Die Grünen nach ihrem Bundesparteitag
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, ist ein talentierter Märchenerzähler. Das belegen seine erfolgreichen Kinderbücher.
Und Annalena Baerbock, weiblicher Teil des Vorsitzes, beherrscht die Kunst der inhaltslosen politischen Rede in bemerkenswerter Weise. Jetzt haben sich beide den sozialen und politischen Umbau der Marktwirtschaft vorgenommen und dafür das Plazet des Bundesparteitags erhalten. Doch dieses Projekt wirft Fragen auf.
Marktwirtschaft bedeutet in der Volkswirtschaftslehre (vereinfacht ausgedrückt) die Gleichrangigkeit von Anbietern und Nachfragenden. Wer Waren feilbietet, soll sie nicht unter Wert verkaufen müssen (also sämtliche Teile in der Wertschöpfungskette mit den Einnahmen fair bezahlen können). Umgekehrt soll der Kunde für sein Geld Qualität erwarten dürfen; denn seine Zahlungsmittel sind Anteilsscheine am Bruttosozialprodukt, für das er unter Einsatz seiner Ausbildung, seiner Fertigkeiten und eines wesentlichen Teils seiner Lebenszeit gearbeitet hat.
In der Praxis der sozialen Marktwirtschaft wurde dieser Gleichklang selten erreicht. Denn beide Marktteilnehmer können nicht alle Faktoren beeinflussen. Ein in großen Stückzahlen produzierter PKW, der mit fossilen Brennstoffen angetrieben wird, mag auf dem Markt preislich interessant sein. Aber der Käufer handelt sich auch ungelöste Klimaprobleme ein, die den tatsächlichen Wert seiner Investition infrage stellen. Ähnlich verhält es sich bei landwirtschaftlichen Produkten, die auf Raubbau basieren und mit denen sich der Käufer erhebliche Risiken mit Langzeitwirkung einhandelt. Die in Ländern der Dritten Welt von Arbeitssklaven genähten Textilien mögen das Regulativ des Marktes noch überstehen, aber auf der Waagschale der Weltökologie zählt eine andere Währung. Diese wird bei Fortsetzung der bisherigen Produktionsweise zunächst die Konsumenten und später auch die Fabrikanten in den Ruin treiben.
Auf dem Markt dürften eigentlich nur ökologisch unbedenkliche Waren angeboten werden. Und die Käufer müssten akzeptieren lernen, dass die „Schnäppchen“ ihnen zwar zunächst einen kleinen Vorteil verschaffen, aber langfristig ihre Existenz bedrohen.
Eine soziale und ökologische Marktwirtschaft, die diesen Namen verdient, muss zunächst die Widersprüche der freien Verkehrswirtschaft lösen. Also marktbeherrschende Stellungen der Anbieter einschließlich der Verfügung über Ressourcen, Maschinen und Finanzen durch gemeinwirtschaftliche Eigentums- und Produktionsformen ersetzen. Im gleichen Maße würde auch der Käufer, der in der Regel seinen Lohn direkt oder indirekt in der Güterproduktion oder im Gütervertrieb verdient, über „sauberes“ Geld verfügen. So die Theorie.
Ökologische Marktwirtschaft bedarf einer vorgeschalteten Revolution. Sowie die Durchsetzung einer sozialen Marktwirtschaft nicht ohne die Verteilungskämpfe von Sozialisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern gegen die Eigentümer an den Produktionsmitteln möglich gewesen wäre. Den Konsumenten in der Marktwirtschaft, die sich aus Arbeitseinkünften speisen, geht es 170 Jahre nach den ersten großen sozialen Auseinandersetzungen besser. Zumeist aber nur in Europa, einem Teil der USA sowie in Kanada und in Australien. Afrika, Asien und Lateinamerika hingegen sind weitgehend abgehängt – wenn man von den nationalen Oligarchen absieht. Die große Mehrheit der dort lebenden Menschen vegetiert wegen ihrer Einflusslosigkeit am Rande oder bereits unterhalb des Existenzminimums. Von dort her kommt die ökologische Frage, die im selben Maß auch eine soziale ist, endgültig und immer schneller auf uns zu.
Falls die Grünen ihr Projekt mit Erfolgsaussicht angehen wollten, müssten sie ihren Wunschpartner CDU zunächst auf die Wiederbelegung des Ahlener Programms von 1947 verpflichten: „Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.“
Andernfalls erlitten sie das Schicksal der hessischen Grünen. Nämlich zum ökologischen Alibi von Fraport, Allianz, Volkswagen, Deutsche Bank, DZ Bank, Merck etc. zu werden.
Und auch das geforderte „Recht auf Wohnen“, das in das Grundgesetz aufgenommen werden soll, bedarf einer Vorabklärung von ähnlicher Brisanz. Natur und Menschen lassen sich nur als unverfügbare Bestandteile der Erde denken. Es darf keine Sklaven geben, keine Vergiftung der Böden und der Luft, keine Nutztierhaltung im industriellen Maßstab. Warum aber gibt es das Eigentum an Grund und Boden? Haben die Eigentümer es einst von den Göttern oder deren Vertreter gekauft? Wohl kaum. Weltliche Herrscher haben sich beides angeeignet. Aber der Boden gehört allen Menschen aller Generationen in allen Erdteilen.
Tatsächlich: Die Grünen müssten den Reichen ihre Latifundien entschädigungslos abnehmen und die darauf stehenden Immobilien nur auf 30 Jahre zu einer verfügbaren Ware machen – angeglichen an eine maximale Pachtzeit für den Boden. Das könnte wirkungsvoller sein als ein „Recht auf Wohnen“.
Foto:
Annalena Baerbock auf dem Bundesparteitag der Grünen in Bielefeld
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