Anmerkungen zum 30. Jahrestag des Mauerfalls
Conrad Taler
Bremen (Weltexpresso) - Nach der Landtagswahl in Thüringen hat CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak klargestellt, dass es eine Zusammenarbeit seiner Partei mit der Linkspartei unter anderem deswegen nicht geben wird, weil sie „bis heute nicht anerkannt (habe), dass die DDR ein Unrechtsstaat“ gewesen sei. Wie es die CDU mit der rechtsgerichteten „Alternative für Deutschland hält, bleibt nach der Forderung von 17 thüringischen CDU-Politikern nach „ergebnisoffenen Gesprächen“ mit der AfD weiterhin im Nebel, auch wenn Ziemiak dieses Verlangen als „irre“ bezeichnet hat. Die konservative Werteunion in der CDU schließt Gespräche mit Vertretern der AfD grundsätzlich nicht aus, wie ihr prominentes Mitglied Hans-Georg Maaßen, ehemals Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, am 7. November im Deutschlandfunk zu verstehen gab. Gesprächsverweigerung sei undemokratisch, sagte er zur Begründung.
Irgendwie scheinen sich allen Dementis zum Trotz die Fronten zu verschieben. Obwohl beide Unionsparteien in Gefahr sind, als Volksparteien von der Afd ausgezehrt zu werden, wird die Rechtsaußenpartei nicht überall als wichtigster Konkurrent angesehen. Herausforderer um Platz eins und beim Kampf ums Kanzleramt seien die Grünen, sagte der CSU-Vorsitzende Markus Söder auf dem jüngsten Parteitag der Christlich Sozialen Union. Am 30.Jahrestag des Mauerfalls interessiert freilich eher die Frage, wie es kommt, dass dieselben Menschen im Osten Deutschlands, die aus Protest gegen die Alleinherrschaft der SED auf die Straße gegangen sind, jetzt Gefallen an einer Partei wie der AfD finden, deren deutsch-völkische Politik letztlich ebenfalls auf eine – nur anders gefärbte - Alleinherrschaft hinausläuft. Wollen sie sich, wie Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 2./3. November schreibt, nachträglich an der nominell antifaschistischen DDR dafür rächen, dass sie sich so widerstandslos hat abwickeln lassen? Selten hat nach seinen Worten eine Diktatur so friedlich den Löffel abgegeben.
In der Tat ein bemerkenswerter Vorgang. Dass die Revolution in der DDR friedlich verlief, kann allerdings nicht nur der einen Seite gutgeschrieben werden, sondern ist auch das Verdienst der anderen, die, den eigenen Untergang vor Augen, zum Erhalt ihrer Macht auf die Anwendung von Gewalt verzichtete. Hatte die DDR nicht dasselbe „Recht auf Selbstbehauptung“, das der Bundesgerichtshof dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat ohne weiteres zugesprochen hat, als er den Chefrichter beim SS-und Polizeigericht München, Dr. Otto Thorbeck, der die Widerstandskämpfer um Admiral Canaris und Pastor Dietrich Bonhoeffer am 8. April 1945 zum Tod durch den Strang verurteilte, von jeder Schuld freisprach?
Zur Begründung erklärte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 25. Mai 1956: „Ausgangspunkt dabei ist das Recht des Staates auf Selbstbehauptung. In einem Kampf um Sein oder Nichtsein sind bei allen Völkern von jeher strenge Gesetze zum Staatsschutz erlassen worden. Auch dem nationalsozialistischen Staate kann man nicht ohne weiteres das Recht absprechen, dass er solche Gesetze erlassen hat“. Das höchste deutsche Strafgericht konterkarierte damit eine Entscheidung des Braunschweiger Landgerichts vom März 1952, wonach der NS-Staat „kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat“ war, gegen den Widerstand zu leisten gerechtfertigt gewesen sei. Das Gericht folgte damit einem Antrag des Braunschweiger Staatsanwalts und späteren hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, der sich mit der Klassifizierung des NS-Staates als Unrechtsstaat bei allen einstigen Förderern und Vollstreckern des Naziregimes auf Dauer unbeliebt gemacht hatte.
Die Übertragung des Begriffs Unrechtsstaat auf die DDR war ein ebenso durchsichtiges wie infames politisches Manöver, mit dem die Deutsche Demokratische Republik auf dieselbe Stufe gestellt wurde wie das Mörderregime der Nationalsozialisten, das sechs Millionen Juden ermordet und den Zweiten Weltkrieg von Zaun gebrochen hat. Der bereits am Boden liegende politische Gegner sollte dadurch auch moralisch vernichtet und der Sozialismus als Gesellschaftsmodell für immer diskreditiert werden. Im Siegestaumel verkündete der damalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel 1991: „Ich baue auf die deutsche Justiz. Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren.“ Ein „fataler Satz“ sei das gewesen, schrieb die Wochenzeitung DIE ZEIT dazu am 29. August 1997, denn das sei nicht Aufgabe der Justiz. Aber die ging gleich scharf zur Sache, auch wenn sie dabei alles über Bord werfen musste, das sie sich bis dahin ausgedacht hatte, um die Diener des Nazi-Unrechtsstaates in der schwarzen Robe ungeschoren zu lassen.
Was die politisch Verantwortlichen betrifft, so sind einige Repräsentanten des konservativen Lagers nicht mit jeder Diktatur so gnadenlos umgegangen wie mit der DDR. Als 1972 der chilenische Armeegeneral Augusto Pinochet mit Waffengewalt gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende putschte, spottete der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß an die Adresse der Kritiker gerichtet in den „Stuttgarter Nachrichten“ vom 25. November 1977, „dass es bei einem Putsch nicht zugeht, wie wenn Franziskaner Suppe verteilen“, sei doch wohl klar. Wer nicht sehe, dass die militärische Entscheidung in Chile ein „gewaltiger Schlag gegen den internationalen Kommunismus“ gewesen sei, „der ist, einfach gesagt, dumm“. Nachzulesen in „Einschlägige Worte des Kandidaten Strauß“, Steidl Verlag, 9.Auflage 1980, S.79/80.
Im Prozess gegen einen zu drei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilten ehemaligen DDR-Richter kam der Bundesgerichtshof (AZ 5 StR 747/94) zu dem Schluss, dass während des Kalten Krieges „auf beiden Seiten eine ‚politische Justiz’ mit einer aus heutiger Sicht nicht immer nachvollziehbaren Intensität betrieben“ wurde. Für die DDR hatte das zur Folge, dass ihr das Etikett Unrechtsstaat angeklebt wurde, der Bundesrepublik hingegen hat das ebenso wenig geschadet wie das – so der BGH - „folgenschwere Versagen bundesdeutscher Strafjustiz“ gegenüber den Nazirichtern, von denen kein einziger rechtskräftig verurteilt worden ist. Daran am 30. Jahrestag des Mauerfalls zu erinnern schickt sich vielleicht nicht, aber es muss gesagt werden, wenn dem Vergessen entgegengetreten und der weitere Abmarsch unseres Landes nach rechts aufgehalten werden soll.