Bildschirmfoto 2019 08 19 um 08.24.36Bezalel Smotrich geizt nicht mit Rundumschlägen gegen Netanyahu, Ayelet Shaked steht ihm in nichts nach, auf den israelischen Regierungschef kommt ein politischer Tornado zu

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Egal, ob man Binyamin Netanyahu mag oder nicht, der derzeitige israelische Regierungschef ist in diesen Tagen kaum zu beneiden. Da kann ein rechtsextremistischer Neuling auf der israelischen Politbühne auftauchen und es sich ungestraft leisten, gegen seinen Premierminister und De-facto-Arbeitgeber mit gröbstem verbalem Geschütz aufzufahren – ohne dass ihm auch nur das Geringste widerfahren würde.

Bei der momentanen, von Hektik und persönlichen Animositäten geprägten Atmosphäre der Vorwahl in der israelischen Parteienlandschaft zu denken, zu fürchten oder gar zu hoffen, dass der politische Novize vor die Tür gesetzt würde, wäre ziemlich realitätsfern.

Die Rede ist von Bezalel Smotrich. Der heutige israelische Transportminister ist ein ausgesprochen aufmüpfiger Politiker im rechtsnationalen Parteienmosaik. Auf den Posten des Justizministers hat er zwar vermutlich trotz seiner sonst eher größenwahnsinnigen Ideen zu aspirieren aufgehört. Doch vermutlich nur wenige haben damit gerechnet, dass der Premierminister wenige Wochen vor den Knessetwahlen einen Mann wie Smotrich vielleicht sogar fristlos entlassen würde, wenn sich dieser ihm, seinem Chef, gegenüber allzu kritisch verhalten würde.


Mehr als ein Sturm im Wasserglas

Genau diese Möglichkeit begann sich aber Anfang Woche abzuzeichnen. Als Reaktion auf das Urteil des Bezirksgerichts von Nazareth, das die Durchführung eines nach Geschlechtern getrennten Anlasses in Afula einer Forderung von Ultraorthodoxen folgend verbot, sprach der strikt religiöse Smotrich von einem «idiotischen» Rechtswesen. In einer wenig überzeugenden Entschuldigung, die er auf Geheiss Netanyahus von sich gab, änderte er bis auf Weiteres nichts, im Gegenteil: An einem Kampagnenanlass bei Tel Aviv kritisierte Smotrich das Gericht von Nazareth erneut und sagte, dessen Urteil in Sachen Afula sei eine «Schande für das Judentum» und für jeden, der an jüdische Werte glaube. Das Gericht würde die Umerziehung «hunderttausender Bürger» erzwingen wollen. An diesem Wortlaut änderte der Transportminister auch im Rahmen seiner Entschuldigung kein Jota. Smotrich sprach an einem Anlass, an dem die von Ayelet Shaked geleitete Vereinigte Rechtsallianz sicher nicht zufällig in «Yamina» («Nach rechts») umbenannt worden ist. Wem die Absichten nicht klar gewesen sein sollten, dem nahm Ayelet Shaked die letzten Zweifel: «Rechts ist, was das Publikum will, doch nicht bei jeder Wahl erreicht. Wir beabsichtigen, das Schiff in diese Richtung zu steuern!» Am israelischen Radio sparte Shaked nicht mit Vorwürfen gegen Regierungschef Netan­yahu, der jahrelang versucht habe, mit linken israelischen Politikern wie der ehemaligen Aussenministerin Tzipi Livni oder Ex-Arbeitspartei-Chef Avi Gabbay gemeinsame Sache zu machen. Kulturministerin Miri Regev (Likud) hielt ihrem Chef, wie erwartet, bedingungslos die Stange und unterstrich, dass nur er in der Lage sei, die Rechte zu führen. Smotrich schlug Regev vor, sich zu schämen und sich zu entschuldigen.


Netanyahu verzichtet auf Angriffsfläche

Damit aber nicht genug. Der Wille des Transportministers, das Verhältnis mit Netanyahu wieder ins Lot zu bringen, muss angezweifelt werden. Smotrich gab Netanyahu die Note «schwach» und behauptete, der Regierungschef habe «null Führungskraft» bewiesen. Diese Äusserungen sorgten zunächst für einen politischen Sturm in Jerusalem, und das Gerücht verdichtete sich, Netanyahu wolle den Transportminister feuern. Netanyahu und seine Berater debattierten, wie es hiess, den ganzen Montag über eine Entlassung des ebenso wortgewaltigen wie politisch unerfahrenen Smotrich aus dem Kabinett. Anschlies­send folgte ein Gespräch von Smotrich und Netanyahu unter vier Augen. Die Unterhaltung dauerte über eine Stunde, doch zum Schluss blieb alles beim Alten: Smotrich, der beim Verlassen von Netanyahus Büro keine Fragen der Medien beantwortete, wurde nicht entlassen, er kann auch alle seine Funktionen beibehalten. Netanyahu war offenbar nicht viel daran gelegen, seinen Gegnern so kurz vor den Wahlen noch derart viel Angriffsfläche zu liefern.


Fehlende Führungsqualität?

Noch am Montagabend nahm Minister Smotrich öffentlich Stellung zu dem «heissen» Thema. In blumigen Worten entschuldigte sich der Transportminister für den Stil seiner Angriffe gegen Netanyahu. Wer genau hinhörte, der vermisste in Smotrichs Redeflut aber eine inhaltliche Entschuldigung. Offiziell­ erfüllte Smotrich Netanyahus Forderung nach einer Entschuldigung. De facto aber weiss der Minister, der am liebsten in einem messianischen Staat leben und wirken würde, dass er seit Montagabend einen Freipass für Attacken jeder Sorte und Stärke gegen Netanyahu hat. Er müsste es allerdings geschickter und raffinierter anstellen als am letzten Montag. Für die Zeit nach den Wahlen vom 17. September jedenfalls verheisst die erste Runde in der Kontroverse der beiden wenig Gutes für den heutigen Premierminister. Ausserdem: Die Rechts-Chefin Ayelet Shaked machte in der Angelegenheit Smotrich den Beginn ihrer längst fälligen und kaum noch zu erwarteten persönlichen Abrechnung mit Herrn und Frau Netanyahu, als sie dem Regierungschef die Qualität seiner Amtsführung vorwarf.

Wer sich also fragt, was Leute wie Smotrich in ihrem Kampf gegen Netanyahu und dessen «aufgeklärtes» Rechts-Establishment vorhaben, der sollte sich folgende Worte aus der «Entschuldigung» Smotrichs merken: «Wenn wir ihn (Netanyahu) kritisieren müssen, werden wir ihn kritisieren. Da wird keiner, aber wirklich keiner mit irgendeiner Drohung diese Kritik zum Schweigen bringen können.» Braucht es noch klarere Worte? Nicht einmal Ayelet Shaked oder Miri Regev dürfen sich als unantastbar und über dem Gesetz der Rechten stehend vorkommen. Sogar nach einem allfälligen Sieg am 17. September wäre Ne­tanyahu nicht komplett aus dem Schneider. Dazu braucht es schon etwas, das heute noch als undenkbar, wenn nicht gar ungehörig gilt: eine Koalition Netanyahus mit Benny Gantz von Blauweiss gegen den rechtsextrem-ideologischen Wildwuchs, wie ihn Leute wie Shaked, Smotrich oder Regev repräsentieren.


Foto:

Der rechtsnationale israelische Transportminister Bezalel Smotrich erlaubt sich als politischer Neuling ein Selbstbewusstsein, mit dem er Netanyahu einschüchtern will
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 15. August 2019