aufgabe hat und etwas erreichen will, will man ja weiterleben.» Für ihn sind es vor allem die Holocaust-Stoffe, die er noch bis ins letzte Jahr weiterentwickelte. Sie blieben stets wichtiger als all jene grossen Blockbuster-Filme, mit denen er die deutsche Filmindustrie nach dem Krieg zu neuem Leben erweckte und zum Teil revolutionierte. So standen bei den vielen ausschweifenden Gesprächen in Brauners Haus am Wasser in Berlin weniger Filme, sondern Politik, Entwicklungen in der jüdischen Gemeinschaft, Menschen und Schicksale im Zentrum. Brauner ging es immer um mehr als Filme, die für ihn ein Anliegen waren, um Geschichte und Geschichten zu erzählen, an Menschen und ihr Wirken zu erinnern. In vielen seiner Filme zeigt sich dieses gesellschaftspolitische Engagement, das von den Erfolgsstreifen oft verkennend überlagert wird.

Sein letzter grosser öffentlicher Auftritt begingen Freunde  im September 2018 zur Feier seines 100. Geburtstags im Berliner Kino Zoo Palast. Der Dokumentarfilm «Der Unerschrockene» schilderte nochmals das filmreiche Leben des Filmmagnaten, der zugleich mit seinem Werk die Erinnerungsarbeit verband: «Ich habe mein Leben retten dürfen, damit ich etwas bewirke.» Das war das Elixier seinen Schaffens ebenso wie Berlin das Zentrum seines Lebens und Erfolgs.

Die Berliner und seine Freunde nennen ihn «Atze». Als ob er immer schon Berliner gewesen wäre. Schon im Namen spiegelt sich ein Spannungsbogen, der sich wie eine rote Linie durch Brauners Leben und Schaffen zieht. Der polnische Jude, der zum Sinnbild des Berliner Filmschaffens wurde, zum Filmmogul aufstieg, Stars und Visionen in die zerstörte Stadt holte und wie Phönix aus der Asche eine Art Traumfabrik im Kleinen erschuf. Der Visionär, der im Nachkriegsdeutschland schon früh mit ernsten Stoffen versuchte, den Blick auf die jüngste Geschichte, Unrecht und Aufklärung zu richten. Dann der umstrittene Filmmogul, der mit Härte Projekte durchsetzte, sich mit Industrie und Fiskus oder auch mit Künstlern anlegte. Und schliesslich der Pragmatiker, der nach dem Krieg am Set mit vielen ehemaligen Nationalsozialisten arbeitete, arbeiten musste. Denn alle anderen waren tot oder emigriert. Letztlich steht Brauner für den Pionier, der 70 Jahre lang Deutschlands und Europas Filmschaffen prägte, Emigranten wie Fritz Lang oder Robert Siodmak aus dem amerikanischen Exil nach Europa holte und ebenso wichtig für Künstler aus Osteuropa war.


Die Brückenbauer

Durch alle diese Jahre hatte ihn seine  grosse Liebe, die im Jahr 2017 verstorbene Ehefrau Maria getragen. Eine markante starke Persönlichkeit mit einem grossen sozialen Engagement und einer feinen liberalen Sensibilität, die die Familie Brauner immer wieder in stürmischen Zeiten zusammenhalten sollte. Das Paar galt über Jahrzehnte als begehrte Prominenz der Berliner Gesellschaft und Brückenbauer gerade auch für die jüdische Gemeinschaft Berlins und Israels, für die sich beide offen und stark engagierten. Das zeigte sich auch in den Würdigungen bei der Berliner Feier. Am Schluss waren es dann aber nicht die vielen Stars von Rommy Schneider bis Orson Wales an der Seite von Brauner, die üppigen Filmsets, die Preisverleihungen, die roten Teppiche oder die schillernden bis exzessiven Filmnächte, nicht der brillante Film-Zampano, der smart mit den Unwägbarkeiten der Filmindustrie zurechtkam und auf dem glitschigen Parkett manchen Sturm elegant parierte, die in Erinnerung bleiben, sondern ein Mann, der um Stoffe, Geschichten und damit für Gerechtigkeit in einer vom Krieg zerrissenen Gesellschaft kämpfte und nie den Blick für das Schöne verlor. So zeigt ein 2017 gedrehter Dokumentarfilm am Schluss Artur und Maria Brauner im Auto auf der Fahrt durch ihren Bezirk Grunewald. Es ist ein strahlender Sommertag. Beide schweigen, schauen dankbar aus dem Fenster und kommunizieren mit innigen Blicken. Artur Brauner schaut immer noch mit den staunenden Augen eines kleinen Jungen und sagt: «Was für ein schöner Tag!»

Foto:
Filmproduzent Artur Brauner bei der Gala zu seinem 100. Geburtstag.
© tachles

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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 8. Juli 2019

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