csm Kirsten Kappert Gonther grune fraktion bremen1Bildschirmfoto 2019 09 09 um 21.22.55Machtkampf bei den Grünen um den Fraktionsvorsitz im Bundestag

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Ein neuer Stern ist aufgegangen am politischen Himmel über Berlin. Zum Leuchten gebracht hat ihn der Grünen-Poliker Cem Özdemir (rechts).  Zusammen mit der Abgeordneten Kirsten Kappert-Gonther links) (aus Bremen kandidiert er am 24. September bei der Neuwahl der Fraktionsspitze der Grünen im Bundestag gegen Anton Hofreiter und Katrin Göring Eckardt, die die Herausforderung bereits angenommen haben.

Die Nachricht scheuchte am Wochenende Journalisten und Politiker auf und hatte eine Flut von Kommentaren zur Folge. „Es tut der Fraktion gut, dass jetzt Schluss mit gemütlich ist“, schrieb zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung. „Göring-Eckardt und Hofreiter haben zuletzt nicht eben geglänzt mit neuen Ideen. Vieles ist arg erwartbar geworden. Erfahrung, Verlässlichkeit? Alles schön und gut. Aber ein Feuer unter dem Hintern kann da nicht schaden.“

Kirsten Kappert-Gonther, die dem linken Flügel der Grünen zugerechnet wird, gehört dem Bundestag erst seit zwei Jahren an. Davor war sie sechs Jahre Abgeordnete in der Bremischen Bürgerschaft, zuletzt als stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Bis zum Wechsel in den Bundestag führte sie immer noch ihre Praxis als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in der Hansestadt. Erste politische Erfahrungen sammelte sie in der Friedens- und Antiatomkraft-Bewegung sowie im Kampf  gegen die Bedrohung des Weltfriedens durch den wachsenden  Einfluss des Militärisch-Industriellen Komplexes auf politische Entscheidungen.

Als sich Kappert-Gonther als Nachfolgerin der zum rechten Flügel der Grünen gehörenden Luise Beck-Oberdorf um ein Bundestagsmandat bewarb, skizzierte sie ihre Haltung so: „Ich trete dafür ein, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Ich möchte mehr Klimaschutz, mehr Armutsbekämpfung und eine bessere Situation für Kinder, zum Beispiel durch die Einführung einer Kindergrundsicherung. Ich setze mich für einen Politikwechsel im Bund ein, für mehr soziale und ökologische Gerechtigkeit. Wir brauchen eine Wende in der Agrarpolitik. Wir müssen aus der Massentierhaltung aussteigen – das schützt die Umwelt, die Tiere und die Gesundheit.“

Cem Özdemir wurde 1994 als erster Abgeordneter türkischer Herkunft in den Bundestag gewählt und saß dann fünf Jahre für die Grünen im EU-Parlament. Seit 2013 gehört er wieder dem Bundestag an und leitet dort den Verkehrsausschuss. Er gehört dem Realoflügel seiner Partei an. Wie er darauf kam, sich mit der Ärztin aus Bremen zusammenzutun und gemeinsam mit ihr die gegenwärtige Fraktionsspitze herauszufordern, darüber hat er sich explizit noch nicht geäußert. Möglicherweise ist ihm aufgefallen, dass die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion eine eloquente Debattenrednerin ist, die sich mit sanfter Stimme durch Kompetenz und persönliche Ausstrahlung Gehör zu verschaffen versteht.

Das verhalf ihr bereits in Bremen über Parteigrenzen hinweg zu beachtlichem Ansehen, zumal da sie  vorlebt, was sie als Grüne von anderen erwartet. Zu innerstädtischen Terminen fährt sie der Umwelt zuliebe mit dem Fahrrad, und für Urlaubsreisen benutzt sie niemals ein Flugzeug. Auch sonst stimmen Wort und Tat bei ihr überein, so auch beim Kampf gegen das Vergessen. Als einzige Parteienvertreterin nahm sie sich die Zeit, an der Benennung einer Straße auf den Namen der Bremerin Martha Heuer teilzunehmen, die während der NS-Zeit Juden versteckt hat und in Israel als Gerechte unter den Völkern geehrt worden ist.

In einem gemeinsamen Brief an die Mitglieder der Grünenfraktion im Bundestag begründete Kirsten Kappert-Gonther und Cem Özdemir ihre Kandidatur für den Fraktionsvorsitz. „Wir sind überzeugt davon, dass ein fairer Wettbewerb der Fraktion gut tut“, schreiben sie. Bis zur nächsten Bundestagswahl gehe es darum, „mit neuem Schwung der Gegenpol einer schwachen Regierung zu sein und  mit Mut und Empathie auszubuchstabieren, was konstruktive und progressive Politik“ bedeute. Die Fraktion sei am schlagkräftigsten, wenn jeder und jede eine aktive Rolle übernehme und die eigenen Stärken auch ausspielen könne. „Unsere unterschiedlichen Herkunftsgeschichten, unsere unterschiedlichen Erfahrungen aus einem Rot-Grün-Rot regierten Stadtstaat und einem Grün-Schwarz regierten Flächenstaat bringen wir gemeinsam ein.“

Wie die Chancen der Herausforderer von Göring-Eckardt und Hofreiter stehen, als neues Führungsduo gewählt zu werden, ist offen. Eines haben sie jedoch bereits klargestellt: Obwohl sie bei erfolgreichem Abschneiden nach der nächsten Bundestagswahl Anspruch auf ein Ministeramt hätten, wollen sie Robert Habeck und Annalena Baerbock nicht in die Quere kommen. In ihrem Bewerbungsschreiben betonen sie: „Wir streben keine Spitzenkandidatur im nächsten Bundestagswahlkampf an.“ Gleichwohl  wird es spannend bei den Grünen.

Fotos:
Kirsten Kappert-Gonther
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Cem Özdemir
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