Die perspektivlose Verkehrspolitik der Bundesregierung
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Katalog der geplanten Ge- und Verbote ist umfangreich. Er reicht vom Benutzen der Busspur für Fahrgemeinschaften bis zu höheren Bußgeldern für verbotswidriges Parken auf Geh- und Radwegen sowie in der zweiten Reihe.
Doch die Reformvorschläge aus dem CSU-geführten Bundesverkehrsministerium sind widersprüchlich und scheinheilig. Denn im Kern zielen sie darauf ab, neben der jahrzehntelang geduldeten, vielfach sogar öffentlich geförderten Parallelgesellschaft der Autofahrer weitere Gruppen zu installieren und zu legalisieren, die in den Genuss von Sonderbehandlungen kommen sollen. Beispielsweise jene der Radfahrer, von denen eine ins Gewicht fallende Anzahl durch Rücksichtslosigkeit gegenüber Fußgängern und konsequente Nichtbeachtung von Verkehrsregeln auffällt. Oder der neuen Spaßgesellschaft, die sich auf E-Rollern bewegt und den Sinn jeder Verkehrsplanung auf den Kopf stellt.
Die der Natur des Menschen entsprechende und klimaschonende Fortbewegung auf den eigenen Füßen wird hingegen kaum zur Kenntnis genommen. Fußgänger werden weder im notwendigen Umfang praktisch geschützt noch in anderer Weise gefördert. Der öffentliche Busnahverkehr soll sich sogar die Benutzung der extra für diesen geschaffenen Fahrspuren mit Fahrgemeinschaften teilen, auch solchen, die in ökologisch unsinnigen SUVs unterwegs sind. Die angekündigte deutliche Erhöhung des Bußgeldes für verkehrswidriges Parken auf Gehsteigen und Radwegen oder in der zweiten Reihe ist zwar grundsätzlich zu begrüßen. Sie wird sich jedoch rasch als viel Lärm um nichts erweisen. Denn die notwendigen Kontrollen werden nicht durchgeführt, können mangels Personals und Technik nicht erfolgen. Dafür werden die Lobbys von Autoindustrie und Paketdiensten sorgen, die bekanntlich indirekt den Bundesverkehrsminister berufen.
Die sehr unterschiedlichen Potentiale (hinsichtlich Umweltverträglichkeit sowie Eigen- und Fremdgefährdung) von Fußgängern, Rädern, E-Rollern, PKWs, Bussen und Straßenbahnen könnten lediglich an Knotenpunkten zum Umsteigen sinnvoll zusammengeführt werden. Eine durchgängig parallele Nutzung von lediglich farbig voneinander getrennten Straßenbereichen beinhaltet ein stetig wachsendes Unfallrisiko, von den gesundheitsschädlichen Emissionen ganz abgesehen. Die volkwirtschaftlichen Kosten von Straßenverkehrsunfällen bewegen sich seit 2005 auf hohem Niveau (im Durchschnitt bei 32 Milliarden Euro jährlich). Wobei Personenschäden auffallend niedriger bewertet werden (13,19 Milliarden Euro in 2017) als Sachschäden (21,4 Milliarden Euro im selben Jahr). Mit anderen Worten: Ein Menschenleben ist wenig wert, nur etwa 1,3 Millionen Euro. Entsprechend wertlos ist dieses neueste „Konzept“ aus dem Haus von Minister Scheuer.
Um die Menschen zu schützen (auch vor sich selbst), bedarf es getrennter Geh- bzw. Fahrwege, die nicht beliebig gewechselt werden könnten. Die dafür notwendigen Flächen, die vor allem in den Städten nicht verfügbar sind, müssten zwangsläufig nach einer Prioritätenliste vergeben werden. Und zwar in dieser Reihenfolge: Fußgänger (einschließlich Rollstuhlfahrer etc.), ÖPNV, Fahrräder, PKW, E-Roller. Reicht das Volumen der Straßen nicht aus, müssten PKWs ausgesperrt werden. Die neuen E-Roller können grundsätzlich nur nachrangig bedacht werden, weil sie lediglich einen Vergnügungsfaktor darstellen, für den im öffentlichen Verkehr objektiv kein Platz vorhanden ist. Das von Minister Scheuer propagierte Vehikel „für die letzte Meile“ erweist sich real als der letzte Schritt auf dem Weg in eine Gesellschaft, der es an Verantwortungsbereitschaft mangelt.
Eine Verkehrspolitik, die sich als gestaltende Strukturpolitik versteht, wird ohne Verwegenheit gegenüber Althergebrachtem nicht durchsetzbar sein. Alles andere liefe auf einen mehrstufigen kollektiven Suizid hinaus.
Foto:
E-Roller, die auf dem Gehsteig abgestellt sind
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