Bildschirmfoto 2019 10 28 um 23.34.24Wie die FAZ in ihrer Berichterstattung Meinung machte und Meinung macht, Teil1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Jetzt langt‘s. Das fälschlich Adenauer zugeschriebenen Verdikt: "Wat kümmert mich ming Jeschwätz von jestern?“, hat ja viele Geschwister, in Frankfurt sagt man Schlächtgeschwätz, wenn das Gestrige nichts mehr gelten soll. Worum es geht? Das kommt im zweiten Artikel, der eine Reminiszenz an die in erster Linie von der FAZ im wahrsten Sinne verhackstückte Andrea Ypsilanti darstellt, die von ihr 2008 zur Hexe gemacht wurde, weil sie bei zwei getätigten Wahlaussagen zur Regierungsbildung eine hätte aufgeben müssen, was ihr als Verrat am Wähler vorgeworfen wurde, während genau dasselbe, eine Wahlaussage nicht einzuhalten, noch dazu die inhaltlich selbe: „nie mit den Linken“, heute für die CDU Thüringen sinnvolles politisches Handeln darstellt. Und von der FAZ gelobt wird.

Und Sigmar Gabriel? Ja, der ist noch in der SPD und er ist einer, der viele gegen sich aufbringt, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Er ist aber auch einer, der was kann, der was draufhat und auf jeden Fall ein Mann mit Energie, die man gesellschaftlich nutzen könnte, wenn man wollte. „Man?“

Wie man aus einer Meldung, die angeben sollte, wofür, also für welche Position Gabriel im Gespräch ist, lieber gleich einen abschätzigen Kommentar daraus macht, damit er diese Position auf keinen Fall erreicht, aber ohne dies als subjektiven Kommentar zu kennzeichnen, zeigt der gestrige Artikel PASST GABRIEL ZUR AUTOINDUSTRIE? (FAZ, Wirtschaft, Seite 15), der verantwortliche Autor wird nicht namentlich genannt, sein Kürzel hw.BERLIN.

Als in größerer Schrift gedruckte Einführung kommt nun nicht, um was es überhaupt geht, sondern: „Die FDP warnt den möglichen neuen Präsidenten des VDA vor „Sprunghaftigkeit“ und zu viel „Selbstbeschäftigung“. Aha. Und dann kommt‘s. Dann erfährt man erst einmal, daß seit dem Wochenende der frühere Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel als neuer Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) im Gespräch ist. Das ist der Verband, der auch die zweijährige Internationale Automobilmesse IAA auf dem Messegelände Frankfurt ausrichtet, was dieses Jahr aus mindestens drei Gründen viele Pressemeldungen provozierte. Erst wurde - und das erstmalig seit in der Nachkriegszeit die IAA langfristig in Frankfurt blieb - der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann von seiner Rede zur Eröffnung ausgeladen, dann waren im Vorfeld und während der Messe Klimaschützer zu verschiedenen, sehr personenreichen Demonstrationen gegen die Autopolitik und die IAA in der Stadt unterwegs, dann kündigte der erst im März 2018 VDA-Präsident gewordene Bernhard Mattes, der dem seit Juni 2007 tätigen ehemaligen Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) nachfolgte, direkt nach der Eröffnung der IAA seinen Rücktritt zum Ende des Jahres an.

Eine Begründung gab es offiziell nicht, informell hörte man, daß er einfach nicht genug Rückendeckung seitens der großen Automobilkonzerne habe. Seitdem war es still um die Nachfolge. Am Sonntag gab es erstmals die Information um eine mögliche Präsidentschaft des VDA in Person Sigmar Gabriels. Nach dem FDP-Verdikt gegen Gabriel, mit dem der Artikel, der erstmals über Gabriels potentielle Präsidentschaft berichten will, beginnt, folgt als nächstes die Ablehnung der Besetzung mit ihm durch die Grünen (Renate Künast, Sven Kindler) mit wörtlichen Aussagen.

Als nächstes greift der Artikel – ohne weiter über den Gewährsmann oder die Wahrscheinlichkeit der Besetzung mit Gabriel zu berichten - erneut den Anfang auf und benennt nun diejenige Person, die zuvor als „DIE FDP“ firmierte: den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Michael Theurer mit seinen Aussagen, Gabriel habe Erfahrung als ehemaliger VW-Aufsichtsrat, auch als Umwelt- und Wirtschaftsminister; er müsse jedoch ein großes Aber formulieren. Aber : „Zudem ist Sprunghaftigkeit seine Achillesferse“, er müsse zeigen, daß er dazu gelernt habe.

Sodann wird „die andere Kandidatin, Hildegard Müller“ eingeführt, CDU, früheres Vorstandsmitglied für Netz und Infrastruktur, enge Merkel-Vertraute, was nicht erwähnt wird, stattdessen heißte es: „hat als Staatsministerin im Kanzleramt womöglich bessere Kontaktchancen zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)“, was mehr als untertrieben ist, denn Müller war von 1998 bis 2002 die erste weibliche Bundesvorsitzende der Jungen Union und von 2005 bis 2008 besagte  Staatsministerin im Bundeskanzleramt. Ihre besseren Chancen beziehen sich auch auf die Parteizugehörigkeit, denn Gabriel gehört „einer Partei ohne realistische Aussicht auf eine weitere Regierungsbeteiligung“ an, „sondern sich in dieser zudem etliche Feinde gemacht hat.“

Während wir immer noch auf die Informationen warten, durch wen Gabriel ins Gespräch gebracht wurde und wie fundiert diese Informationen sind, geht das Abwatschen von Gabriel und die Lobpreisung der CDU-Frau weiter. „Müller ist nicht dafür bekannt, dass sie wie Gabriel regelmäßig aus der Haut fährt. Seine Reizbarkeit ist untypisch für Lobbyisten, die im Berliner Regierungsviertel Minister bezirzen und zudem widerstreitende Interessen der Autokonzerne ausbalancieren müssen. In diesem Tenor geht es weiter: „Gabriel zeigte seine Reizbarkeit nicht nur bei Attacken gegen die eigenen Leute. Im Streit um....weitere Belege liefern rustikale Fernsehauftritte. Etwa, als die ZDF.Journalistin Bettina Schausten ihn im Jahre 2015 zur Zahl erwarteter Flüchtlinge befragte: ‚Ich finde Ihre Frage total merkwürdig‘, blaffte Gabriel, nichts von dem, was Sie da sagen, ist richtig. Auch mit der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka...“

Mit offenem Mund liest man eine solche Berichterstattung, die statt Informationen zu liefern, welche Interessen im VDA sich auf welche Personen richten, sich aufspielt, als ob der Artikelschreiber der Berichterstatter der Findungskommission sei oder Sachbearbeiter eines Headhunter, der den Präsidentenstuhl besetzen soll. Und statt der Fachnoten nur Noten für Betragen verteilt. Echt peinlich, einfach unsäglich so was.

Zum Schluß gibt der Verfasser zwar zu: „Immerhin: Gereiztheit läuft gut im Internet. Der Clip ‚Sigmar Gabriel fetzt sich mit Marietta Slomka‘ bekommt knapp 300 000 Aufrufe auf Youtube, mehr als die meisten Politikervideos.“ Und haut dann noch einmal so richtig zu: „Aber für eine Industrie mit angeschlagenem Image wäre diese Art der Reichweite problematisch.“ Warum eigentlich, fragt sich der Leser, der merkt, daß hier nicht über die Besetzung des nächsten VDA-Präsidenten informiert wurde, sondern die Besetzung mit Gabriel verhindert werden soll.

Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich mir als VDA eine solche Grundschulbevormundung verbitten. Als Leser bin ich beleidigt, daß mich die FAZ für dumm genug hält, zwischen einer Berichterstattung über den nächsten VDA-Präsidenten und einem Kommentar zur Besetzung mit Gabriel nicht unterscheiden zu können und mir einen solchen Werbeartikel für die Christdemokratin Müller als angeblich sachlichen Artikel unterzujubeln.

Ein Fall für die Redaktionskonferenz der FAZ.

P.S. Auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) vom Vortag, dem 27. Oktober, hatte eine Meldung EINE FRAU ALS AUTOPRÄSIDENTIN? gebracht, in der klar zum Ausdruck kommt, daß dem Autor Georg Meck eine VDA-Präsidentin Müller (CDU) lieber wäre als ein Präsident Gabriel. Aber das ist wesentlich sachlicher vorgetragen, nimmt auch nicht Dritte als Beleg für eine plumpe Meinungsmache, siehe oben. 

Foto:
FAZ vom 28.10.2019
© Redaktion

Info:
FAZ, Montag, 28.10.2019
Wirtschaft, Seite 15