Keine Veröffentlichung von Umfragen mehr
Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Bis am 17. September, wenn um 7 Uhr in Israel die Wahllokale für die Wahl der 22. Knesset ihre Tore öffnen, dürfen im Land keine Umfragen mehr publiziert werden. Das heisst aber nicht, wie «Haaretz» am Sonntag schrieb, dass es keine Erhebungen mehr gibt. Die Parteien werden weiter ihre internen Umfragen veröffentlichen, um möglichst akkurat herauszufinden, wo sie am Dienstag das Schwergewicht zu setzen haben werden. Wie viele Israeli haben ihre Ansichten und Sympathien seit den letzten Wahlen vom 9. April geändert, fragt «Haaretz», und beantwortet die Frage sogleich: Wahrscheinlich nicht viele. Wie in fast allen anderen Staaten verfolgen auch in Israel die Wähler ein «Stammesverhalten» Es seien eher die Parteien, die ihre Positionen verändern, und von den 9-10 Parteien, welche die Mindestklausel überwinden dürften, hätten nur deren vier ihre Rahmenbedingungen völlig unverändert belassen.
Eine Zusammenfassung der jüngsten Umfragen zeigt ein besonders wichtiges Ergebnis: Die vier Mandate, welche die Kulanu-Partei von Finanzminister Moshe Kahlon mit in die Ehe mit dem Likud gebracht hat, sind völlig verdampft. An der Spitze steht Blauweiss (Gantz) mit 32,3 Mandaten, dichtauf gefolgt vom Likud mit 31,6 Sitzen. Es folgen die Gemeinsame Arabische Liste (11), Yamina (Ayelet Shaked, 9), die leicht abbröckelnde «Israel Beiteinu» von Avigdor Lieberman (8), die aber immer noch das Zünglein an der Waage für die Koalitionsbildung spielen wird, das Vereinigte Tora-Judentum (7,6), Shas (6,7), die Demokratische Union (5), Arbeitspartei-Gesher (4,3), die genauso wie die Kahanisten-Partei Otzma (4) um ihren Einzug in die Knesset zu kämpfen haben wird.
Premier Netanyahu hat das Wochenende unter anderem dazu benutzt, um Otzma mit Pech und Schwefel zu übergiessen. Die Partei werde es doch nicht schaffen, und ihre Sitze würden für das gesamte Rechtslager (sprich für ihn selber als präsumtiver Premier) definitiv verloren gehen. Am Sonntag versuchte Netanyahu noch, Richter Melczer von der Zentralen Wahlkommission, zu einer Dringlichkeitssitzung wegen angeblichen Wahlbetrugs seitens der arabischen Wähler zu veranlassen. Das Unternehmen misslang aber, da die Wahlkommission eine Sitzung im genannten Sinne ablehnte und Netanyahu und anderen Politikern vorschlugen, sich schriftlich an den Kommissionsleiter zu wenden. Ob das bereits die vom Likud-Chef in den Momenten der politischen Bedrängnis schon zur Gewohnheit gewordenen «Gewalt»-Tiraden gewesen sind, oder ob da bis Dienstag noch mehr von der Sorte zu erwarten sein wird, muss abgewartet werden. Vermutlich schon. Die Meldungen von der Absicht, Washington zu einem gemeinsamen Verteidigungsabkommen zu bewegen, gehören ins gleiche Kapitel.
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Noch ist er nicht wiedergewählt: Premierminister Binyamin Netanyahu
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 16. September 2019