p populistenÜber das Unbehagen an der Demokratie und die Sehnsucht nach dem starken Mann

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Kaum ein anderes Wort wird im politischen Sprachgebrauch so gedankenlos verwendet wie das Wort Populismus. Es erspart die Auseinandersetzung in der Sache. Seit Sahra Wagenknecht, eines der größten politischen Talente der Nachwendezeit, zur öffentlichen Person geworden ist, versuchen Freund und Feind, sie damit mundtot zu machen. Dabei beansprucht sie ihre Stimmbänder nicht über Gebühr und kommt ohne theatralische Gesten aus. Es ist die intellektuelle Schärfe ihrer Argumentation, von der sich ihre Widersacher provoziert fühlen. Weil sie die Mühe der sachlichen Auseinandersetzung scheuen, wird ihr Populismus, ja sogar Rassismus unterstellt.

Danach müsste auch Jesus von Nazareth ein Populist gewesen sein. Auch er scheute nicht das offene Wort. Seinen Gegnern hielt er vor, aus dem Tempel in Jerusalem eine „Räuberhöhle“ gemacht zu haben. Als Konsequenz vertrieb er Händler und Käufer aus dem Gotteshaus. War nicht auch Martin Luther ein Populist von hohen Graden? Er bezichtigte die allmächtige römisch-katholische Kirche, die Furcht der Gläubigen vor dem Fegefeuer schamlos auszunutzen und ihnen mit dem Ablasshandel Geld abzupressen, von seinen antijüdischen Tiraden ganz zu schweigen.

Jesus und Martin Luther sahen sich im Dienste der Wahrheit. Sie gehörten nicht zur Kategorie der „terrible simplificateurs“, vor denen Jacob Burckhardt gewarnt hat. Einer der Schrecklichsten dieser schrecklichen Vereinfacher war Adolf Hitler. Er schürte sämtliche Ressentiments seiner Zeit, angefangen von der Angst der deutschen Spießbürger, die Sozialisten würden ihnen ihr Häuschen wegnehmen, bis hin zu der menschenfeindlichen Parole: „Die Juden sind unser Unglück“. Gegenüber den Arbeitern gab er sich als Kämpfer gegen die Allmacht des Großkapitals aus und ließ sich gleichzeitig von ihm finanzieren.

Ist jemand schon ein Populist, wenn er den Menschen zu erklären versucht, was es mit der Globalisierung auf sich hat? Akademische Klugscheißerei hilft den Menschen in der Regel nicht weiter. Aber wie sollen sie an demokratischen Entscheidungen teilnehmen, wenn ihnen das Wissen um bestimmte Zusammenhänge fehlt? Vorsicht und Umsicht sind freilich geboten. Vom Vereinfachen zum Versimpeln ist es nicht weit und von dort zur Lüge ist es dann nur noch einen Katzensprung. Das sollten nicht nur die Politiker bedenken, sondern unter anderen auch die großen Nachrichtenagenturen. Von ihrer Sorgfalt hängt es ab, ob sich die Menschen ein zutreffendes Bild von der Welt machen und wie sie sich politisch orientieren. Seit jeder Dummbacks in den so genannten sozialen Medien Dampf ablassen kann, gilt das umso mehr.

Es heißt zwar, dass Lügen kurze Beine haben, aber selbst das stimmt nicht mehr. Sonst hätten Donald Trump und Boris Johnson nicht so weit kommen können, wie sie tatsächlich gekommen sind. Verglichen mit deren Populismus sind Alexander Gauland, Victor Orban, Marine Le Pen und wie sie alle heißen, die da in Europa zunehmend den Ton bestimmen, Laiendarsteller. Schon Franz Josef Strauß war ihnen weit voraus. Er geißelte den Atomwaffensperrvertrag im Stil der Nazipropaganda als „Versailles von kosmischen Ausmaßen“ und zog die nationale Zuverlässigkeit Willy Brandts in Zweifel, weil dieser nicht wie Strauß unter Hitler an der Front gekämpft, sondern die NS-Zeit im norwegischen Exil verbracht hat.

Ausgerechnet diesen Franz Josef Strauß hat Altbundespräsident Joachim Gauck der verunsicherten CDU unlängst als Vorbild empfohlen, und die politische Klasse in Deutschland mit ihrem notorisch kurzen Gedächtnis hat es hingenommen, so wie sie es hingenommen hat, dass Gauck Auschwitz und den fabrikmäßigen Massenmord an den Juden in einem Atemzug mit dem amerikanischen Atombombenabwurf auf Hiroshima genannt hat. So geschehen in einem Vortrag zum Thema „Welche Erinnerungen braucht Europa?“ am 26.März 2006 in Stuttgart. Die politische Klasse hat es auch ohne Widerspruch hingenommen, dass Friedrich Merz, ehemals stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag und jetzt heimlicher Hoffnungsträger des rechten Flügels der CDU, von sich sagte, er und seine Generation wollten nicht länger für Auschwitz und die Naziverbrechen in Haftung genommen werden.

Wie weit entfernt ist Merz mit diesem Schlussstrichdenken eigentlich vom Fraktionsvorsitzenden der AfD im thüringischen Landtag, Björn Höcke, und dessen Forderung nach einem Ende der „dämlichen Bewältigungspolitik“?  Was trennt den Altbundespräsidenten Gauck, der zwischen Auschwitz und Hiroshima nicht zu unterscheiden vermag, von Alexander Gauland, für den „Hitler und die Nazizeit (nur) ein Vogelschiss  in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ war?

Um Missverständnissen vorzubeugen: Damit soll der AfD nicht nachgesehen werden, dass sie in der Flüchtlingsfrage und in der Auseinandersetzung mit Andersdenkenden gezielt Ressentiments bedient und dabei auf das Vokabular aus der Mottenkiste deutsch-völkischer Propaganda zurückgreift. Dass sie damit Erfolg hat, ist das eigentlich Besorgniserregende. Das „Wehret den Anfängen!“ der Altvorderen wird nur noch belächelt, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Missbehagen an den Beschwernissen der Demokratie in die Sehnsucht nach dem starken Mann umschlägt, der – wie gehabt - alles auf seine Weise regelt. 


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