Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nationalisten und Rechte sind keine irrlichternden Vaganten, sie sind der Ausdruck einer psychosozialen Bedingtheit. Sie erklären sich weniger aus prekären wirtschaftlichen Lagen im Kapitalismus, diese kommen aber verstärkend hinzu.
Die Rechts-Politkreise laborieren an Entwicklungsdefiziten, die einzelnen schaffen es nicht, nachhaltige zivilgesellschaftliche Lebensmodelle zu konstituieren, sind zur Erarbeitung von tragfähigen Potentialen eines Lebens nicht imstande. Andern aber wollen sie vorschreiben. Die politisch Rechten, Nationalisten und Dschihadisten – die auch nur weltlich Rechte sind - sind nicht mal fähig eine Musik hervorzubringen oder eine Kultur zu gebären, die höheren Ansprüchen genügt. Rechtsrock wird aus der untersten Bauchregion ausgekotzt. Es steht die These: Rechte, Nationalisten und angebliche Gotteskrieger sind nicht gesellschaftsfähig, nicht sozialisierungsfähig und nicht berufsfähig. Die Verherrlichung von Militär und Waffen - in Hitlerzeit-Devotionalien von Kasernen und aus der Zeit gefallenen Reichsbürgerspielen sich zeigend - markieren eine Abkehr vom Humanitätsideal. Die Orientierung an Goethe und Humboldt ist ihnen nicht mal mehr einen Gedanken wert, wenn sie es denn könnten. Im Waffennarren offenbart sich eine Paranoia, die sich aus der nicht gegründeten Existenz erklärt.
Ein Leben lang aus der Adoleszenz nicht herauskommen
Dies findet auch im Leistungssport grotesken Ausdruck. Chlodwig Poth hat ihn mal Prestigegehampel tituliert (‚Mein progressiver Alltag‘). Relativ neu ist das Phänomen der Spätadoleszenz im Rechts-, National- und Gotteskriegerkult. Diese kann bis in die späten Jahre reichen. Der IS ist eine Bande rechtsgerichteter, tobsuchtsverfallener Spätadoleszenten, die sich eines Profils nur im Morden und Massakrieren ihrer Mitmenschen versichern können. Sie sind die Faschisten einer Gottesvorstellung aus Betrug und Anmaßung. Genaugenommen sind sie Götzendiener. Gott reklamieren sie als grausames Über-Ego und Imago. Sie fallen so ganz unter Freunds Lehrgebäude. Erich Fromm definiert den Faschisten wie folgt: er sei von der Unterwerfung unter die Mächtigen und den Hass auf die Schwachen und Machtlosen besetzt. Hitler habe die Weimarer Republik gehasst, weil sie schwach war, die Großindustriellen aber bewundert, weil sie über Macht verfügten.
Unter der oberflächlich geordneten Gesellschaft jedweder Art brodelt etwas Dumpfes, in allen Gesellschaften. Auch in den am meisten entwickelten. Die Brexit-Rumpelstilzchen, mit ihren angelsächsischen US-Finanziers im Rücken, sind angetreten, die liberale und aufgeschlossene Gesellschaft zu zerstören. Diese bereitet ihnen keinen orgiastischen Abgang, also soll sie weg. Das entspricht der polymorph-perversen Sexualität des Kleinkindes. Die Torys mischen dabei mit. Sie sind weit heruntergekommen.
Freud und Marx – die Erklärer des Elends
Das Skandalon der modernen Industriegesellschaft liegt für Marx in dem Umstand, dass der Mensch im privat angeeigneten Produktionsprozess – und blind gewachsenen Rechtsverhältnis -, einem anderen gehört; einer Instanz untersteht, die in sozialer Willkür über gesellschaftliche Produktivkräfte befindet. So groß der Kapitalist, so klein der Mensch. Das bedeutet die Enteignung von Freiheit und Lebenszeit für die Mehrheit. Die LohnarbeiterInnenklasse wird zum Opfer eines ungerechten Systemverhältnisses. Das schafft eine Kränkung, die auf Abfuhr sinnen lässt, wenn keinerlei Kompensationen mehr ein Los zu tragen imstande sind. Das industrielle Realitätsprinzip fordert, dass die Triebnatur bedarfsweise zugerichtet wird. Das wiederum fordert die Reaktion der zugerichteten Natur heraus. Sie sinnt auf Aufhebung des Kulturzustands - der ihr das Leid angetan hat.
Marx und Freud sind Brüder im Widerstand gegen die Verdinglichung der Verhältnisse und das Leiden am Weltzustand. Manchen reicht Kompensieren nicht, sie möchten sich nicht abspeisen lassen. Je nach Lage, Entwicklung und Konstitution einer Person können die Reaktionen auf den Weltzustand auseinander weisen. Der Erste Weltkrieg war ein brutaler Frust-Ableiter, der der grenzenlosen Grausamkeit Tür und Tor öffnete. Hierzu hat der Adel und das Militär Feindbilder mobilisiert, Menschen ließen sich aufeinanderhetzen. Die Kirchen gaben ihren Segen. Zum Preisschießen nach Paris, lautete ein Motto. Das Böse – das waren die Anderen, während die Eigenen stets als die Holden gesehen wurden. Aufgrund der Ehre, Würde und psychologischen Verfasstheit einer Person können aus den Verhältnissen diametral unterschiedliche Konsequenzen gezogen werden. Sie können menschenfreundlich oder menschenfeindlich ausfallen. Das modern Unmenschliche ist an die Mobilisierung der zur psychotischen Masse degradierten Menschheit geknüpft, den in Einsamkeit Vereinzelten. Ziehväter des Massenmords wurden narzisstische Persönlichkeiten, städtisch unbehauste Streuner. Sie machten es sich zum Geschäft, mit den absurdesten Fake-News zu operieren.
Der Mensch ist mehr Findling als Notwendigkeit im Reich der Natur
Jetzt ist er offiziell noch zur Gefährdung der Gesamtnatur geworden. Es scheint ein Hintergrundproblem, eine Grundschwierigkeit unserer Spezies vorzuliegen: nämlich schlussendlich nicht zu wissen, warum und wozu jemand überhaupt wohl da ist, auf die Welt gelangt. Etwa nur, um die Reproduktion in Gang zu halten oder bloß für Konsum einzustehen? Es ist diese ‚semantische Unbestimmtheit‘, die den gewissen Kick braucht, um in ihr existieren zu können. Menschen ist die schwer lösbare Aufgabe der Selbstfindung aufgetragen, Selbstidentifizierung und Entwurf eines reflektierten Selbst.
Das Existenzproblem, das ein Konfliktmoment birgt und die zentralen Erlebnisse der frühen Lebenszeit rutschen ins Unbewusste, können von dort eine unheilvolle Wirkung zeitigen. Die Aufarbeitung des Unbewussten einerseits und die Beschäftigung mit den Anregungen der Kunst und Kultur andererseits eröffnen eine Befreiung von der Vergangenheit. Aber es gibt eine Schwierigkeit: jenes kollektive Unbewusste, über das wir fatal miteinander verbunden sind, kann sich zurückmelden als Wiederkehr der Vergangenheit (der bloßen Wiederholung eines Unguten). Das liefert den Anlaß, dass das Widersacherische (Ernst Bloch), jegliche Unbill, irgendwelchen anderen, Fremden als den Schuldigen in die Schuhe geschoben wird. Feindbilder müssen her, das Böse, Üble und Schlechte wird auf die fremde und quasi unheimliche Art projiziert, bei ihr abgeladen. Daher geben Juden, Roma, Flüchtlinge und Liberale den Treteimer und Schuttabladeplatz für alles Negative des eigenen Kollektivs ab, von dessen Zustand damit abgelenkt wird. Beim eigenen Selbst wird keinerlei Fehler, kein Versäumnis und keine Fehlleistungen gesucht.
Die Verschiebung des allgemeinen Übels auf Anderes und Fremdes ist die urälteste Masche der menschlichen Dummheit und Beschränktheit: zu deren Erhellung hat Freud präzise und faszinierende Termini geschaffen. Eigentlich sind sie naheliegend. Freud hat sie gehoben, weil er gnadenlos zur analytischen Konsequenz fähig war. Er hat der deutschen Kultur erst zur vollen Aufklärung verholfen, mit Begriffen wie: Das Unbewusste, Die Verdrängung, Die Sublimierung, Der Widerstand, Die Übertragung, Die Projektion, Die Regression, Die Wiederholung. Die Überkompensation ist eine durchtriebene Ablenkung: Es wird etwas besonders betont, um vom Gegenteil abzulenken.
Demokratie herausgefordert – Werden die Wahlen im Osten zum Triumph für Rechtsaußen?
Das war die Frage am 06.09.2019 im Haus am Dom. Diskutiert haben: Stephan Hebel (FR), Daniel Mullis (Stiftung Friedens- und Konfliktforschung), Kerstin Köditz, (Die Linke, Abgeordnete im Sächsischen Landtag), Anna Spangenberg („Generation Hoyerswerda“). Es wurde eine Diskussion zum oben angedeuteten Unterbau eines politisch verfügten Oberbaus.
Köditz: Die CDU kenne keinen Rassismus, sie setzt Links und Rechts gleich; sie kennt nur Extremismus. ‚Volkes Stimme‘ meint: die Eliten seien bloß ausgetauscht worden, damals war es Moskau, jetzt ist’s die EU, die westlichen Medien und Merkel.- Die Lage im Osten ist keine Frage des Geldes, die Unzufriedenheit sei nicht recht greifbar. Der ‚Kulturkampf 68-West‘ dränge auf allen Gebieten gen Osten. West bedeutete: auf die Straße gehen, im Osten hatte das Zentralkomitee und die Volkskammer beschlossen. Gegen § 2018 musste nicht gekämpft werden. Wenn die AfD durchkäme, hätten wir eine andere Kultur, eine andere Politik, andere Sender, Theaterstücke, andere Freie Gruppen. Es existierten mittlerweile keine alteingeführten Treffpunkte mehr wie Bushaltestellen, Kneipen, Buchhandlungen – nur noch ‚Soziale Medien‘. Bewährte Bildung werde angegriffen. Gegen die NPD wurde vor 20 Jahren das Versammlungsrecht eingeschränkt. Das hatte gesamtheitliche Folgen.
Anna Spangenberg: Die Mitte, der demokratische Block habe sich verkleinert, die Zustimmung zu einer Art Politik nehme den Tabubruch in Kauf. Berührungsängste mit dem rechten Flügel nähmen ab. Das Leise-werden im Gesprächskreis bedeute den ersten Schritt in eine andere Gesellschaft. Die Mitherausgeberin von ‚Generation Hoyerswerda‘ spricht an: es gebe eine Vernetzung vor Ort ‚in Normalität‘, nach dem Motto: Hol Dir Dein Land zurück. Den Volksbegriff des Rechtspopulismus und seine ‚Gestaltungsräume‘ will eine verharrende Gesellschaft sich nicht nehmen lassen. Schon zur Wendezeit wurde das Transparent mit dem Spruch: Für ein offenes Land mit freien Menschen getragen. Beim Klassentreffen versicherten sich die Anwesenden, „dass wir alle so reden können, wie wir es unter uns gewohnt sind“. Bedenken sind auszuschalten. Spangenbergs These lautet: der Osten wird den Westen stärker verändern als erwartbar war. In Cottbus hielt eine dunkelhäutige junge Frau ein Transparent mit dem Schriftzug: ‚Fremde können Freunde werden‘ in die Höhe, die Reaktion darauf war: „Abschieben!“.
Stephan Hebel: kam zu dem Punkt, dass Adorno in seinem Vortrag vor Studenten an der Wiener Universität im Jahr 1967 auf die soziale Frage abstellte. Wer rechts wähle, müsse nicht immer jemand sein, der keine Arbeit hat; dieser könne aber bereits ahnen, dass die Konzentrationstendenz des Kapitals ihn demnächst überflüssig mache. Der Abbau von Sicherungssystemen und Räumen sei Wasser auf die Mühlen der Rechten. Der Opfermythos könne so ins Täterhandeln gegen den Liberalismus umgemünzt werden. Der Flügel eint. Die AfD sei übergreifend rechts. Armin Schuster (CDU) verkündete 2016: Wir brauchen Abschiedskultur, nicht Willkommenskultur. So fresse sich das völkische Denken in die gesellschaftliche Mitte rein. Gesellschaft wird dekonstruiert: ‚There is not such Thing as Society‘, sprach einst Maggy Thatcher. Demokratische Parteien müssten einen Block bilden. Grenzüberschreitungen seien Alltag geworden. Abwegiges und Absurdes wird zu apodiktisch ins Feld geführten News, wie das Bestreiten des bedrohlichen anthropomorphen Klimawandels - aus Realitätsverweigeung..
Daniel Mullis (Schweiz): Sozialprogramme lassen keinen Rassismus ablegen. 2015 war der Dammbruch, ab da hat sich gewandelt, was sagbar ist. Getoppt hat das Horst Seehofer als der verkündete: Asyl sei die Mutter aller Probleme. So geht das, was als eine verklausulierte Rechtsverschiebung bezeichnet werden könnte, in die Normalität ein. Der Osten ist von Brüchen durchzogen, das sei kein Sonderfall, derartiges sei in ganz Deutschland zu finden. Wie auch im Rust-Belt oder in East London hat sich eine posttraumatisierte Gesellschaft hergestellt. Dadurch seien achtzig Prozent an Wahlverhalten voraussagbar. In West wie Ost hat sich Ausländerfeindlichkeit verfestigt: 32 % Ost, 22,3 % West.
Fazit: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch (Bertolt Brecht) - weil einigen das Einfühlungsvermögen für Leben und Schicksal von Gepeinigten, Entrechteten und rassisch Entwerteten abgeht.
Foto:
Plakat zur Veranstaltung
Info:
Schlussworte des Epilogs zu dem Parabelstück »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui«
Das vollständige Zitat lautet:
„So was hätt einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Dass keiner uns zu früh da triumphiert -
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“