Bildschirmfoto 2019 11 02 um 08.03.14Binyamin Netanyahus kläglicher Versuch, politisch zu überleben, äußert sich zusehends in einem Koalitionsgerangel

Jacques Ungar

Tel Aviv (eltexpresso) - Vordergründig hat sich im politischen Alltag in Israel vorerst nur wenig geändert. Vor allem gibt es keine konkreten Fortschritte in Sachen Einheitsregierung zu vermelden. Im Gegenteil: So erklärte Blauweiss-Chef Benny Gantz nach seiner ersten Unterredung mit Binyamin Netan­yahu Anfang Woche, dass der Likud nach wie vor nicht zu einer ernsthaften Diskussion über die grundlegenden Richtlinien einer Einheitsregierung bereit sei.
Netanyahu lässt es beim Bekenntnis zur absoluten Notwendigkeit der Bildung einer solchen Koalition bewenden, ohne dabei aber das Stadion mit seinen leeren Plätzen zu verlassen.

Dabei gäbe es mehr als genug Anhaltspunkte für ein Einhaken, um in sachlich geführte Debatten mit konkreten Zielsetzungen überzugehen. An der Basis scheint sich tatsächlich einiges zu tun. Die meisten Likud-Wähler unterstützen nämlich eine Einheitsregierung, die nur auf ihrer Partei und Blauweiss basieren würde. Zu diesem Schluss gelangte diese Woche die Umfrage der kontroversen Aktivistengruppe «Neue Likudniks». Mit diesem Ergebnis lancierten die Aktivisten eine Kampagne gegen den von Netanyahu gebildeten Rechtsblock von 55 Abgeordneten religiöser und rechtsgerichteter Parteien. Laut Umfrage unterstützen 57 Prozent der Likud-Wähler eine solche Regierung, wobei sich Likud und Blauweiss zuerst auf die Einzelheiten einer Koalition einigen sollten. Erst danach sollen andere Parteien eingeladen werden, sich hinzuzugesellen. 30 Prozent der Likud-Wähler lehnen dieses Vorgehen ab, während nicht weniger als 89 Prozent der Blauweiss-Wähler es befürworten. 35,2 Prozent der Likud-Wähler sagten, Netanyahu sollte auf den 55er-Block verzichten, bevor er darauf verzichten würde, in einer Rotation mit Gantz als Erster das Amt des Premiers auszuüben.


Sanktionen gegen Iran

Die diversen Stellungnahmen und Kommentare in den israelischen Medien dämpfen jedoch die Begeisterung für eine Einheitsregierung und lassen dafür tragischerweise den Wunsch nach einer rechtsextremen Regierung nach Netanyahus Vorstellungen wachsen, worin konkrete militärische Schritte in der Region befürwortet werden. In diese Kerbe schlug diese Woche der Premierminister auch mit einer klaren Warnung vor der Integrierung des kriegsgeprüften Jemen in eine von Teheran angeführte Front gegen Israel. Iran habe damit begonnen, warnte der israelische Regierungschef, Langstreckenraketen in Jemen aufzustellen, um Israel von dort anzugreifen. Das erklärte Netanyahu am Montag in einem Gespräch mit dem zu Besuch weilenden amerikanischen Finanzsekretär Steven Mnuchin. Bei diesem Treffen gratulierte Netanyahu zudem US-Präsident Trump zur erfolgreichen Eliminierung eines der Gründer des Islamischen Staats (IS), Abu Bakr al-Baghdadi, und sagte, Israel befinde sich immer noch «mitten in einem Krieg gegen den Terror – nicht nur gegen extreme, vom IS angeführte Sunniten, sondern auch gegen extreme Schiiten, die von Iran und dessen Stellvertretern im Nahen Osten gelenkt werden». Laut dem israelischen Premier strebt Iran bereits die Erlangung von Präzisionswaffen an, um jedes Ziel im Nahen Osten ins Visier nehmen zu können. «Sie stellen diese in Iran her und wollen sie in Irak und Syrien aufstellen und das libanesische Arsenal von 130 000 Raketen in Präzisionsmunition umwandeln. Sie haben bereits damit begonnen, sie in Jemen aufzustellen, um Israel auch von dort zu treffen.» Netanyahu drängte diese Woche Washington auch dazu, zusätzliche Sanktionen zu verhängen, um Iran daran zu hindern, «sich auf alles und jedes» im Nahen Osten zu stürzen.


Politisches Säbelrasseln

Schützenhilfe erhielt der israelische Regierungschef dieser Tage von seinem General­stabschef Aviv Kochavi, der vor einem möglichen Krieg an Israels Nordgrenze warnte. Er wies in diesem Zusammenhang vor allem auf die Einigelung von Teheraner Truppen in Syrien hin sowie auf die iranischen Projekte für Präzisionsraketen als einige der Gründe für diese Spannungen. «Was der Generalstabschef und ich gesagt haben», meinte Netanyahu an der letzten wöchentlichen Kabinettssitzung, «sind keine Hirngespinste. Vielmehr widerspiegelt es die Realität der Herausforderungen der Gegenwart und jener der nahen Zukunft.»

Die nächsten Wochen und Monate werden gewiss zeigen, ob es sich bei diesem politischen Säbelrasseln über die Parteiengrenzen hinweg um eine Reflexion der Wirklichkeit gehandelt hat oder um einen der vielen verzweifelten Versuche Netanyahus, im Zuge des Koalitionsringens die Stimmung in Israel für eine aggressive Regierungsbildung anzuheizen.


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Die ganze Diskussion um eine Einheitsregierung ist erschmüdend, auch Blauweiss-Chef Benny Gantz kommt derzeit keinen Schritt voran, solange Likud nicht bereit ist, einer Koalition mit Blauweiss...
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 1. November 2019