Bildschirmfoto 2019 07 13 um 04.14.36Wer ein Vaterland haben darf und wer nicht

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ich höre ihn noch heute, den Ungarnflüchtling von 1953, der dank seiner qualifizierten Ausbildung als Spitzenchemiker mit Spitzengehalt in seinem Exil Deutschland unterkam, das ihn wie die anderen zudem mit offenen Armen aufnahm, kam er doch aus dem kommunistischen, pfui gack, Ungarn. Ich höre ihn noch heute wie er der 17jährigen Demonstrantin entgegenschleuderte : DANN GEH DOCH NACH DRÜBEN!

Drüben, das war die DDR, wo ich gar nicht hinwollte. Ich hatte damals nur für bessere Bildungsbedingungen in meinem Vaterland, der Bundesrepublik Deutschland, demonstriert, eigentlich für genau solche Menschen, wie es der Flüchtling einst gewesen war: aus armen Verhältnissen, vom Land, bildungsfern. Denn ich selbst war, was Bildung angeht, privilegiert aufgewachsen, was in Frankfurt besonders interessant wurde: neben dem humanistischen Gymnasium mit mindestens zwei aktiven SS-Lehrern mit einem Premierenabo für Schauspiel und Oper. Letzteres hieß Solti, also das Engagement des ebenfalls ungarischen Dirigenten, der die 1953 neugebaute Frankfurter Oper wertneutral klingen ließ, Schauspiel dagegen hieß Harry Buckwitz.

Er war übrigens seit 1951 Generalintendant der späteren Städtischen Bühnen, hatte auch Solti erst nach Frankfurt geholt und verantwortlich dafür, daß diese, für mich herrlich transparente Doppelanlage gebaut wurde, deren goldene Bommeln den Blick in den güldenen, den besseren Himmel möglich machen. Übrigens wurden diese Goldwolken des – schon wieder! - ungarischen Künstlers Zoltán Kemény gegen den erbitterten Widerstand der Frankfurter CDU bewilligt, sie hatten 50 000 DM gekostet. Das war die Illusion einer güldenen Welt den damals nationalkonservativen Christdemokraten nicht wert.

Hier ist von Buckwitz die Rede, weil damals in Westdeutschland niemandem so per Zeitungsanmache entgegengeschleudert wurde wie ihm: DANN GEH DOCH NACH DRÜBEN!

Grund: Er hatte als erster im Westen Bertolt Brecht auf die Bühne gebracht, der doch in den Zwanziger Jahren der große Star der Weimarer Republik gewesen war, sich rechtzeitig nach Dänemark, nach dessen Besetzung durch die Nazis in die USA flüchten konnte und dort als ‚feindlicher Ausländer‘ registriert, so schnell er konnte 1947 in die Schweiz gegangen war und von dort nach Ostberlin, wo er angesichts der Theaterangebote blieb. Allerdings durfte er nicht über westdeutsches Gebiet fahren. Denn er hatte ein von den Amerikanern erwirktes Aufenthaltsverbot für die Bundesrepublik Deutschland. Also auch ein geborener Westdeutscher, der nicht ins sein Vaterland durfte: GEH DOCH NACH DRÜBEN!, was er tat.

Harry Buckwitz traute sich was. Mitten in die, in der Erinnerung extrem antikommunistischen Jahre, brachte er in Frankfurt also Brecht auf die Bühne, an ‚Der kaukasische Kreidekreis‘ und ‚Mutter Courage‘ erinnere ich mich noch heute, aber auch an all die anderen Weltdramatiker, die unter den Nazis verboten, nun auf die Bühne kamen, die aber die versammelte Theaterkritik auch nicht recht mochte, die Jugend aber schon. Nie wieder war das Frankfurter Theater so qualitätvoll, so gesellschaftskritisch und so voll besetzt wie damals. Einer wie Harry Buckwitz wurde in die doppelte Mangel genommen, die westdeutschen Theaterkritiker blieben erst fern, als sie aber merkten, Wegducken und Wegschauen nutzt nichts, in Frankfurt kommen die Stücke von Brecht weiterhin auf die Bühne, kamen sie nach und nach und schrieben extrem schlechte Kritiken. Doch es half nichts. Buckwitz hatte Brecht für die Bundesrepublik durchgesetzt! Nach und nach spielten auch andere Bühnen diesen Publikumsliebling nach, der zudem die deutsche Sprache durch viele Redewendungen bereichert hat. Mir ist diese mit am liebsten: „Unsichtbar macht sich die Dummheit, indem sie sehr große Ausmaße annimmt!.“

Warum ich das schreibe? Weil damals der deutschen Öffentlichkeit DANN GEH DOCH NACH DRÜBEN! ein ganz geläufiger Spruch war, der höchstens mit Häme in reaktionären, leider auch konservativen Kreise goutiert und auch selbst angewendet wurde. Auch in Familien, wo die großwerdenden Söhne und Töchter opponierten und von den eigenen Eltern hörten: GEH DOCH NACH DRÜBEN!, was dann mit den Studentenunruhen von 1968 und danach diesen allenthalben empfohlen wurde.

Mir geht es schlicht darum, daß dieser Spruch, sich woanders eine Heimat zu suchen, politisch Andersdenkenden mit vollem Einverständnis der Mehrheit der Bundesrepublik entgegengeschleudert wurde. Heute wird eine Aussage des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, wer ...nicht einverstanden sei, sollte sich doch eine neue Heimat suchen, wo seine Vorstellungen angewendet werden, von nicht wenigen als Begründung für seine Ermordung angesehen werden. Ich kann es schon nicht mehr hören, wie in jeder Sendung und in jedem Zeitungsartikel, die den Mordverdächtigen zum Thema haben, der Satz des Ermordeten wiederholt wird, wie ein Mantra, so als ob damit eine Begründung wiedergegeben werde, so etwas wie eine Legitimation oder doch wenigstens Verständnis für diesen abscheulichen politischen Mord.

Abgesehen von den wahren Volksfeinden, das sind die, die immer alleine definieren, was Volk ist, nämlich nur sie selber, von denen man schon gar nichts anderes erwartet, als den braunen Sumpf wiederholen zu wollen, hier ein echtes pfui gack!, ist das Schlimme, daß die versammelte Presse das alles herbeigeschrieben hat., jeden Tag herbeischreibt.

Noch einmal: Es gab keinen Bericht über den Mord an Lübcke, ohne das sein Zitat von 2015 erwähnt worden wäre, keine Fernsehnachrichtensendung, ohne daß der Satz erneut fiel. Und so geht es immer weiter. Mir kommt es immer so vor, als sollte, psychologisch sozusagen, damit die Täter entlastet werden. Denn das geht ja nun nicht, daß man Andersdenkenden das Exil in genehmere Gefilde empfiehlt.

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Wenn dies Linken empfohlen wurde: DANN GEH DOCH NACH DRÜBEN!, dann war das ein mehrheitsgesellschaftlich akzeptabler Spruch, aber wenn dies Rechten, übelreaktionären Rechten empfohlen wird, die noch immer die hitlersche Rassenreinheit – ausgerechnet der ‚rassenverseuchte‘ Hitler – auf deutschen Erden anstreben, dann kommt ein Kopfschütteln bei der Mehrheit: „Das geht doch nicht!“ und ein Mord von einem, der sich als Volksvollstrecker fühlt.

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